Der Standard

Revoluzzer und fesche Uschis im barocken Garten

Der „Spirit of 68“inspiriert auch Wiens schönstes Open-Air-Kino. In der Orangerie des Belvedere gedenkt man der Helden und Rebellinne­n eines gesellscha­ftlich wie kulturell stürmische­n Jahres.

- Dorian Waller

Wenn sich direkt neben gediegenen Gemälden filmische Fieberträu­me erleben lassen, dann ist wieder das Open-Air-Sommerkino im Kammergart­en des Belvedere am Laufen. In ihrer zweiten Auflage greift die Kinoreihe das Jahresmott­o des Belvedere 21, „Spirit of 68“, auf. Während in der 800 Meter entfernten Dependance für zeitgenöss­ische Kunst das Jahr 1968 auf seine Relevanz für die Gegenwart abgeklopft wird, sind vor der Orangerie des Belvedere, im ehemaligen Privatgart­en Prinz Eugens, vom 1. bis 22. 8. Filme zu erleben, die mehr als nur einen Hauch von Revolution erschnuppe­rn lassen.

Klassiker des New Hollywood dürfen da natürlich nicht fehlen. Filme also, die von 1967 bis in die 1970er-Jahre frischen Wind in das US-Kino brachten, dessen klassische­s Studiosyst­em damals an einem toten Punkt angekommen war. Die Reifeprüfu­ng von Mike Nichols wirkte in jener Zeit, in dem üppig ausgestatt­ete Musicals noch immer zum Standardre­pertoire der Traumfabri­k gehörten, geradezu revolution­är. Als von der Erwachsene­nwelt angeödeter College-Absolvent geht Dustin Hoffman darin gleich zwei skandalöse Beziehunge­n ein: erst mit einer verheirate­ten Frau, dann mit deren Tochter. Im kollektive­n Gedächtnis ist das Pantscherl mit der reiferen Mrs. Robinson wesentlich solider verankert, was sicher zu einem guten Teil auch dem Soundtrack von Simon & Garfunkel zu verdanken ist, der mit seiner Mischung aus Melancholi­e und Leichtigke­it die Erzählung so perfekt unterstütz­t. 1969 war dann mit Dennis Hoppers Easy

Rider endgültig Schluss mit lustig, in vielerlei Hinsicht. Als geradezu experiment­el- ler Autorenfil­m, roh und ohne Happy End, avancierte die Geschichte eines Biker-Trips zum kommerziel­l dritterfol­greichsten Film des Jahres. Hippieträu­me wurden ein für alle Mal zu Grabe getragen, gleichzeit­ig begann, da die Kassen so erfreulich klingelten, endgültig ein neuer Abschnitt der USFilmgesc­hichte.

Hal Ashbys Harold and Maude, Franklin J. Schaffners Planet der Affen oder Francis Ford Coppolas Apocalypse Now, heute kultisch verehrte Filme, könnten stilistisc­h unterschie­dlicher kaum sein, sind mit ihrem kritischen Blick auf die Gesellscha­ft jedoch unverkennb­ar Kinder ihrer Zeit.

Der radikalste Rückblick auf die Zeit der Blumenlieb­e musste aber freilich von außen kommen. Bis heute scheiden sich an Michelange­lo Antonionis Zabriskie Point die Geister, gesehen sollte man sie aber haben, diese Stadtfluch­t ins Death Valley, wo Dutzende Leiber auf den Sedimenten eines verschwund­enen Sees miteinande­r verschmelz­en, ehe am Ende Kühlschrän­ke und Truthähne in und durch die Luft fliegen. Ein deutliches Kontrastpr­ogramm auch zu einer anderen Arbeit, mit der ein europäisch­er Regisseur der Generation der Zottelmähn­en auf der Leinwand Tribut zollte, Miloš Formans Musical-Verfilmung Hair.

Bei all den zahlreiche­n und vielzitier­ten amerikanis­chen Produktion­en jener Zeit scheuen die Kuratoren der Filmschau, Robert Buchschwen­ter und Valentina Cancelli, aber auch nicht den Blick auf das deutschspr­achige Kino. Hier galt das Schwärmen der Kommunarde­n ganz den beiden bayerische­n Uschis. Während Uschi Obermaier in Rudolf Thomes Rote Sonne Teil einer mörderisch­en WG ist, darf Uschi Glas, die kurz zuvor noch als Halbblut Apanatschi Winnetou und Old Shatterhan­d zum Schwitzen brachte, in Zur Sache,

Schätzchen, einen Polizisten durch gezielte Kleidungsr­eduktion verwirren. Die gerne als kultig bezeichnet­e Komödie von May Spills soll außerdem die Wörter „fummeln“und „Dumpfbacke“in der deutschen Sprache verfestigt haben, stellt also eine äußerst verdienstv­olle Arbeit dar.

Wie es sich für eine anständige Filmschau gehört, darf im vielleicht schönsten Freiluftki­no der Stadt ein Blick auf gegenwärti­gere Produktion­en nicht fehlen, die mehr oder weniger direkt den Geist der aufregende­n Jahre um 1968 spüren lassen. Als einziger Dokumentar­film im Programm nimmt sich Tom DiCillos The Doors – When

You’re Strange nicht nur einer legendären Band, sondern mit Sänger Jim Morrison auch eines der charismati­schsten Künstlers jener Zeit an. Der von Johnny Depp erzähl-

te und ausschließ­lich auf zeitgenöss­ischen Aufnahmen basierende Film hat nicht nur den Segen der noch lebenden Doors-Mitglieder erhalten, er zeigte zudem erstmals Passagen aus Morrisons Filmfragme­nt HWY: An American Pastoral.

Die wilde Zeit von Olivier Assayas und

A Walk on the Moon von Tony Goldwyn entführen die Zuseher ebenso in die Vergangenh­eit. Während Assayas einen französisc­hen Schüler in den Monaten nach den Unruhen im Mai 1968 begleitet und so das Ende jugendlich­er Träume zeigt, erzählt Goldwyns von einer Liebesgesc­hichte vor dem Hintergrun­d von Woodstock und der ersten Mondlandun­g.

Viggo Mortensen, der in Goldwyns Drama das Objekt von Diane Lanes Begierde gibt, ist auch in Captain Fantastic als Aussteiger zu sehen, der seinen sechs Kindern in der amerikanis­chen Wildnis das Jagen und die Ansichten Noam Chomskys lehrt. Bei all dieser geballten Schrulligk­eit ließen Vergleiche mit Little Miss Sunshine für die herzerwärm­ende Komödie von Matt Ross nicht lange auf sich warten.

All jenen, denen dieses üppige filmische Bouquet noch nicht Flower Power genug ist, können sich im Belvedere übrigens zugleich auch unbewegter­e Bilder zu Gemüte führen. Mit dem Kinoticket kann nämlich neben der Schau Klimt ist nicht das Ende auch die Ausstellun­g Sag’s durch die Blume – Wiener Blumenmale­rei von Waldmüller bis Klimt besucht werden. Zudem wird für Ticketbesi­tzer täglich um 19 Uhr eine kostenlose Führung der Blumenauss­tellung angeboten. Das Museum ist während der Laufzeit der Kinoreihe praktische­rweise bis 21 Uhr geöffnet.

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Als das Biken noch geholfen hat: Im Roadmovie „Easy Rider“schlürfen Dennis Hopper und Peter Fonda den Fahrtwind der Freiheit ein.
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Foto: Sandro Zanzinger / Belvedere Dort, wo Prinz Eugen Zerstreuun­g suchte, flackern heuer die Bilder der Revolte.

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