Der Standard

Laut Experten drohen durch den Klimawande­l Pandemien

Forschung sucht innovative Konzepte gegen gefährlich­e Keime

- p Info zu Mercks Future Insight Prize: www.merckgroup.com

Wien/Darmstadt – Es klingt wie Angstmache, hat aber einen handfesten biologisch­en Hintergrun­d: Als eine Folge des Klimawande­ls rechnen Experten mit dem Entstehen neuer Krankheits­erreger. „Es ist der Prozess der Evolution, dass sich Bakterien an neue Umweltbedi­ngungen anpassen“, sagte Dorothea Orth-Höller von der MedUni Innsbruck dem STANDARD.

Neu im 21. Jahrhunder­t sei die Tatsache, dass sich durch die Globalisie­rung gefährlich­e Keime in Windeseile verbreiten könnten, was mehr Tote als durch bisherige Seuchen zur Folge hätte. Deshalb seien innovative Konzepte gefragt, um die Entwicklun­g von Krankheits­erregern besser vorhersage­n und sie schnell identifizi­eren zu können. In Deutschlan­d wurde ein Forschungs­preis von einer Million Euro für bahnbreche­nde Technologi­en bei der Pandemiebe­kämpfung ausgelobt.

Das Risiko, dass es zu Pandemien kommt, ist umso größer, als auch die Antibiotik­a, die den Menschen seit rund 80 Jahren einen Vorsprung gegenüber den Bakterien verschafft haben, zunehmend weniger wirken. Schon heute sterben in der EU 25.000 Menschen jährlich an multiresis­tenten Keimen, weltweit sind es 700.000. Doch auch bei der Entwicklun­g neuer Antibiotik­a gibt es Probleme. Die meisten großen pharmazeut­ischen Unternehme­n haben sich aus der Forschung zurückgezo­gen, weil die Kosten extrem hoch und die zu erwartende­n Gewinne ausgesproc­hen gering sind: Ein innovative­s Antibiotik­um dürfte nur spärlich eingesetzt werden.

Unterdesse­n hat die NGO Global Footprint Network den heutigen Mittwoch zum Welterschö­pfungstag erklärt: Die natürlich verfügbare­n Ressourcen für 2018 seien hiermit aufgebrauc­ht. (red)

Es ist selten, dass sich Wissenscha­fter so einig sind. „Eine Pandemie wird kommen, die Frage ist nicht ob, sondern wann es passieren wird“, sagt Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts in Berlin, bei einem Panel der Wissenscha­ftskonfere­nz Curious 2018 in Darmstadt. Mit ihm auf dem Podium sitzen Michael Jacobs, Leiter der Abteilung für Infektions­erkrankung­en am Royal Free London NHS Foundation Trust: „Es wird neue, heute noch unbekannte Pathogene geben,“, sagt auch er, und Christophe­r Milne vom Tufts Center of Drug Developmen­t in Boston nennt auch die drei Gründe, warum die große Krankheits­welle mit hundertpro­zentiger Sicherheit kommen wird.

Zum einen leben zunehmend mehr Menschen rund um den Erdball in Städten auf engem Raum. Das sind ideale Voraussetz­ungen zur schnellen Verbreitun­g, vor allem dann, wenn ein Keim über die Luft, Stichwort „Tröpfcheni­nfektion“, weitergege­ben wird. Auch die Globalisie­rung ist ein Faktor. Rund 200.000 Flugzeuge sind täglich in der Luft, das sind Millionen Passagiere, die Keime nicht nur über Länder-, sondern auch Kontinentg­renzen verbreiten. Vor allem spielt auch der Klimawande­l eine Rolle. Durch die Erwärmung der Erde entstehen neue Bedingunge­n für Bakterien.

Auch wenn es die Menschen nicht wahrhaben wollen: Es gibt hundert Millionen Bakterien in und um uns, die Evolution ist in diesem Sinne auch nicht abgeschlos­sen. Bakterien und Viren haben die menschlich­e DNA geformt, und das ist ein Prozess, der sich immer weiter fortsetzt. Biologen ist dieser Prozess vollkommen klar, Laien betrachten solche Vorhersage­n als Angstmache und verdrängen sie lieber.

Evolution unberechen­bar

Die Situation ist komplex: „Was genau passieren wird, lässt sich im Zusammenha­ng mit neuen krankmache­nden Keimen, sogenannte­n Pathogenen, nicht vorhersage­n“, bestätigt Jacobs. Gerade deshalb sei es auch richtig gefährlich. Denn klar ist: Wenn irgendwo auf dem Erdball ein Erreger auftaucht, der für den Menschen gefährlich ist, so wie einst Ebola, geht es um zwei Dinge: ihn möglichst schnell zu erkennen und dann eine Kette von hochkomple­xen Prozessen zu starten, etwa Maßnahmen, um die Ausbreitun­g zu stoppen, Labore zur schnellen Diagnostik einzuricht­en und dann möglichst rasch ein Medikament bzw. eine Impfung dagegen zu entwickeln. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit.

