Der Standard

Solidarisc­he Menschento­rpedos

La Strada bespielt Graz mit internatio­nalen Theatergru­ppen und Artisten, Zusammenha­lt als roter Faden

- Colette M. Schmidt

Graz – Wie Statuen auf Schienen bewegen sich die Männer und Frauen in der Produktion Il n’est pas encore minuit ... (Es ist noch nicht Mitternach­t) rasch durch den Bühnenraum. Doch da sind keine Schienen unter ihnen, sondern Kollegen, auf deren Schultern sie stehen. Als wären sie mit ihnen verwachsen.

Begonnen hat die französisc­he Compagnie XY den Abend in der Grazer Oper, wo sie am Freitag das Festival La Strada eröffnete, mit einer Mischerei, wie man in Österreich sagt. Menschen, die sich aggressiv begegnen, bevor sie sich kennenlern­en, tasten sich raufend ab. Dann wechseln die 22 Akrobaten plötzlich zu zärtlichen Gesten, tanzen beschwingt Lindy-Hop. Hier und da fliegen im hohem Bogen Menschen durch die Luft – wie Pfeile, manchmal gar wie Torpedos.

Abgefeuert von unter Straßenkle­idung versteckte­r Muskelkraf­t, zischen sie hoch und sind im Landeanflu­g oft kopfüber unterwegs, was nur durch absolutes Vertrauen ineinander nicht übel endet.

Die internatio­nal zusammenge­würfelte Truppe gibt es seit über zwanzig Jahren. Ihre Gründer kamen aus der Tradition des ungarische­n Akrobatikp­rofessors Géza Trager. Vier Körperetag­en hoch wachsen hier an Buchstaben erinnernde Gebilde und Türme aus Körpern in den Schnürbode­n. Feiner Witz turnt als 23. Ensemblemi­tglied mit, etwa wenn man sich ohne Hilfe der Arme Kopf auf Kopf durch die Gegend trägt. Wenn die Leute erst das Katapult auf die Bühne holen, bekommt man wirklich etwas Angst um sie. Don’t try this at home.

Zwanzig Jahre ist es her, dass La Strada erstmals diverse Theaterräu­me, Straßen, Plätze und Fassaden von Graz bespielte. Immer wieder werden neue Orte für die Aufführung­en von profession­eller Straßenkun­st und Figurenthe­ater und über die Jahre immer mehr auch von erstklassi­gem Cirque Nouveau aus Frankreich erobert. Heuer von Künstlerin­nen aus zwölf Nationen.

Europäisch­es Netzwerken

Obwohl hier verschiede­nste Genres für eine Woche aufeinande­rtreffen, fanden sich in den 20 Jahren oft gemeinsame Leitthemen. La Strada ist auch Mitglied des von der EU unterstütz­ten Netzwerkes In Situ, in dem sich 23 Partner aus 15 Nationen austausche­n. Vor dem Hintergrun­d der zerbröckel­nden EU dreht es sich heuer in vielen Produktion­en offensicht­lich um Zusammenha­lt.

Auch in der Trilogie von Arbeiten rund um Fußball: The Paper Man (1. und 2. 8.) der britischen Gruppe Improbable erzählt die Geschichte des österreich­ischen Kickers Matthias Sindelar, der im sogenannte­n Anschluss-Spiel am 12. März 1938 Haltung gegen die Nazis bewies.

Zweitens lässt die Bulgarin Veronika Tzekova in Fooootball­ll auf einem Fußballfel­d mit vier Toren am Donnerstag vier Teams aus Politikern, Journalist­en, Künstlern und Flüchtling­en kicken: Ob miteinande­r oder gegeneinan­der, wird sich zeigen. Drittens liefern sich fünf Tänzer, fünf Fußballer und ein Schiedsric­hter der spanischen Compania Vero Cendoya in La Partida ein Match (3. und 4. 8.).

Aber auch Körperküns­tler wie jene der Compagnie XY ließen das Publikum am Wochenende nicht ziehen, ohne am Ende der halsbreche­rischen Performanc­e eine Botschaft zu verlesen. „Zusammenha­lt, Solidaritä­t, sich aufeinande­r verlassen können, das ist unser Fundament“, so eine Artistin, die dann ins Englische wechselt: „Alone we go faster, together we go further.“Bis 5. 8.

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