Urlaub auf Türkisch
Die Zeiten, in denen man unbedenklich einen Türkei-Urlaub buchte, sind vorbei – dabei ist an türkischen Stränden von Politik nicht das Geringste zu spüren. Die Schriftstellerin Sabine Scholl über ihren Aufenthalt in der Region von Izmir, einer liberalen H
Von der Terrasse überblicke ich die blaue Bucht von Sıgacık mit Badegästen, zahlreichen Windsurfern und einem vor der Küste lagernden, grauen Militärschiff. Samos und damit Europa ist bloß eine Stunde Bootsfahrt entfernt. Am Strand bin ich die einzige Fremde unter jungen Paaren und Großfamilien, Gruppen von jungen Leuten. Ausländische Touristen halten sich bevorzugt in Ferienanlagen auf, die sie selten verlassen. Ich beobachte einige wenige Burkini-Trägerinnen, vor allem jedoch Bikinifrauen und Hipster, welche unablässig Selfies produzieren. Auch im Restaurant, das wegen des Panoramablicks boomt, ist anhand der äußeren Erscheinung der Gäste nicht erkennbar, ob sie Einheimische sind oder nicht. Anscheinend sieht Mittelklasse überall gleich aus: Kleidung, Attribute, Verhalten, egal ob Türkei oder anderswo. Von Politik ist hier nicht das Geringste zu spüren. Die türkischen Urlauber lassen es sich gutgehen, es wird gelacht und gefeiert. In europäischen Medienberichten hingegen wird das Land oft als problematisch dargestellt, Angriffsziel für Terror, gefährlich sogar für Ausländer. Das stimmt zwar, nur gibt es daneben ein normales Leben, das weiterläuft wie zuvor. Während anderswo über Nacht Menschen aus Universitäten, Militär, Gerichten, Theatern entlassen und verhaftet, die Rechte aller eingeschränkt werden, gibt es weiterhin sonnenblumenkernknackende Männer, viel Geschäftigkeit und Geschäfte.
Der größte Kulturschock ist wohl, dass auf den ersten Blick mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zu bemerken sind. Das gilt umgekehrt genauso. Als mich beim Schwimmen eine Welle plötzlich nahe an eine Frau treibt, grüßt sie freundlich mit Merhaba. Das Meer ist wegen des Winds ein wenig wild, aber ich mag es, in den Wellen zu schaukeln. Dass ich als Frau allein unterwegs bin, stellt kein Problem dar, obwohl ich zugebe, dass ich mich vor der Abreise darüber ausreichend informiert habe. Die Zeiten, in denen man unbedenklich einen TürkeiUrlaub buchte, sind vorbei.
Doch glücklicherweise habe ich in M. eine einheimische Begleiterin, die mich über Hintergründe aufklärt: „Die Region um Izmir ist eine liberale Insel, leider die Ausnahme in diesem Land. Das war auch der Grund, warum ich aus Istanbul hierhergezogen bin. Mit Trinken und Feiern versuchen die Leute jetzt die bedrohliche Wirklichkeit zu verdrängen.“
Bei einem Ausflug macht sie mich auf langgezogene, leerstehende Gebäude aufmerksam, in denen zu guten Zeiten Busladungen voller Touristen günstige Lederwaren, Teppiche und Schmuck erwerben konnten. Sie gingen alle pleite. Warum weniger Urlauber aus dem Ausland kommen, frage ich.
„Na, wegen diesem Typen, der dauernd Blödsinn labert und vor dem alle Angst haben.“
Sie verzieht ihr Gesicht und macht schnatternde Geräusche. In stiller Übereinkunft hüten wir uns, den Namen des Präsidenten je auszusprechen. M. zeigt auf die endlosen Siedlungen türkischer Ferienhäuser entlang der Küste, einzelne Hügel sind von zweistöckigen Bauten mit Meerblick überzogen und heben sich wie Geschwüre von den grün bewachsenen Nachbarhügeln ab. Bauland und -genehmigungen werden – wenn es auf legalem Wege nicht klappt – mithilfe von unvermutet ausbrechenden Wildfeuern besorgt, erzählt M. Anscheinend gibt es genügend Familien, meist aus Izmir, die sich einen Zweitwohnsitz in Strandnähe leisten können. M. beklagt die Zerstörung der Landschaft. Ohnehin entwickelt sich die Gegend vom Anbauen zum Bauen. Fischer und Landwirte werden zu Immobilienmaklern. Man investiert in billigen Grund und kaputte Häuschen in der Hoffnung, den Millionendeal beim Wiederverkauf einzufahren.
Als ich frage, ob nicht Nachhaltigkeit und Naturschutz für den Tourismus besser wären und ob es keine Regeln dafür gäbe, sagt sie achselzuckend: Regeln gebe es, aber keiner überprüfe deren Einhaltung. Und schließlich – wen kümmert’s?
„Bringt Tourismus nicht Geld ins Land?“
„Ja schon, aber der, der an der Macht ist, hat genug Geld und noch mehr in Aussicht. Braucht keine Touristen. Und was er nicht braucht, braucht auch das Volk nicht. Und im Übrigen ist ihm das Volk egal.“
„Diese Häuser hier, das sieht alles irgendwie unruhig aus. So ohne Konzept“, stellt auch H. fest, die ich beim Frühstück kennenlerne. Die Wirtschaftsprüferin ist in Berlin aufgewachsen und vor 13 Jahren ins Land ihrer Eltern gezogen. In letzter Zeit fürchtet sie jedoch um ihre Freiheiten als selbstbestimmte Frau: „Wer weiß, wie lange es noch dauert, dass wir so rumrennen können, wie wir wollen?“Tatsächlich sind Frauen meist die ersten Opfer autoritärer
Ohnehin entwickelt sich die Gegend vom Anbauen zum Bauen. Fischer und Landwirte werden zu Immobilienmaklern. Man investiert in billigen Grund und kaputte Häuschen ...