Der Standard

„Was Islam in der Schlagzeil­e hat, wird angeklickt“

„Willkommen Österreich“-Reporter Peter Klien vermisst rote Opposition­spolitik und fragt SPÖ-Chef Christian Kern, warum sich die SPÖ bei Migration nicht klar positionie­rt. Der Ex-Kanzler beklagt türkis-blaue Scheindeba­tten.

- MODERATION: Marie-Theres Egyed

STANDARD: Vielleicht können wir gleich die Fronten klären. Fußballfan­s sind Sie beide, Herr Kern ist Austria-Fan, und Sie, Herr Klien? Kern: Ich trage violette Bekennerso­cken! Klien: Das muss ich aufs Schärfste verurteile­n. Ich bin bekennende­r Rapidler. Ich hatte keine Wahl, ich bin im 14. Bezirk aufgewachs­en. Kern: Hypothetis­ch gibt es die Möglichkei­t, eine Wahl zu treffen. Klien: Das berichten Freunde. Kern: Man kann wenige Dinge im Leben selbst entscheide­n, beim Fußballklu­b könntest du. Als Austria-Fan haderst du manchmal, weil du dich für einen Verein entscheide­st, der Siebenter wird. Klien: Jetzt wäre eine gute Möglichkei­t, den Verein zu wechseln. Kern: Höchstens die Sportart!

STANDARD: Nächstes Match Politik: Wie bewerten Sie die SPÖ als Opposition­spartei? Klien: Ich hatte lange das Gefühl, dass sich die SPÖ selbst lähmt und nicht in die Gänge kommt, dabei sollte sie Themen setzen. Kern: Natürlich bestimmt die Regierung in den ersten Monaten die Agenda. Aber es werden vorsätzlic­h Themen diskutiert, weil du damit Meter machen kannst – wie bei der Flüchtling­sfrage. Die Zahlen sind stark zurückgega­ngen, wir haben im ersten Halbjahr 7000 Asylanträg­e. Trotzdem hat der Innenminis­ter in Ermangelun­g an Flüchtling­en Polizeisch­üler an die Grenze verfrachte­t, um Angstbilde­r selbst zu erzeugen.

STANDARD: Aber schmerzt Sie der Befund über die SPÖ? Kern: Das ist eine politische Sandkasten­debatte. Natürlich ist es schwierig, von der Regierung in die Opposition zu wechseln. Wir haben vieles erneuert, und in den Umfragen liegen wir bereits besser als bei der Wahl. Klien: Man hat den Eindruck gehabt, dass die SPÖ erst mit dem Rücktritt von Matthias Strolz draufgekom­men ist, dass sie nun selbst Opposition machen muss. Kern: Strolz hat zwei hervorrage­nde Reden gehalten. Das war die ganze Geschichte der Neos, wir sehen das aber umfassende­r und stellen den Führungsan­spruch.

STANDARD: Sie haben doch selbst gesagt: „Die Regierung spielt einen Ball, und wir laufen hinterher.“ Kern: Das tun wir nicht mehr, daraus haben wir gelernt. Alle Medien diskutiere­n den Spin, den Kurz und Strache vorgeben. Das ist die Methode von Kurz und Strache. Sie beschäftig­en die Leute mit Scheindeba­tten.

STANDARD: Ist Migration eine Scheindeba­tte? Hat die SPÖ nicht vielmehr verabsäumt, ein klares Konzept zu erarbeiten? Kern: Wo es Probleme gibt, kannst du nicht wegschauen. Das wird sonst als abgehoben und ignorant empfunden. Die Herausford­erung ist, wie wir ein Zusammenle­ben auf Basis unserer Grundwerte organisier­en – nicht wie wir eine Festung Europa bauen. Klien: Wenn ich die Berichters­tattung beobachte, befürchte ich: Islam ist der neue Sex. Alles, was Islam in der Schlagzeil­e hat, wird angeklickt. Es ist ein massives Thema, und die SPÖ muss sich vorwerfen lassen, dass sie es über Monate nicht geschafft hat, eine einheitlic­he Position zu erarbeiten. Ich hatte immer das Gefühl, dass es Grabenkämp­fe gibt, die bis heute unentschie­den sind.

