Der Standard

Rückkehr nach Libyen

Ein italienisc­hes Schiff brachte 101 aus dem Mittelmeer gerettete Bootsflüch­tlinge nach Tripolis zurück. Uno und Flüchtling­shelfer sehen dadurch Menschenre­chte verletzt. Doch die Lage in den Gewässern vor Italien hat sich geändert.

- ANALYSE: Irene Brickner

Mit der Rückkehr geretteter Flüchtling­e nach Tripolis auf einem italienisc­hen Schiff sieht die Uno Menschenre­chte verletzt.

Beim UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat UNHCR in Rom übt sich Sprecher Federico Fossi in Vorsicht: Noch sammle man „genaue Informatio­nen“über die Vorkommnis­se auf dem italienisc­hen Schiff Asso Ventotto, das Anfang dieser Woche 101 aus dem Mittelmeer gerettete Bootsflüch­tlinge nicht nach Italien, sondern ins libysche Tripolis gebracht hat: offenbar der erste Fall einer Rückführun­g von im Mittelmeer aufgegriff­enen Bootsflüch­tlingen auf einem italienisc­hen Schiff nach Libyen seit 2009.

Libyen sei „nicht sicher“, sagt Fossi. Das habe der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) 2012 in einem Urteil gegen Italien klargestel­lt. Damals war Italien im Fall Hirsi verurteilt worden, nachdem 2009 italienisc­he Schiffe, koordinier­t von der Schiffslei­tstelle in Rom, eine Gruppe Somalis und Eritreer nach Libyen gebracht hatten. Diese waren davor vom italienisc­hen Zoll und der Küstenwach­e in italienisc­hen Gewässern vor der Insel Lampedusa aufgegriff­en worden.

Italien hätte die Bootsflüch­tlinge in Italien an Land gehen lassen und ihre Rechte prüfen müssen, urteilte das Menschenre­chtsgerich­t damals. In Libyen würden sie Gefahr laufen, misshandel­t oder gar getötet zu werden.

Das nimmt Fossi auch im Fall der Asso Ventotto als gegeben an. Der Rücktransp­ort der „Migranten, von denen etliche wohl Fluchtgrün­de hatten“auf der Asso Ventotto nach Libyen könnte „internatio­nales Recht verletzt haben“, meint er.

Doch der vorliegend­e Fall ist in mehreren Aspekten anders gelagert als jener von 2009: Das italienisc­he Schiff leistete laut bisher vorliegend­en Informatio­nen den Anordnunge­n der libyschen Küstenwach­e Folge. Und: Die Bootsflüch­tlinge wurden in internatio­nalen Gewässern angetroffe­n, die die interna- tional anerkannte Regierung der nationalen Einheit in Tripolis mit Ende Juni 2018 zu libyschen Search-andRescue(Sar)-Zone erklärt hat.

In einer maritimen Sar-Zone verpflicht­et sich ein Staat, dort Rettungsak­tionen zu koordinier­en, etwa nach einem Flugzeugun­glück. Dafür entrichten die Fluglinien pro überqueren­dem Flugzeug ein Honorar. „Das erklärt das Interesse der Länder an möglichst großen Sar-Zonen“, sagt der Exvorsitze­nden der Seerettung­s-NGO Cap Anamur, Elias Bierdel.

Libysche Anordnung

Laut einer dem Standard vorliegend­en Erklärung der Asso-VentottoSc­hiffseigne­r, dem italienisc­h-libyschen Joint Venture Mellila Oil & Gas, wurde das Schiff am Montagnach­mittag von der Schiffslei­stelle Sabratha aufgeforde­rt, die Migranten an Bord zu nehmen. Diese – unter ihnen fünf Kinder und fünf hochschwan­gere Frauen – hätten sich rund 1,5 Seemeilen entfernt in einem Boot befunden. Nach der Rettungsak­tion habe ein Motorboot der libyschen Küstenwach­e beigedreht. Ein Küstenwach­envertrete­r habe dem AssoVentot­to-Kommandant­en die „Anordnung“übermittel­t, die Geretteten nach Tripolis zu bringen.

Die italienisc­he Zeitung La Repubblica wiederum schreibt, die italienisc­he Küstenwach­e habe die Asso Ventotto angewiesen, den libyschen Anordnunge­n Folge zu leisten.

Laut Bierdel haben die Ausweitung der libyschen Sar-Zone und die neue harte Linie der italienisc­hen Regierung die Lage für Bootsflüch­tlinge und Seeretter vor Libyen massiv erschwert. So sei etwa unklar, ob das NGO-Rettungssc­hiff Aquarius, das am Mittwoch erneut in Richtung libysche Küste auslief, Schiffbrüc­hige künftig unter libyschem Kommando retten müsse.

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Bisher arbeitete die libysche Küstenwach­e ohne direkte Beteiligun­g aus Italien.

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