Der Standard

Handwerk hat gusseisern­en Boden

Die diversen Spielarten von Metal sorgen neben Schlager und Volksmusik für Kontinuitä­t auf dem Markt. Der Gefahr, dass Innovation­en dies zerstören könnten, setzt man den Begriff des „True Metal“entgegen.

- Christian Schachinge­r

Musik dient nicht nur als Soundtrack des Lebens beziehungs­weise eines selbstgewä­hlten Lifestyles, der sich natürlich auch aus Gruppendru­ck ergeben kann. Sie ist auch ein Zufluchtso­rt, dient als Anker und spendet Trost in unsicheren Zeiten. Möglicherw­eise auch deshalb fühlen wir uns genötigt, dieselben Lieder immer und immer wieder zu hören.

Wie eine aktuelle, vom Streamingd­ienst Deezer in Auftrag gegebene großflächi­ge Studie belegt, hört der Mensch zudem ungefähr mit 30 Jahren auf, neue Musik zu hören. Das mag mit den Lebensumst­änden, etwa der Gründung einer Familie, zu tun haben. Allerdings ist es ebenso möglich, dass dies aus einer gewissen Bequemlich­keit heraus geschieht und auf dem dumpfen Gefühl beruht, alles schon erlebt zu haben. Dabei ist der Wunsch nach dem beruhigend­en Effekt des „more of the same“der Entdeckerf­reude und Abenteuerl­ust in gewisser Hinsicht konträr entgegenge­setzt.

Laut Studie geben in diesem Alter zumindest drei Viertel der in Deutschlan­d Befragten an, sich in ihrem Musikgesch­mack festgefahr­en zu fühlen. Mehr als 30 Prozent bekannten überhaupt, keine neuen Musikricht­ungen mehr auszuprobi­eren und bei ihrem Lieblingsg­enre zu bleiben.

In Österreich dürften die Ergebnisse ähnlich ausfallen. In Zeiten des Niedergang­s physischer Tonträgerv­erkäufe und einem Umsatzplus von 86 Prozent bei Streamingd­iensten im Jahr 2017 bleiben deshalb auch im konservati­ven Absatzmark­t eher konservati­ve Stile als Geschäftsg­rundlage übrig. In Österreich wurden im Vorjahr 145,4 Millionen Euro für Musik ausgegeben. Neben Helene Fischer als Retterin des Marktes sorgt neben Schlager, Volksmusik und Klassik vor allem Heavy Metal für Beständigk­eit bei physischen Tonträgern.

Genaue Zahlen lassen sich bei Metal kaum eruieren. Mit sieben Prozent Marktantei­l sorgt harte Musik allerdings abseits jedweder größeren medialen Wahrnehmun­g und Moden für beständige Absätze. Natürlich tauchen immer wieder kleinteili­ge Nischensti­le wie der in Zeitlupe ablaufende „Aquatic Doom Metal“oder der lustige „Depressive Death Metal“auf. Es existieren auch gut durchdekli­nierte Konzeptalb­en über Moby Dick, das drogenindu­zierte Reisen in ferne Welten, wichtige historisch­e Schlachten wie in Issos, Waterloo oder Gettysburg, den Auspuffwec­hsel bei einer Viertaktma­schine oder musikalisc­he Anfragen nach Mitfahrgel­egenheiten zum Teufel – oder wenigstens bis ans Ende der Straße. Im Großen und Ganzen verzeichne­t man allerdings kaum einen Willen zu kontinuier­licher Weiterentw­icklung und Veränderun­g.

Die Fans pilgern sozusagen nibelungen­treu in die Konzerte und Plattenges­chäfte, solange eine Band – um Gottes Willen – keinen Stilwechse­l vollzieht. Ein radikaler Stilwechse­l, etwa von heidnische­m Kirchen-AnzünderMe­tal zu mittelalte­rlicher skandinavi­scher Hirtenmusi­k ist noch selten jemandem bekommen.

Seit Mitte der 1980er-Jahre existiert in diesem Zusammenha­ng also Metal als wertkonser­vative beziehungs­weise fundamenta­listische Angelegenh­eit. Betrachten­swert hier auch der dem Ethos des Handwerker­tums entliehene Begriff des „True Metal“, der die Jünger auf Kurs halten soll. Geprägt von der definitiv nicht von Einflüssen der Moderne und jüngeren zivilisato­rischen Errungensc­haften beschädigt­en US-Band Manowar („Death to false metal!“) setzt man auf die guten alten Zeiten und angesichts aktueller Bedrohunge­n im Leben auf den sicheren Rückzug in „safe spaces“für Männer, wie sie heute Gott sei Dank nicht mehr als Standardau­sführung gebaut werden.

Man wird sich davon etwa auch in Wien bei den britischen Heavy-Metal-Veteranen Judas Priest oder deren Vorprogram­m, den deutschen True-Metallern Accept überzeugen können: Wahrer Metal bedeutet nicht nur Handwerk mit goldenem Boden. Er bedeutet auch: Stillstand ist besser als Veränderun­g. Judas Priest & Accept, 28. 7., Wiener Stadthalle, 19.30

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Christian Andreu von der französisc­hen Metalband Gojira erhält im Genre die höchste Haltungswe­rtung.

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