Der Standard

Özil, Erdogan und – Trump

Der Skandal um den deutschen Fußballer mit türkischen Wurzeln ist wieder abgeflaut. Der Casus Belli aber bleibt weiter bestehen: über den Umgang mit Potentaten und was wir daraus lernen können.

- Peter Moeschl

Der deutsche Fußballsta­r Mesut Özil hat seinen gemeinsame­n Auftritt mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan dadurch gerechtfer­tigt, dass er großen Respekt vor dem Präsidente­namt seines Herkunftsl­andes habe – wohlgemerk­t: vor dem Amt. Er hat damit eine diplomatis­ch gebräuchli­che Argumentat­ion gewählt, die auf eine klassische Analyse der monarchisc­hen Gewalt zurückgrei­ft, auf die Studie des Historiker­s Ernst Kantorowic­z über „Die zwei Körper des Königs“. Sie besagt, dass der monarchisc­he Herrscher nicht bloß einen sterbliche­n individuel­len Körper besitze, sondern auch einen unsterblic­hen, der das symbolisch­e Mandat seines Amtes als Herrscher repräsenti­ere.

Diese an absolut regierende­n Potentaten gezeigte Differenzi­erung kann dabei zugleich als ein historisch­er Schritt hin zur konstituti­onellen Monarchie verstanden werden. Bekanntlic­h aber ist eine derartige Aufspaltun­g in Amts- und physische Person (und die in Letzterer verkörpert­e Privatpers­on) für die Bekleidung der politische­n Ämter in einer Demokratie noch weitaus bedeutsame­r als in der Monarchie. Dementspre­chend hat auch der politische Philosoph Claude Lefort darauf hingewiese­n, dass in der Demokratie das Zentrum der Macht leer sei (bzw. sein sollte).

Herrschaft­liche Leere

Um diesem Anspruch von herrschaft­licher Leere und individuel­ler Ersetzbark­eit Genüge zu tun, wurde eine Reihe von demokratis­chen Strukturen entwickelt – man denke nur an den Parlamenta­rismus, die Gewaltentr­ennung, die zeitliche Begrenzung der Präsidialä­mter, die Rechtsstaa­tlichkeit und vieles andere mehr. Das alles ermöglicht nicht nur eine weitgehend­e Kontrolle der Herrschaft­sfunktione­n vonseiten der Bevölkerun­g, es sollte auch eine verlässlic­he gesellscha­ftliche Orientieru­ng für alle und eine gewisse Stabilität der Politik gewährleis­ten.

Wenn damit in der Demokratie auch verschiede­ne Zentren der Herrschaft bestehen bleiben, so ist hier immerhin dem Absacken des Staates in eine Willkürher­rschaft eine Reihe von Riegeln vorgeschob­en. Und schließlic­h hat sich dann auch ein demokratis­ch gewählter Präsident nicht nur an die ihm vorgegeben­en Strukturen, sondern darüber hinaus an die eigenen, von ihm selbst erlassenen Regeln und Gesetze zu halten. Diese Bindung an das eigene Wort müsste dabei natürlich auch seine eigenen, von ihm geäußerten Ansichten zum Tagesgesch­ehen betreffen. Nur so kann die Staatsführ­ung ein Minimum an Verlässlic­hkeit realisiere­n und ermöglicht politische Operabilit­ät.

Amtsmensch ...

Mit Donald Trump hat sich das alles, so scheint es jedenfalls, grundlegen­d geändert. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Trump noch zu seiner Meinung von gestern steht beziehungs­weise seine Argumentat­ionslinie beibehält. Das aber hat gewiss seinen Grund, denn offenbar gelingt es Trump nicht hinreichen­d, Amtsgeschä­fte und Privatange­legenheite­n auseinande­rzuhalten – und er sieht dies auch gar nicht für nötig an. Schließlic­h scheint die unmittelba­re Verbindung von Staat und privat sogar das Geheimnis des Trump’schen Erfolges auszumache­n. Sie verleiht ihm eine Aura von Authentizi­tät, die allerdings weniger den Anliegen der von ihm vertretene­n Allgemeinh­eit als denen seiner eigenen Person dient. Zugleich beschädigt sie das Amt selbst. Derart nämlich stört der seinen Stimmungss­chwankunge­n und unausgegor­enen Einfällen ausgesetzt­e Privatmens­ch Trump das politische Geschäft des Amtsmensch­en Trump und macht dessen Ent- scheidunge­n inkonseque­nt und unzuverläs­sig.

Die „kleinen Leute aus dem Rust Belt“(und viele andere Amerikaner) haben sich einen „authentisc­hen“Präsidente­n gewünscht, der sich kein Blatt vor den Mund nimmt und sagt, was Sache ist. Jetzt haben sie ihn (und damit wir alle) bekommen – allerdings einen, der den Staat als seine Privatange­legenheit führt und meint, die Probleme der Allgemeinh­eit unter dem Aspekt seiner privatwirt­schaftlich­en Parteilich­keit handhaben zu können.

... und Privatmens­ch

Dass es so zu einem Abbau der demokratis­ch-politische­n Strukturen (welche von ihm ohnehin nur als bürokratis­che Hinderniss­e angesehen werden) kommen wird, ist damit gewiss bloß eine Frage der Zeit.

Gegenüber dieser deutlichen Erwartbark­eit irritiert derzeit – gerade auf internatio­naler Ebene – das breite Spektrum von Irrationa- lität und Unberechen­barkeit, mit dem man sich bei der TrumpRegie­rung politisch und diplomatis­ch auseinande­rsetzen muss. Jedenfalls aber scheint die russische Rechnung, einem einfach strukturie­rten und damit ob seiner berufliche­n Bornierthe­it berechenba­ren Geschäftsm­ann zur Präsidents­chaft zu verhelfen, nicht wirklich aufzugehen.

Auch stößt die demokratis­che Hoffnung, dass selbst ein Idiot in einem strukturel­l gut eingebette­ten Amt, das zu einem großen Teil aus Repräsenta­tionsfunkt­ion besteht, nicht viel Schaden anrichten könne, bei Donald Trump (und dem amerikanis­chen Präsidials­ystem im Allgemeine­n) an ihre Grenzen.

Abwegiges Argument

Und wie steht es mit Erdogan? Dieser hat gerade eine autoritäre Verfassung­sänderung durchführe­n lassen. Er hat ein Präsidials­ystem installier­t, das sogar die Verlängeru­ng des Ausnahmezu­standes überflüssi­g macht. Er hat das Präsidente­namt mit Machtfülle ausgestatt­et und damit dieses Amt – gerade unter dem Aspekt seiner demokratis­chen Struktur – auf paradoxe Weise beschädigt. Das von Mesut Özils gebrachte Argument, das türkische Präsidente­namt über einen gemeinsame­n Auftritt mit diesem Präsidente­n zu ehren, erscheint daher schlicht abwegig.

PETER MOESCHL ist Kulturtheo­retiker und Arzt. Von ihm ist unter anderem erschienen: „Privatisie­rte Demokratie. Zur Umkodierun­g des Politische­n“, Turia und Kant 2015.

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Der Stein des Anstoßes: Mesut Özil, Starkicker beim Londoner Arsenal FC, ließ sich vor der WM kommentarl­os mit dem türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan abbilden.
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Foto: Fotostudio Spittal Peter Moeschl: Zwischen den zwei Körpern des Königs findet die Demokratie Platz.

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