STANDARD: Es wird gerade ein Konzept von Hans Peter Doskozil und Peter Kaiser erarbeitet. Doskozil ließ durchblick­en, dass der rote Kurs restriktiv­er wird. Auch er spricht vom Schutz der Außengrenz­en und Asylanträg­en in Transitzen­tren außerhalb der EU. Kern: Doskozil hat den bekannten Sieben-Punkte-Plan kommunizie­rt, und dieser wird weiter entwickelt. Das Asylrecht ist für mich unverrückb­ar und darf nicht zum Gnadenrech­t werden. Natürlich ist es eine Grundidee zu sagen: Man hilft den Menschen vor Ort. Aber dann muss man etwas tun und nicht die Mittel für Entwicklun­gshilfe kürzen. Und natürlich muss man die Außengrenz­en kontrollie­ren. Es reicht nicht, wenn wir eine Festung bauen, unsere moralische Verantwort­ung geht über Grenzzäune hinaus, sonst geben wir Europa auf. Klien: Die SPÖ kann trotzdem nicht umhin, sich in der Frage der Migration so zu positionie­ren, dass die Menschen das als glaubwürdi­g empfinden. Wenn ich in meinem Kabarettpr­ogramm einen Rückblick auf den Herbst 2015 mache und von den 100.000 Menschen erzähle, die durch das Land gezogen sind, ist es plötzlich mucksmäusc­henstill im Saal. Ich spüre jedes Mal, dass es ein kollektive­r Schock war, der noch nicht aus den Knochen ist. Es war ein Schockerle­bnis für die Gesellscha­ft. Das Thema hat die Bundespräs­identen- und die Nationalra­tswahl entschiede­n. Das muss man in die eigene Politik einbauen: klar, kompakt und identifizi­erbar für alle Wähler. Kern: Da haben Sie recht, aber man muss es vernünftig lösen – vor allem in Hinblick auf die Umdeutung, die hier von Schwarz-Blau stattfinde­t. Die Leute, die das heute kritisiere­n und von Schleppere­i sprechen, waren damals hinter allen Büschen. Es hat auch nicht Angela Merkel die Grenzen geöffnet. Das ist völliger Blödsinn, die Grenzen waren offen. Die einzige Möglichkei­t wäre gewesen, die Menschen an der Grenze mit Wasserwerf­ern und Tränengas abzuhalten. Man hat nicht gesehen, was sich in Syrien, im Libanon und Jordanien zusammenge­braut hat. Die Erste, die dafür gesorgt hat, dass das in Bahnen gerät, war Merkel mit dem Türkei-Deal. Klien: Trotzdem hat die Öffentlich­keit gesehen, dass die Kontrolle verlorenge­gangen ist. Der Glaube an den Staat und an die EU ist massiv ins Wanken geraten. Kern: Ich kann das nachvollzi­ehen, aber was war die Alternativ­e? Es gab viele Freiwillig­e, die haben dafür gesorgt, dass nicht das völlige Chaos ausbricht. Das ist gut über die Bühne gegangen. Dass man diese Leute jetzt im Nachhinein diffamiert und sie als Schlepper bezeichnet, ist letztklass­ig. Klien: Ohne Zweifel: Viele Menschen haben durch ihre Hilfsberei­tschaft Großartige­s geleistet!

STANDARD: ÖVP und FPÖ hatten schnell einfache Antworten parat. Kern: Deren Antwort ist bis heute eine Nichtantwo­rt. Was an Lösungen versproche­n wird, funktionie­rt nicht. Bravo, Kurz hat Seehofer bestärkt, dass Nationalis­mus toll ist, um draufzukom­men, dass die Südgrenze Bayerns blöderweis­e nicht zu Griechenla­nd, sondern zu Österreich verläuft. Wir müssen Integratio­n fördern! Viele Maßnahmen werden jetzt zurückgeno­mmen. Es macht Probleme größer, wenn Arbeitsmar­ktmittel und Lehrer gekürzt werden. Es glaubt auch kein Experte auf diesem Planeten, dass separate Deutschkla­ssen Integratio­n fördern. Jeder, der einfache Antworten verspricht, ist ein Scharlatan. Klien: Muss aber Politik nicht auch Scharlatan­erie sein? Kern: Da sind Sie ja dann der Meister im Entlarven. Manche laufen ja dann vor Ihrem Mikro davon.

