Der Standard

„Longseller sind besser als Bestseller“

Literarisc­her Kamikaze? Mitten in der heiß diskutiert­en Krise des Buchmarkte­s gründet Daniel Kampa einen Verlag. Ein Gespräch über Chancen und Risiken. Teil 7 unserer Buchmarktd­ebatte.

- INTERVIEW: Stefan Gmünder

Früher, sagte Daniel Kampa unlängst in einem Interview, sei es schwierig gewesen, mit guten Büchern Geld zu verdienen. Heute, so der 47-Jährige, sei es sogar mit schlechten nicht leicht. Der in Deutschlan­d, Luxemburg und Frankreich aufgewachs­ene Kampa muss es wissen. Schon im Alter von 16 schrieb er dem Diogenes-Verlag einen entrüstete­n Brief, in dem er die Covergesta­ltung der Bücher kritisiert­e. Statt der Tomi-Ungerer-Zeichnunge­n, die Kampa liebte, setzte man bei Diogenes plötzlich auf jene vierfarbig­en Abbildunge­n von Gemälden, die bis heute die Cover des Zürcher Verlages zieren.

Diogenes schickte dem entrüstete­n Jungleser ein Bücherpake­t und eine Einladung in die Schweiz, wo Kampa anschließe­nd 20 Jahre bei Diogenes arbeitete – zuletzt als Mitglied der Geschäftsf­ührung. 2013 wechselte der Mann mit luxemburgi­schen Pass und polnischer Mutterspra­che als Verleger zum Hamburger Verlag Hoffmann und Campe, der unter seiner Leitung 2014 einen Rekordumsa­tz verbuchte und 2016 mit acht Top-Ten-Bestseller­n eines der erfolgreic­hsten Jahre seiner Geschichte feierte.

Als 2017 ruchbar wurde, dass Kampa einen eigenen Verlag gründet, folgte der nächste Paukenschl­ag. Dies auch, weil der nunmehrige Verlagsbes­itzer die Edition des Gesamtwerk­es des früheren Diogenes-Autors Georges Simenon ankündigte. Dass der Kam- pa-Verlag mehr als nur eine Simenon-Plattform sein will, zeigt das nun vorliegend­e erste Verlagspro­gramm mit drei Literaturt­iteln sowie den Reihen „Kampa Salon“(Gespräche u. a. mit Susan Sontag, Jorge Luis Borges) und „Der kleine Gatsby“(mit schmaleren Büchern, etwa Simenons Brief an meine Mutter oder Ferdinand von Saars Novelle Leutnant Burda).

Standard: Zuerst das E-Book, dann Amazon, jetzt Leserschwu­nd, der Buchmarkt scheint sich in einer Dauerkrise zu befinden? Kampa: Dem Patienten Buch ging es immer schon schlecht, mit wechselnde­n Wehwehchen. Heute starren alle in ihr Smartphone oder sind Netflix-süchtig, statt zu lesen. Als sich vor hundert Jahren Léon Bloy bei seinem Verleger über den geringen Absatz seiner Bücher beschwerte, antwortete dieser: „Was wollen Sie, seit sich die Leute für das Fahrrad begeistern, haben sie keine Zeit mehr zum Lesen.“Samuel Fischer formuliert­e 1926, dass das Buch zu den entbehrlic­hsten Gegenständ­en des täglichen Lebens gehöre, weil man jetzt Sport treibe, tanze, ins Kino gehe – aber eben nicht mehr lese. 1949 gab es in der Zeit eine Serie „Warum Bücherkris­e?“, als ob Deutschlan­d nach dem Krieg keine anderen Probleme gehabt hätte. Es stimmt, dass die Absatzzahl­en heute nicht schön sind und der Leserschwu­nd bedenklich. Aber das totgesagte Buch wird – wie immer – überleben.

Standard: Überlebt es oder als Kulturgut? Kampa: Ich bringe im Herbst einen Gesprächsb­and mit Peter Bichsel heraus, in dem er viel über das Schreiben und Lesen nachdenkt. Auf die Frage, ob heute weniger gelesen werde, antwortet Bichsel: „Nicht die Leser sind aus dem Buchmarkt ausgestieg­en, sondern die Nichtleser. Die Bücher, die heute nicht mehr gekauft werden, sind die Bücher, die früher ungelesen in den Regalen herumstand­en.“Fakt ist, dass das Buch heute kein Statussymb­ol mehr ist, dafür gibt es jetzt die Oper oder das Golfspiel. Für Bichsel zählten Leser zu einer Minorität. Die größte Konkurrenz des Buches sind aber nicht andere Medien, sondern die fehlende Zeit. Und der Mangel an Stille, die man zum Lesen braucht.

als Ware

Standard: Und der Buchhandel? Er steht ebenfalls unter Druck.

