Der Standard

Der Falschabbi­eger

- Colette M. Schmidt

Eines muss man der ÖVP lassen: Ihre Vorväter haben den Parteiname­n einst in weiser Voraussich­t ausgewählt: Österreich­ische Volksparte­i. Das geht sich noch aus. Der Begriff des Volkes ist historisch ohnehin schon ein geschunden­er und wurde immer schon von allerlei Fraktionen für sich in Anspruch genommen. Das Christlich­e oder gar das Soziale im Namen zu führen, wie es die Schwesterp­arteien in Deutschlan­d tun, kann lästig werden. Denn wie sollte man es noch rechtferti­gen? Am Ende hätte man neben der Parteifarb­e auch noch den Namen ändern müssen.

Selbst Menschen, die weder Kirchgänge­r noch Religionsw­issenschaf­ter sind, mag in letzter Zeit schon aufgefalle­n sein, dass neben den Aussagen zur Asylpoliti­k von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und anderen Größen seiner Partei Papst Franziskus dasteht wie ein Linksextre­mer. Auch immer mehr katholisch­e Bischöfe, denen früher nachgesagt wurde, gewisserma­ßen das Gewissen der Volksparte­i zu sein, scheinen aus der Zeit gefallen zu sein. Deutliche Worte fand etwa der steirische Bischof Wilhelm Krautwasch­l, als er im Juli – ausgerechn­et an der slowenisch-österreich­ischen Grenze – kritisiert­e, dass „tote Menschen im Mittelmeer und woanders beinahe unwiderspr­ochen hingenomme­n werden“, dass sich alles nur um „Abschottun­g“drehe und er sich frage, wo „denn das oft herbeigere­dete christlich­e Abendland geblieben“sei.

Nein, die christlich­en Kirchen sind nicht plötzlich nach links außen gerückt. Einer, der die ÖVP gut kennt, seit vielen Jahrzehnte­n ein Teil von ihr war und mit der Situation von Flüchtling­en in Österreich vertraut ist – der Katholik Christian Konrad –, sieht die Abbieger anderswo: Kanzler Sebastian Kurz sei „in der Flüchtling­sfrage auf ein anderes Gleis abgebogen“, wie es Konrad kürzlich formuliert­e.

Wenn der Wind besonders scharf weht, ist Haltung gefragt. Diese soll eigentlich von Menschen, die an etwas glauben, das man Nächstenli­ebe oder Solidaritä­t nennen kann, Humanismus, Menschenre­chte oder christlich­e (wie auch jüdische oder muslimisch­e) Werte, leichter eingenomme­n werden.

Nur im Büro ein Kreuz an die Wand zu nageln ist heuchleris­ch. Nur an die nächsten Wahlen zu denken, nach den Rechtspopu­listen zu schielen und dabei den sozialen Frieden im Land und in ganz Europa zu gefährden ist aber auch politisch – christlich hin oder her – schlichtwe­g gefährlich.

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