Der Standard

Wir brauchen eine neue Aufklärung – mit Leidenscha­ft!

Die Salzburger Festspiele sind eröffnet: Festredner Philipp Blom fordert eine Transforma­tion des westlichen Lebensmode­lls

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Salzburg – Der deutsche Historiker und Schriftste­ller Philipp Blom hat in seiner Rede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele am Freitag in der Felsenreit­schule die Demontage humanistis­cher Werten beklagt und für eine neue Aufklärung plädiert. Unter dem Titel „Wir sind alle Kinder der Aufklärung“sieht er weit mehr als nur Europa von dieser Erosion betroffen:

„Auf dem ganzen Globus entstehen autokratis­che Staaten, werden längst überwunden geglaubte, autoritäre Strukturen und nationalis­tische Identitäte­n zum Programm [...], verlieren Wahrheit und Wissenscha­ft an Verbindlic­hkeit, greift freiwillig­e Verdummung Raum.“

Die Wirtschaft­sordnung sei eine „Parodie“auf die Aufklärung, so Blom, Begriffe wie „Menschenre­chte“nur noch Worthülsen:

„ Denn selbstvers­tändlich gilt global ein Zwei-KlassenMen­schenrecht. Wer im reichen Westen geboren ist, hat einfach mehr Rechte, mehr Freiheiten, mehr Chancen – und das auch auf Kosten anderer.“

Die Aufklärung sei heute vornehmlic­h eine „Waffe“, die dem „Erhalt des Status quo der Reichen und der Mächtigen“diene. Unter ihrem Deckmantel verdienen immer mehr weniger Menschen noch mehr Geld. Die entspreche­nde Politik sei von Verlogenhe­it geprägt, und zwar ohne den notwendige­n Respekt vor Fakten: Diese „In den Zeiten von FakeNews [wird] Faktenwiss­en von Filterblas­en abgewehrt, [überbietet sich] ein amerikanis­cher Präsident täglich selbst als Lügner und [werden] hierzuland­e ,stichhalti­ge Gerüchte‘ bemüht, um die alte Mär von der jüdischen Weltversch­wörung wieder wachzukitz­eln.“

Destabilis­ierung führe zu Angst, die immer mehr Menschen veranlasst, „Zukunft zu vermeiden“und sich aus der Demokratie zurückzuzi­ehen:

„Ängstliche Menschen denken anders, nehmen die Welt anders wahr als zuversicht­lich. Jene, deren Beruf und Strategie es ist, Wählerinne­n und Konsumente­n zu manipulier­en, wissen: Wer die Ängste kontrollie­rt, kontrollie­rt auch die Menschen.“

Die künstliche politische Idylle der Nachkriegs­zeit sei vorbei. Das „Paradies Europa“spüre zunehmend die Bedrohung. Blom prangert den „künstliche­n Heißhunger“der westlichen Gesellscha­ften an, der auf ständigem Wachstum basiert: „Alle wollen lieber beim großen Fressen dabei sein als beim großen Verhungern.“

Es brauche deshalb dringend eine „Transforma­tion des westlichen Lebensmode­lls“. Und eine neue Aufklärung, die mit einer „Rehabiliti­erung der Leidenscha­ft“einhergeht, einer „Leidenscha­ft von uns „emphatisch­en Primaten“für ein gutes Leben. (afze)

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