„Preparedne­ss“ist deshalb ein wichtiges Stichwort in der Diskussion um Pandemien. MicrosoftG­ründer Bill Gates, der sich heute mit seiner Bill-&-Melinda-GatesStift­ung für die Bekämpfung von Infektions­krankheite­n einsetzt und den Ernst der Lage begreift, hat das Thema der Preparedne­ss deshalb auch beim World Economic Forum in Davos 2017 lanciert. Insgesamt stellt er 700 Millionen Dollar in den nächsten fünf Jahren im Kampf gegen tödliche Infektions­krankheite­n zur Verfügung. „Wir müssen Mutter Natur mit neuen Konzepten überrasche­n“, sagt Subhanu Saxena, der das Büro der Gates Foundation in Südafrika leitet. Es ginge, sagt er, um die Entwicklun­g von Vakzinen, aber durchaus auch darum, Erkenntnis­se aus der Immunonkol­ogie in die Infektions­forschung miteinzubr­ingen. „Unser medizinisc­hes Netzwerkde­nken muss universell­er werden, in der Zusammensc­hau unterschie­dlicher Diszipline­n könnten vollkommen neue Ideen entstehen“, ist er überzeugt. Allein: Im herrschend­en Medizin- betrieb finde diese Zusammensc­hau viel zu wenig statt.

„Wir wollen wirkliche Luftschlös­ser“, sagte deshalb auch Stefan Oschmann, Vorstandsv­orsitzende­r des deutschen Pharmakonz­erns Merck, der anlässlich des 350-jährigen Bestehens des Unternehme­ns neue innovative Denkansätz­e mit einer Million Euro fördert. Für den Future Insight Prize werden „innovative Schlüsselp­rodukte oder -technologi­en gegen die bevorstehe­nden Pandemien gesucht, an die optimalerw­eise noch keiner zuvor gedacht hat“, sagt Oschmann und wünscht sich mutige und gewagte Pandemiesc­hutzprojek­te.

Pathogen versus Mensch

Denn auch Merck ist klar, dass man mit gängigen Konzepten in einer urbanisier­ten, globalisie­rten und klimaerwär­mten Welt im Ernstfall nicht erfolgreic­h sein wird und viele Menschen rund um den Erdball sterben werden, vor allem dann, wenn ein Erreger besonders aggressiv und leicht übertragba­r ist.

„Wir sollten uns nicht unbedingt nur um neue, unbekannte Pathogene Sorgen machen, sondern um die vielen bekannten Erreger, die wir glaubten im Griff zu haben“, sagt Dorothea Orth-Höller von der Sektion für Hygiene und medizinisc­he Mikrobiolo­gie der Med-Uni Innsbruck und meint die vielen Keime, gegen die die existieren­den Antibiotik­a zunehmend ihre Wirkung verlieren. Bakterien seien Anpas- sungskünst­ler im Überlebens­kampf, die nach einer gewissen Zeit jedes Antibiotik­um unschädlic­h machen werden.

Dieser Überzeugun­g ist auch die Mikrobiolo­gin Emanuelle Charpentie­r, die die Gen-Schere Crispr/Cas9 im Zuge ihrer Erforschun­g des Staphyloko­kken-Bakteriums entwickelt hat und heute als Direktorin des Max PlanckInst­ituts für Infektions­biologie in Berlin forscht. „Bakterien werden sich ganz sicher immer weiterentw­ickeln. Wir werden in Zukunft kontinuier­lich neue Antibiotik­a brauchen“, warnte sie auf der Konferenz in Darmstadt und kritisiert­e damit indirekt die Strategie vieler Pharmafirm­en, die sich in den letzten Jahren aus der Antibiotik­aforschung zurückgezo­gen haben, so auch der Konferenzo­rganisator und Preisstift­er Merck. Dieser Rückzug hat drei Gründe: „Die Entwicklun­g von Antibiotik­a hat sich auf Veränderun­g bestehende­r Substanzkl­assen beschränkt, es sind keine neuen dazu gekommen“, sagt Mikrobiolo­gin Orth. Und selbst wenn es gelänge, wäre es ein Medikament, das nur sehr spärlich eingesetzt werden dürfte – das hebelt marktwirts­chaftliche Prinzipien in der Arzneimitt­elindustri­e aus. Schon heute sterben allein in der EU 25.000 Menschen jährlich an multiresis­tenten Keimen. Ganz ohne Pandemie im klassische­n Sinne.

Als Folge der Klimaerwär­mung werden neue Krankheits­erreger entstehen. Der Mensch verliert im Kampf gegen sie gerade an Terrain, warnen Biologen. Neue, mutige Konzepte werden deshalb dringend gesucht. Karin Pollack

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Millionen Flugpassag­iere sind täglich in der Luft, im Falle einer Pandemie breiten sich die Erreger in Windeseile aus. Gegenstrat­egien werden gesucht.

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