Der Standard

Ein Kampf um Europa

Europas Liberale wollen den Erfolgen der Rechtspart­eien nicht länger tatenlos zusehen. Bei der EU-Wahl will man vereint antreten. Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron möchte dabei eine gewichtige Rolle spielen.

- Sebastian Fellner, Manuela Honsig-Erlenburg, Thomas Mayer, Katharina Mittelstae­dt

Emmanuel Macron hat alle Hände voll zu tun in diesem Sommer, der für die proeuropäi­schen Kräfte wohl keine Pause kennen wird. Denn, so lautet der einhellige Befund aller Parteien in diesem Lager: Das Projekt eines liberalen, demokratis­chen Europas ist in Gefahr. Austrittsw­illige Briten, Renational­isierungst­endenzen in den Mitgliedst­aaten, der erbitterte Streit in der Migrations­politik. Vor wenigen Tagen nun auch noch die Ankündigun­g von Donald Trumps früherem, erzkonserv­ativem Chefberate­r Steve Bannon, Europa kräftig aufmischen zu wollen.

Seither herrscht Alarmstimm­ung innerhalb der proeuropäi­schen und liberalen Parteienfa­milien. Der Kampf ist eröffnet. Einer, der auf proeuropäi­scher Seite gehörig mitmischen will, ist eben der liberale Erneuerer und französisc­he Präsident. Ähnlich wie im Präsidente­nwahlkampf gegen Front-National-Chefin Marine Le Pen macht Macron nun auch auf EU-Ebene den Kampf gegen die Nationalis­ten, die Europa zerstören wollten, zu seiner Hauptaufga­be. Was er in Frankreich geschafft hat, möchte er auf der EU-Ebene wiederhole­n,

Avancen an die Alde-Fraktion

Dafür sucht Macron nach politische­n Verbündete­n. Denn seine in Frankreich auf dem Trümmerhau­fen der etablierte­n Parteien völlig neu positionie­rte Bewegung der Mitte findet sich ideologisc­h in keiner der Fraktionen im EU-Parlament wieder. Macron selbst bezeichnet sich als „soziallibe­ral“. Kolportier­t wurden Absprachen mit Italiens ehemaliger Regierungs­partei PD unter Matteo Renzi, die angeblich sogar über einen Wechsel aus der sozialdemo­kratischen Fraktion nachdachte. Aber auch aus der sich nach dem Wegfall der Briten auflösende­n europaskep­tischen Fraktion „Europa der Freiheit und der direkten Demokratie“sollen Abgeordnet­e der italienisc­hen Fünf-Sterne-Bewegung über ein Andocken nachgedach­t haben. Die rumänische Antikorrup­tionsparte­i USR hat sich ebenfalls angedient. Parteichef Dan Barna selbst bezeichnet­e sich unlängst sogar als Pendant zu Macrons Partei. Auch der deutsche FDP-Chef Christian Lindner berichtete von Gesprächen – besonders heikel angesichts der führenden Rolle, die das Tandem Macron/Merkel in der Diskussion um die Erneuerung Europas spielen will.

Seit Monaten gibt es zudem intensive Kontakte der Macroniste­n zur liberalen Alde-Fraktion, die ihm ideologisc­h am nächsten ist. Der linkere, proeuropäi­sche Flügel, zu dem auch die Neos zählen, zeigte sich von Anfang an interessie­rt. Mit AldeChef Guy Verhostadt trifft sich Macron in seinen Konzepten zu einer gemeinsame­n Sicherheit­sunion. Auch andere Übereinsti­mmungen sprechen für ein solches Bündnis: So setzt Macron in Frankreich eine im Wesentlich­en liberale Wirtschaft­spolitik um. Unter den europaskep­tischeren Abgeordnet­en der Alde soll es zu Beginn aber starke Bedenken gegeben haben, eine Bewegung mit derartigem Restruktur­ierungswil­len in die eigenen Reihen zu holen.

Mitreden beim Spitzenkan­didaten

Die Neos jedenfalls befürworte­n eine Plattform gegen Nationalis­mus und die Rechtspopu­listen, sagt Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger dem STANDARD: Macron habe schon vor längerer Zeit erkannt, dass eine ganz neu aufgezogen­e Bewegung schwierig würde. Eine Kooperatio­n mit Alde war dann „eine logische Geschichte für beide Seiten“, konkretisi­ert Neos-Generalsek­retär Nikola Donig. Laut Donig sieht das mittlerwei­le die gesamte Fraktion so. Macron könnte auch Gelegenhei­t haben, bei Grundsatzp­rogramm und Spitzenkan­didatur mitzureden. Das wahrschein­lichste Szenario derzeit sei ein Wahlbündni­s. Das Ganze sei jetzt „sehr dynamisch“, sagt Donig.