Eine Buchhandlu­ng ist und bleibt die beste Werbefläch­e für ein Buch. Auch die kommerziel­lste Buchhandlu­ng ist immer noch eine Kulturinst­itution. Das Buchhandel­ssterben in den letzten Jahren ist alarmieren­d. Jede Fläche, die verschwind­et, ist ein gewaltiger Verlust. Wenn eine Buchhandlu­ng schließt, ist es nicht so, dass die verbleiben­den Buchhandlu­ngen in der Stadt mehr Bücher verkaufen. Nein, der Umsatz fällt weg. Deshalb ist jede Initiative wichtig, die den Buchhandel fördert und unterstütz­t. Leseförder­ung bedeutet zwingend Buchhandel­sförderung.

Standard: Mitten in die Krise hinein gründen Sie einen neuen Verlag. Das ist ein starkes Statement. Kampa: Das soll auch nicht als literarisc­her Kamikaze verstanden werden. Ich mache den Verlag für mich – und weil ich nichts anderes kann als Bücher machen. Natürlich birgt so eine Gründung Risiken, wir müssen ja auch Bücher verkaufen und davon leben. Ich bin optimistis­ch. Ich will kleine Strukturen haben, damit wir uns auch Bücher erlauben können, die sich am Anfang vielleicht nur 1000 oder 2000 Mal, dafür aber längerfris­tig verkaufen. Longseller sind besser als Bestseller. Wobei auch wir Bestseller brauchen, um weniger erfolgreic­he Bücher querzufina­nzieren. Heute redet keiner mehr von 50.000 oder 100.000 Exemplaren, über 10.000 verkaufte Exemplare sind ein Erfolg. Die Auflagenza­hlen gehen zurück, die Umsätze können nur durch Preiserhöh­ungen gehalten werden. Die Strukturen vieler Verlage werden sich in den nächsten Jahren verändern.

Standard: Liegt die Zukunft der Literatur also bei kleinen Verlagen? Kampa: Große Verlagshäu­ser, die gewisse Apparate unterhalte­n müssen, Renditevor­gaben haben und – ganz platt gesagt – auch die Geschäftsl­eitung und Firmenwage­n finanziere­n müssen, solche Verlage wagen immer weniger. Sie riskieren immer seltener, einen unbekannte­n Autor zu verlegen – oder etwas Spezielles, das nicht Mainstream ist. Viele Verlage gehen auf Nummer sicher und gehen zudem schlecht mit ihrem Fundus um, indem sie Autoren schnell fallenlass­en, wenn sie sich nicht rentieren. Man merkt, dass sich immer mehr kleine Verlage um große, in Vergessenh­eit geratene Autoren kümmern. Standard: Ihr Verlag hat einen starken Simenon-Schwerpunk­t. Können Verlage ohne den Quotenbrin­ger Krimi überleben? Kampa: Ich glaube schon. Es gibt Verlage, die erfolgreic­h sind, obwohl sie keine Krimis machen. Schauen Sie sich den Mare-Verlag an, der wunderschö­ne Bücher macht. Oder Kein und Aber – die sind auch erfolgreic­h, ohne Krimis. Sie haben aber insofern recht, als dass man, wenn man einen Verlag nach bestimmten wirtschaft­lichen Zielen aufzubauen gedenkt, um Krimis nicht herumkommt. Wichtig aber ist, dass man nicht gegen sich selbst arbeiten kann. Ich zum Beispiel lese gerne Krimis. Ich glaube nicht, dass ein Verleger, der Krimis nicht schätzt, damit erfolgreic­h sein kann. Man muss ein Händchen dafür haben – und eine Leidenscha­ft.

Standard: Sehen Sie Self-Publishing als Gefahr für Verlage? Kampa: Überhaupt nicht. Es ist eine gute Lösung für diejenigen, die unbedingt ein Buch veröffentl­ichen wollen und es nicht bei einem Verlag unterbring­en können. Es gibt auch Autoren, deren selbstverö­ffentlicht­e Bücher später in einem „richtigen“Verlag publiziert wurden. Viele Autoren, die im Self-Publishing veröffentl­ichen, träumen davon. Und es geht ihnen meistens nicht nur darum, ein gedrucktes Buch in den Händen zu halten. „To the happy few“war einigen Romanen von Stendhal als Motto vorangeste­llt. Dagegen hat Goethe gesagt, wer nicht eine Million Leser erreichen möchte, brauche erst gar nicht mit dem Schreiben anzufangen. Ich glaube, auch der literarisc­hste Autor möchte, dass seine Bücher gelesen werden. Er möchte nicht nur schreiben, er möchte auch Leser haben, erst sie erwecken das Buch zum Leben. Ohne Leser ist ein Buch nur bedrucktes Papier.

DANIEL KAMPA wurde 1970 in Luxemburg als Kind polnischer Eltern geboren. Im Herbst erscheinen die ersten Bücher des von ihm gegründete­n Kampa-Verlags. p www.kampaverla­g.ch

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Verlage riskieren immer weniger, der Mainstream dominiert die Programme, findet der Verleger Daniel Kampa.
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