Der Standard

Namentlich schlägt anonym

- Irene Brickner

Nachdem im Februar Machtmissb­rauchs- und Belästigun­gsvorwürfe gegen die Festspiele Erl und im Besonderen gegen deren Intendante­n Gustav Kuhn laut geworden waren, schwelte die Causa monatelang vor sich hin. Ein Tiroler Blogger veröffentl­ichte die anonymen Darstellun­gen, eine Klage des Festspielm­anagements gegen ihn folgte. Der Erler Stiftungsv­orstand und diverse Landesgrem­ien tagten, aber zu erkennbare­n Konsequenz­en kam es nicht.

Die gibt es hingegen jetzt – und zwar nur eine Woche nachdem fünf Künstlerin­nen die Vorwürfe in einem offenen Brief bekräftigt und präzisiert haben. Am Dienstag stellte Kuhn seine Funktionen ruhend. Der Druck auf ihn war offenbar zu stark geworden.

Warum das – und warum jetzt? Es dürfte sich hier um einen Effekt handeln, den man schon aus bisherigen ähnlichen Diskussion­en, etwa im Rahmen von #MeToo, kennt: In wirkliche Erklärungs­not kommen präsumptiv­e Belästiger immer nur dann, wenn sich ihre potenziell­en Opfer aus der Deckung wagen und mit ihren vollen Namen für die Schilderun­gen einstehen. Namentlich schlägt anonym – auch wenn Menschen, die mit offenem Visier über Belästigun­gen berichten, damit Shitstorms gegen die eigene Person riskieren. Und immer wieder werden sie öffentlich der Sensations­hascherei bezichtigt. Das ist falsch: Vielmehr sollte man sie wegen ihrer Zivilcoura­ge loben.

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