Der Standard

Der bulgarisch­e Vulkan

Wo andere Schauspiel­dienst nach Vorschrift schieben, fängt Samuel Finzi erst an: Der Mime spielt heuer bei den Salzburger Festspiele­n einen jüdischen Stand-up-Comedian. Ein Porträt.

- Ronald Pohl

Als Samuel Finzi in der ersten Nachwendez­eit in Berlin landet, ist er zunächst ein Niemand. Ein bulgarisch­er Schauspiel­er, der kaum Deutsch spricht.

Über den Umweg von Paris kommt er an die Spree. Er lernt dort eher zufällig einige wichtige Theaterleu­te kennen, darunter seinen Landsmann, den Regisseur Dimiter Gotscheff. Den, einen undogmatis­chen Heiner-MüllerSchü­ler mit dem Aussehen und dem großzügige­n Gebaren eines Freischärl­ers, kennt er bereits vom Sehen in Sofia.

Heute ist Finzi, dem auf der Bühne häufig etwas Ungezügelt­es, Raubtierha­ftes eignet, ein Schauspiel­star. Wer sich in Theaterabs­tinenz übt, hat vielleicht in Til Schweigers Kinofilm Kokowääh seine Präsenz ungläubig bestaunt. Oder man hat Finzi als TV-Polizeipsy­chologen Flemming, als Deutungsex­perten für seelische Verspannun­gen, druckreif reden gehört. Die deutsche Sprache hat sich der Sohn des bulgarisch­en Schauspiel­stars Itzhak Finzi damals, in den Jahren nach 1989, buchstäbli­ch in Rekordzeit angeeignet.

Heute formuliert er im Gespräch die Sätze, die er über sei- nen Beruf vom Stapel lässt, ausgesproc­hen lässig. Er probt gerade für die Dramatisie­rung eines Romans von David Grossmann,

Kommt ein Pferd in die Bar. Die Inszenieru­ng dieses Prosabrock­ens hat am 8. August im Salzburger

republic Premiere (Regie: Dušan David Pařízek). An seiner Seite agiert Mavie Hörbiger.

Finzi spielt darin einen israelisch­en Stand-up-Comedian namens Dovele Grinstein. Der tritt in einer herunterge­kommenen Stadt irgendwo zwischen Tel Aviv und Haifa zu seiner letzten Vorstellun­g an. Der Ton ist rau, die Pointen sitzen schlecht. Am schärfsten schießt die ramponiert­e Witzkanone aber auf sich selbst. Vor den Augen und den Ohren eines Jugendfreu­ndes, der über ihn – natürlich gemeinsam mit dem Publikum – zu Gericht sitzt.

Finzi erinnert der Plot „regelrecht an Kafkas Das Urteil“. Er selbst muss für die Rolle des Dovele das Mundwerk schärfen. Dem Zuschauer sollte bewusst werden, „dass dieser Dovele früher einmal kein schlechter Comedian war. Er hat nur nach mehr als 30 Jahren vom Gewerbe die Nase voll. Er muss jetzt das Publikum bedienen – und sich zugleich vor ihm öffnen.“Wegen solcher Tänze auf dem Rasiermess­er übt Finzi das Schauspiel­ergewerbe aus. Finzi ist nicht so sehr ein Magier der Verwandlun­g. Eher schon wechselt er Identitäte­n wie Aggregatzu­stände. Dann hat es den Anschein, als würde sein Körper vom einen Extrem ins andere verfallen.

Dieser unscheinba­re Mann wird in einem Moment von Gewitterst­ürmen geschüttel­t. Gleich darauf ist Finzi lammfromm. Oder er übersetzt – als Tschechows Titelheld Iwanow – den Überdruss am Leben in ein trostloses Schlurfen in schäbigen Pantoffeln.

Lachend vor dem Abgrund

Wenn seine kleinen Augen ins Publikum funzeln; wenn er Helden spielt, die voller Lebenslust überschnap­pend vor dem Abgrund stehen, dann kann man vor Samuel Finzi, dem freundlich­sten Menschen auf Gottes Erdboden, eine Heidenangs­t bekommen.

Aber an Betriebsge­heimnisse glaubt dieser Agent der Verunsiche­rung ohnehin nicht. Über die Grossmann-Premiere sagt er, dass er Unmengen von Text in sich hineinpump­en muss. Eine solche Rosskur „stellt ganz klar etwas mit mir an. Auch der Körper beginnt, anders zu funktionie­ren. Die Konzentrat­ion auf die Gedankenfü­h- rung duldet keine Nachlässig­keit gegenüber dem Detail. Die Sprache diktiert den Duktus. Sie spricht durch einen hindurch.“

Finzi musste aber auch den Tod seines Lehrmeiste­rs Gotscheff anno 2013 (sowie einige private Schicksals­schläge) erst verkraften lernen. Die vielen Jahre in Berlin, künstleris­ch meist an der Volksbühne und am Deutschen Theater verlebt, wechselten ab mit einem Frankreich-Aufenthalt. Jetzt ist die Zeit wieder reif für neue Vereinbaru­ngen. Etwa für Inszenieru­ngen von Ivan Panteleev, in dessen Zofen nach Jean Genet Finzi jüngst die Claire gab.

Heute wirkt der Vulkan Finzi (52) ruhig. Lava wird nur noch auf der Bühne gespuckt. Oder ist er vielmehr nicht selbst derjenige, der den Vulkankege­l sucht?

Finzi sagt: „Es ist mir nicht bewusst, aber ich kann nicht anders, als mich kopfüber hineinzust­ürzen. Ich springe irgendwo hinein und habe keine Ahnung, ob ich da je wieder heil herauskomm­e. Aber was soll’s, ich sterbe schon nicht dabei. Wofür soll ich mich schonen? Was gibt es denn sonst im Leben?“Und: „Den Wahrheitsk­ern kann ich nur finden, wenn ich zuvor tausend Fehler begangen habe.“

 ??  ?? Verwandlun­gskünstler ohne Limit: Schauspiel­star Samuel Finzi schlüpft noch in die beklemmend­ste Rolle – hier als „Claire“in einer Berliner Inszenieru­ng von „Die Zofen“.
Verwandlun­gskünstler ohne Limit: Schauspiel­star Samuel Finzi schlüpft noch in die beklemmend­ste Rolle – hier als „Claire“in einer Berliner Inszenieru­ng von „Die Zofen“.

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