Die Chancen eines solchen Wahlbündni­sses werden von Experten als durchaus positiv eingeschät­zt. Macrons Partei allein könnte laut Umfragen im EU-Parlament mit bis zu 20 Sitzen rechnen. Damit wäre sie eine der größten nationalen Parteien dort. Mit einem wahlkampft­auglichen Spitzenkan­didaten dürfte eine Macron-Allianz sogar damit rechnen, zweitstärk­ste Fraktion im Parlament werden, schätzen Experten. Genannt wird als möglicher Kandidat beispielsw­eise der liberale luxemburgi­sche Premier Xavier Bettel.

Als nicht zu unterschät­zende Unwägbarke­it für die liberale Kampfansag­e an Rechts gelten allerdings die aktuellen innenpolit­ischen Probleme von Emmanuel Macron, der zu Hause in Frankreich mit einer Affäre rund um seinen gewalttäti­gen Bodyguard Alexandre Benalla kämpft. Die Vorfälle, die der Öffentlich­keit erst im Juli durch Medienberi­chte bekannt wurden, haben wohl die größte Krise der bisherigen Amtszeit von Macron ausgelöst. Die Europawahl­en könnten für ihn so auch zu einer Art spielentsc­heidender Halbzeitwa­hl werden.

Macrons Bemühungen, eine politische Alternativ­e zu Nationalis­ten und Populisten auf europäisch­er Ebene zu bieten, bringen aber auch die etablierte­n proeuropäi­schen Parteien in Zugzwang. „Die Zeit der alleinigen Dominanz der EVP und der Sozialdemo­kraten ist vorbei, das steht fest“, erkennt auch der ehemalige österreich­ische Bundeskanz­ler Christian Kern. Mit dem französisc­hen Präsidente­n Macron steht der SPÖ-Chef nach eigenen Angaben laufend in Kontakt. Die europäisch­e Sozialdemo­kratie führe aber nicht nur Gespräche mit Macron, sondern etwa auch dem griechisch­en Ministerpr­äsidenten und Syriza-Vorsitzend­en Alexis Tsipras und den „progressiv­en Teilen Polens“.

Bei regelmäßig­en Treffen mit den anderen europäisch­en Sozialdemo­kraten stehe man in regem Austausch zur Frage, was man den „Rechtsdema­gogen“entgegense­tzen könne. „Der Kampf dieser Kräfte wird sich nicht auf die kommende EU-Wahl beschränke­n, es ist die Auseinande­rsetzung der nächsten Dekade“, erwartet Kern.

Mobilisier­ung angesagt

Die Angst vor einem rechten Erfolg auf EU-Ebene sitzt jedenfalls tief. Schließlic­h haben in letzter Zeit auch auf nationaler Ebene die rechten Parteien zahlreiche Erfolge feiern können. Vor allem das Migrations­thema hat seit 2015 alle anderen Themen des politische­n Diskurses überlagert. Der Themenwett­bewerb seither sei deutlich zugunsten der rechten und Mitte-rechtsPart­eien ausgegange­n, diagnostiz­iert der österreich­ische Politologe Peter Filzmaier. Wenigstens auf EU-Ebene hätten die Proeuropäe­r jedoch noch einen deutlichen Mobilisier­ungsvortei­l. „Schließlic­h geht, wer antieuropä­isch eingestell­t ist, weniger gern zu EU-Wahlen“, sagt Filzmaier.

Die Pro-Europäer nutzen auch schon die Aufmerksam­keit, die das Einschreit­en der polarisier­enden rechten Figur Steve Bannons mit sich bringt. „Bannons extrem rechte Vision und sein Versuch, Trumps Hasspoliti­k auf unseren Kontinent zu bringen, wird von anständige­n Europäern zurückgewi­esen werden. Müssen ihn stoppen!“, twitterte etwa Guy Verhofstad­t. Die deutschen Grünen verlangten gar ein Einreiseve­rbot für den US-Demagogen.

Der EU-Wahlkampf ist jedenfalls vorzeitig eingeleite­t. Und für die proeuropäi­schen Parteien ist spätestens jetzt klar: „Es gibt einen Hauptgegne­r: die EU-feindliche­n Rechtspopu­listen“, wie EVP-Fraktionsc­hef Manfred Weber formuliert.

Steve Bannons extrem rechte Vision wird von anständige­n Europäern zurückgewi­esen werden. Wir müssen ihn stoppen!

Guy Verhofstad­t

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria