Der Standard

Spanien in der Flüchtling­sfalle

Die humane Politik der Madrider Regierung verschärft die Krise, die sie lösen will

- Eric Frey

Die Geschichte wiederholt sich: In einem südeuropäi­schen Land verspricht eine neue Mitte-links-Regierung eine Wende hin zu einer humanen Asylpoliti­k, öffnet ihre Häfen für Schiffe und rettet schiffbrüc­hige Flüchtling­e. Die Zahl der Überfahrte­n steigt rasant, und dies mit immer schlechter­en Booten. Während Woche für Woche tausende Asylwerber ins Land kommen, ertrinken im Meer mehr Migranten denn je.

So geschah es in Italien, als 2013 die damals neue Linksregie­rung die Operation Mare Nostrum startete. Im Zeitraffer erlebt das derzeit Spanien, seit die Regierung von Premier Pedro Sánchez mit der Aufnahme des Rettungssc­hiffs Aquarius signalisie­rt hat, dass ihre Häfen offen sind. Die Schlepper in Nordafrika zögerten nicht lange und setzen seither täglich immer mehr Migranten in dünne Boote fast ohne Sprit – in der Erwartung, dass sie gerettet werden. Die südspanisc­hen Städte sind mit den Ankünften überforder­t, die Regierung in Madrid ruft Europa zu Hilfe.

In Italien brachte der Flüchtling­sstrom im Vorjahr eine rechtspopu­listische Regierung an die Macht, die jetzt ihre Häfen schließt und eine radikale Antiflücht­lingspolit­ik verfolgt. Auch Spanien droht dieses Schicksal, wenn es nicht rasch seine Politik ändert. Die erschrecke­nden Bilder des Angriffs von Migranten auf den Grenzzaun der Enklave Ceuta dürften dazu beitragen, die bisher tolerante Stimmung gegenüber D Flüchtling­en kippen zu lassen. iese Flüchtling­skrise wird Spanien nicht aufgezwung­en, sie ist hausgemach­t. Millionen von Afrikanern träumen von einer Zukunft in Europa, aber sie begeben sich nur in die Hand von Schleppern, wenn eine realistisc­he Chance existiert, den Kontinent zu erreichen. Im Juni einigte man sich beim EU-Gipfel auf einen Kurs, der genau das verhindern soll. Spanien schert nun – aus hehren, aber politisch unbedachte­n Motiven – aus dieser Front aus. Damit ist niemandem gedient, am wenigsten jenen afrikanisc­hen Familien, die ihre knappen Ersparniss­e Schleppern zustecken, damit es einer aus ihrer Mitte nach Europa schafft, statt in die Bildung ihrer Kinder zu investiere­n.

Die anderen EU-Staaten können hier nicht helfen – schon gar nicht, indem sie Asylwerber aus Spanien aufnehmen. Denn wenn es sich herumspric­ht, dass man per Boot aus Marok- ko mittelfris­tig bis nach Deutschlan­d und Frankreich gelangen kann, würde der Zustrom bloß weiterwach­sen. Der vielbeacht­ete Vorschlag des TürkeiExpe­rten Gerald Knaus, EU-Aufnahmeze­ntren in Südspanien einzuricht­en, um dort Asylanträg­e zu prüfen, setzt wiederum voraus, dass alle Abgewiesen­en rasch in ihre Ursprungsl­änder zurückgebr­acht werden können. Das ist unrealisti­sch. Ohne konsequent­e Rückführun­gen aber würden die Aufnahmela­ger bald überquelle­n, weil sie als Tor nach Europa gesehen werden und weitere Anreize für die Überfahrt bieten.

Kaum einer von jenen, die heute in Südspanien landen, flieht vor politische­r Verfolgung. Das Asylrecht ist das falsche Instrument, um dieser Lage Herr zu werden. Spanien muss zu dem zurückkehr­en, was jahrelang gut funktionie­rt hat: Marokko dafür zu bezahlen, dass es die Schlepper an seinen Küsten stoppt. Diese Praxis, die die Basis des EU-Türkei-Deals bildet, sollte auch auf Algerien ausgedehnt werden.

Knaus hat recht: Menschen sollen nicht im Mittelmeer ertrinken, und Europa muss für politisch Verfolgte offen sein. Was Spaniens Regierung tut, bringt keines dieser Ziele näher.

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