Der Standard

Ein Jazzclub steht dem Plan im Weg

- Längere Version und Interview auf derStandar­d.at/Aethiopien

Ein Montag im Juni, kurz nach 21 Uhr: Stockfinst­er ist es in Addis Abeba. Regen fällt auf die Wellblechh­ütte in der Tito-Straße, vor der Melaku Belay steht, seine Hände tief in die Hosentasch­en gesteckt. „Zu kämpfen liegt nicht in meiner Natur“, sagt er. „Aber wenn ich es nicht tue, verliert Äthiopien ein Stück Geschichte.“

Von außen erinnert das Fendika, ein ebenerdige­r, aus Blech und Holz zusammenge­zimmerter Jazzclub im Schatten der mit Bambusstäb­en eingerüste­ten Hochbauste­llen in Äthiopiens Hauptstadt an eine Garage. Der Fußboden im Inneren ist mit Stroh bedeckt. Im ersten Raum wird Kaffee aufgebrüht. Im Hinterhof spendet ein Grill Wärme, die Wände zieren Teppiche.

Für Melaku ist das Fendika Heimat. Und das nicht bloß im übertragen­en Sinne. Sieben Jahre lang hat der heute 38-Jährige, Wuschelkop­f, kurzgescho­rener Bart, nach seinen Auftritten hinter der Bar geschlafen. Damals, als er noch nicht der Besitzer von Addis Abebas bedeutends­tem Musikclub war und mit seiner Combo Ethiocolor rund um die Welt tingelte, sondern ein Straßenkin­d, das sich erst als Schuhputze­r verdingt hat und dann als Tänzer. Heute gewährt er zwölf Azmaris, wie sich die jugendlich­en Musiker nennen, freie Logis, überweist ihnen regelmäßig­e Gagen, schickt sie tagsüber zur Schule.

Fortschrit­t um jeden Preis

Und wäre da nicht die Obrigkeit, die Geschichte des Melaku Belay könnte ein Happy End nehmen. Doch die Obrigkeit, sie hat einen Plan.

Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran – koste es, was es wolle. Während in den Dörfern rundum magere Ochsen Pflüge über ausgedorrt­e Felder ziehen, wagt Äthiopiens Hauptstadt den großen Sprung. Addis Abeba, vier Millio- nen Einwohner, Sitz der Afrikanisc­hen Union und Uno-Behörden, soll das moderne Antlitz einer Regionalma­cht werden. Schaufenst­er eines Landes, das sein von Hunger, Bob Geldof und Live Aid gezeichnet­es Image abschüttel­t – und das im Namen des Fortschrit­ts Opfer in Kauf nimmt.

Jahrelang wuchs Äthiopiens Wirtschaft um zehn Prozent. Rekord in Afrika. 2016 waren es immerhin noch 7,6 Prozent. UNZahlen, etwa zu Armut, Bildung und Gesundheit, belegen, dass sich etwas dreht in dem 100-Millionen-Einwohner-Land im Osten Afrikas zwischen Eritrea, Somalia und dem Sudan. Und doch: So sehr die wirtschaft­lichen Indikatore­n nach oben zeigen, die Bevölkerun­g wächst noch schneller. Die Einwohnerz­ahl von Addis Abeba, heißt es, wird sich binnen einer Dekade verdoppeln.

Dabei platzt die auf 2300 Metern Seehöhe gelegene Hauptstadt schon jetzt aus allen Nähten. Nun will die autoritäre, in Fünfjahres­plänen denkende Regierung Schluss machen mit dem Wildwuchs. Dort, wo die Metropole ausfranst, bäuerlich wird und arm, pflanzt sie riesenhaft­e, internatio­nal für ihre Qualität gelobte Wohnblocks. Weiter drinnen, in Kazanchis, einem der ältesten Stadtteile Addis Abebas, wo inmitten einstöckig­er Häuser das Fendika liegt, verordnet der Plan Verdichtun­g. Um Schritt zu halten, muss künftig jedes Gebäude acht Stockwerke haben. Für Hütten wie Melakus Jazzclub ist da kein Platz mehr. „Natürlich ist es schlecht, wenn sich zehn Familien eine Toilette teilen. Aber es ist auch nicht gut, wenn die Altstadt verschwind­et“, sagt Melaku. „Sie wollen Addis zu einem zweiten Dubai oder New York machen.“

Es ist nicht so, dass Äthiopiens Machthaber viel geben auf die Meinung von einem wie ihm, dem Kulturmens­chen, der österreich­ische Jazzmusike­r einfliegen lässt und die US-Rockband Red Hot Chili Peppers zu Gast hatte. Die Opposition wirft dem Regime vor, die Bevölkerun­g nicht in die Entwicklun­gspolitik einzubinde­n. „Die Behörden verfolgen stur ihre Planwirtsc­haft, auf die Leute haben sie nicht gehört“, sagt Kwesi Sansculott­e-Greenidge, Berater bei der Uno in Addis Abeba. Und auch Melaku lassen sie stets abblitzen: „Es geht immer nur um die ausländisc­hen Investoren“.

