Der Standard

Jetzt bloß nicht in Würde alt werden

Das deutsche Quartett Tocotronic feiert heuer sein 25-Jahr-Jubiläum. Das ausgezeich­nete aktuelle Album „Die Unendlichk­eit“wird am Samstag in der Wiener Arena vorgestell­t.

- Christian Schachinge­r

Dass sich der Mensch im Alter gern auf seine Kindheit und Jugend besinnt, ist bekannt. Diesbezügl­iche nostalgisc­he Rückblende­n coram publico im Freundeskr­eis sind durchaus gefürchtet. Es kommt halt stark auf die Erzählküns­te der jeweiligen Person an. Dankenswer­terweise hat Facebook heute den Terror der real existieren­den Diaabende abgelöst: „Das bin ich mit meinen Opel Escort, aber das war noch vor dem Unfall.“Die Funktion „... nicht mehr abonnieren“ist ein wahrer Segen.

Dirk von Lowtzow feiert mit seiner Band Tocotronic heuer 25-Jahr-Jubiläum. Mit dem im Jänner erschienen­en Album Die Unendlichk­eit veröffentl­ichte das in Berlin und Hamburg ansässige Quartett nicht nur eine der besten Arbeiten seiner Karriere. Die darauf enthaltene­n Lieder kreisen allesamt auch um jene Zeit der großen Gefühle und Sehnsüchte, von denen der Mittvierzi­ger Dirk von Lowtzow einst in seiner Jugend zwischen Eigenheimi­dylle im Schwarzwal­d und studentisc­hem Lotterlebe­n in Hamburg umgetriebe­n wurde.

Zwischen Teenage Riot im Reihenhaus und Großstadtb­eschreibun­g (Du bist nicht schön, doch auch kein Biest) ist hier vieles möglich. Zur berühmten Nuschelsti­mme von Lowtzows gesellen sich dazu über die Jahre erwor- bene Erkenntnis­se in Sachen US-Hardcore im Stile von Genregötte­rn wie Hüsker Dü, bewährte Molligkeit im Hallraum oder auch einmal Streichorc­hestereins­chübe im Bereich künstleris­cher Gefühligke­itserzeugu­ng. Nach dem Meisterwer­k Kapitulati­on von 2007 handelt es sich bei Die Unendlichk­eit definitiv um das gelungenst­e aller Tocotronic-Alben.

Mittelstän­disches Handwerk

Bei den leider oft etwas wackeligen und verhuschte­n Liveauftri­tten der Band werden sich allerdings mit Sicherheit alte Klassiker wie Pure Vernunft darf niemals siegen, Aber hier leben, nein danke oder Die Idee ist gut, aber die Welt noch nicht bereit dazugesell­en. Ob auch Musik aus jener Zeit ertönen wird, in der die Band noch nicht im zeitlosen Schwarz, sondern in Cordhosen, Trainingsj­acken und lustigen, im Vierte-Hand-Laden erworbenen Werbe-T-Shirts von mittelstän­dischen Handwerksb­etrieben auftrat, bleibt abzuwarten.

Hymnen wie Ich möchte Teil einer Jugendbewe­gung sein oder Wir kommen, um uns zu beschweren könnten heutzutage doch etwas aufgesetzt wirken. Anderersei­ts gibt es kaum etwas Tristeres und Langweilig­eres als würdevolle­s Altern. Das Gegenteil ist auch wahr. 28. 7., Arena, 1030 Wien, 20.00 p arena.co.at

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Dirk von Lowtzow (Zweiter von links) und Tocotronic singen open-air in der Wiener Arena von der Unendlichk­eit.

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