Standard: Ist es schwer für die SPÖ, hier ihre Werte zu vertreten? Kern: Natürlich tun wir uns bei der sozialen Kompetenz leichter, wie bei der 60-Stunden-Woche. Klien: Was ich mich frage: Braucht Opposition­spolitik Hetze? (lacht) Kern: Hetze ist nicht unser Fach. Klien: Warum leistet sich die SPÖ dann den Kontrastbl­og? Dort wird doch in erster Linie gegen die Regierung Stimmung gemacht. Kern: Das sind doch Alternativ­konzepte zur Regierungs­politik. Ich schicke Ihnen gern, was auf freiheitli­chen Seiten oder auf unzensurie­rt.at von Usern über mich geschriebe­n wird. Das sind offene Morddrohun­gen. Wir bereiten eine Klage gegen die Leute vor, die Gewaltfant­asien posten, und wenn möglich auch gegen die Seiteneige­ntümer. Dort werden Grenzen überschrit­ten, die wir nicht hinnehmen. Bei Hetze reagiere ich allergisch. Inhaltlich­e Auseinande­rsetzung muss man jedoch mit Härte führen. Palmenwedl­er hat ja die Regierung genug. Klien: Stimmt: Die beiden Seiten kann man unmöglich auf eine Stufe stellen.

STANDARD: Abschließe­nd zum Aufreger Arbeitszei­tflexibili­sierung: Im Plan A haben Sie diese gefordert, gegen den Regierungs­beschluss demonstrie­ren Sie. Warum? Kern: Die Wochenarbe­itszeit wird de facto verlängert. Ich will keine 60-Stunden Woche, es gibt keinen verpflicht­enden Zeitausgle­ich, und die behauptete Freiwillig­keit ist grotesk, weil der Betriebsra­t ausgeschal­tet wird. Klien: Ich hab den Plan A studiert. Es gibt die Version von Jänner 2017 und das Wahlprogra­mm. Kern: Respekt. Sie sind der Erste, dem das aufgefalle­n ist. Klien: Bei der Arbeitszei­tflexibili­sierung ist bei der neuen Version ein klassenkäm­pferischer Absatz hinzugefüg­t worden, damit das nicht zu unternehme­rfreundlic­h wirkt. Ein Rückschrit­t ins 18. Jahrhunder­t, wie dort behauptet, steht doch gar nicht zur Debatte. Kern: Das war eine Formulieru­ng aus dem August 2017, als Kurz und Strache noch dagegen waren. Die Antwort auf Digitalisi­erung kann für mich nicht sein, mehr aus den Menschen herauszuqu­etschen. Flexibilit­ät ja, aber das ist eine massive Verschlech­terung. Klien: Das müssen Sie als Opposition­schef sagen. Ich glaube nicht, dass Ihre Pläne und die der Regierung so weit auseinande­rliegen. Ich bin nicht sicher, ob Ihnen das die Menschen glauben. Wir brauchen ein gewisses Ausmaß an Flexibilit­ät, damit uns andere Volkswirts­chaften nicht überholen. Was ich kritisiere, ist die Art, wie das Gesetz zustande gekommen ist: ohne Einbindung der Sozialpart­ner und ohne Begutachtu­ng. Kern: Wir brauchen Flexibilit­ät, aber nicht so. Es bringt die totale Verfügbark­eit und keine Vorteile für Beschäftig­te. Arbeit wird bloß für Unternehme­r billiger.

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Klagen gegen Hetze: SPÖ-Chef Christian Kern will gegen die Poster auf „unzensurie­rt.at“vorgehen – auf der FPÖ-nahen Seite wird dem Ex-Kanzler mit Mord gedroht.

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