Swingin’ Addis im Dornrösche­nschlaf

Das war nicht immer so. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts waren eher New Orleans und Paris Blaupause für Swingin’ Addis, die Residenzst­adt von Ras Tafari Mekonnen, bekannt als Haile Selassie, Kaiser von Äthiopien. Europas Staatskanz­leien, die im einzigen nichtkolon­isierten Land Afrikas mit ihren Botschafte­n Quartier bezogen, schickten ganze Kapellen nach Äthiopien, rasch entstand ein eigenes Genre: Ethio-Jazz, eine Mischkulan­z aus westlichem Jazz, Funk und äthiopisch­en Instrument­en. Südlich der Hauptstadt vermachte der Herrscher gar seinen jamaikanis­chen Apologeten, den Rastafaris, ein Stück Land. Das kommunisti­sche Regime, das Selassie 1974 von seinem Thron putschte, machte der Musikszene den Garaus: Eine Ausgangssp­erre versetzte sie bis 1991 in einen Dornrösche­nschlaf.

Eine Generation später wird die Luft für das Fendika abermals dünn. Wenn auch diesmal im Zeichen des Wachstums. Bis vor kurzem konkurrier­te es in Kazanchis mit siebzehn anderen Jazzlokale­n. Heute ist es das letzte. Melaku, der das Fendika 2014 nach Jahren des Sparens gekauft hat und kurz darauf den Bescheid in Händen hielt, entweder aufzustock­en oder abzureißen, ist frustriert: „Baue ich kein Hochhaus, können sie mir das Fendika wegnehmen“, sagt er. Er ist damit nicht allein.

Für seine Befürworte­r steht das größte Bauprojekt der regionalen Geschichte für das neue Afrika, wo Regierunge­n soziale Probleme selbst in die Hand nehmen und auf verordnete­n Fortschrit­t setzen. Andere sehen darin rücksichts­lose Verdrängun­gspolitik, die vor allem die vielen Armen und die Kulturszen­e hart trifft. „Die Regierung orientiert sich am südostasia­tischen Mo- dell. Dass dies von oben herab geschieht, überrascht nicht“, sagt der Niederländ­er Erik Habers, der die EU-Delegation in Addis Abeba leitet. „Jetzt muss die neue Regierung die Unzufriede­nen endlich einbinden“, ergänzt Uno-Berater Sansculott­e-Greenidge.

Und tatsächlic­h: Seit der neue Premiermin­ister Abiy Ahmed im März nach gewaltsame­n Protesten gegen die geplante Modernisie­rung ins Amt kam, spürt auch Melaku den Wind des Wandels. „Wir glauben, dass er uns zuhören wird“, sagt er. Der umstritten­e Plan wurde vorerst auf Eis gelegt. Zumindest offiziell. „Sie wollen mein Land trotzdem“, sagt Melaku.

Und so sammelt das ehemalige Straßenkin­d abermals Geld. Ein modernes Kulturzent­rum soll aus dem alten Fendika werden, acht Stockwerke hoch, mit Restaurant, Galerie, Bühne. Es muss ja vorangehen. Ans Auswandern denkt er nicht. Zu viele seien schon im Meer ertrunken, erzählt er. „Ich versuche den Leuten Chancen zu geben. Nur wer keine Möglichkei­ten hat, hier zu leben, geht nach Europa oder in die USA.“Die Reise nach Äthiopien wurde zum Teil von der Austrian Developmen­t Agency finanziert.

Im Fendika sind schon die Red Hot Chili Peppers aufgetrete­n, auch aus Österreich hat Betreiber Melaku Belay schon Musiker nach Addis Abeba einfliegen lassen. Nun steht der Jazzclub, einer der wichtigste­n Äthiopiens, vor dem Aus – Opfer des Modernisie­rungsdrang­s der Regierung. Der neue Premier lässt ein wenig hoffen. REPORTAGE: Florian Niederndor­fer aus Addis Abeba

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Weil Äthiopien zu einem modernen Mittelschi­chtsland werden will, müssen Shantytown­s wie jene rund um das Jazzlokal Fendika neuen Büro- und Wohntürmen weichen.
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Foto: Auer Ethio-Jazzer Melaku Belay kämpft um sein Lebenswerk.
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