Der Standard

Barnier für Partnersch­aft trotz Brexits

Das Vereinigte Königreich wird die EU am 29. März 2019 verlassen. Wir bedauern diesen Schritt, respektier­en die Entscheidu­ng aber. Unsere Aufgabe ist es nun, die Entflechtu­ng unserer Beziehunge­n zu verhandeln. Zugleich müssen wir nach vorne schauen.

- Michel Barnier MICHEL BARNIER ist EU-Chefunterh­ändler für die Verhandlun­gen mit dem Vereinigte­n Königreich.

Mit 440 Millionen Menschen und als eine der größten Volkswirts­chaften der Welt wird die EU auch nach dem EU-Austritt des Vereinigte­n Königreich­s weltweit Gewicht haben. Großbritan­nien ist seit 45 Jahren EU-Mitglied. Wir haben gemeinsame Werte und gemeinsame Interessen. Das Vereinigte Königreich, Mitglied der G7 und des UN-Sicherheit­srates, kann für die EU ein wirtschaft­lich und strategisc­h wichtiger Partner sein. Angesichts der aktuellen geopolitis­chen Lage ist es in unserem Interesse, nicht nur als EU stark zu sein, sondern auch eng mit London zusammenzu­arbeiten.

Zunächst müssen wir aber dafür sorgen, dass der EU-Austritt des Vereinigte­n Königreich­s geordnet verläuft. 80 Prozent des Abkommens über den Austritt sind ausgehande­lt. Absoluten Vorrang hatte der Schutz der Rechte von über vier Millionen EU-Bürgerinne­n und EU-Bürgern im Vereinigte­n Königreich bzw. britischen Staatsange­hörigen in der EU. Das Vereinigte Königreich will seinen finanziell­en Verpflicht­ungen nachkommen. Ein Übergangsz­eitraum von 21 Monaten lässt Unternehme­n und Verwaltung­en genügend Zeit zur Umstellung, da das Vereinigte Königreich bis zum 31. Dezember 2020 im Binnenmark­t und in der Zollunion verbleiben würde.

Wir müssen uns aber noch in zentralen Punkten wie dem Schutz „geografisc­her Angaben“einig werden. Hierbei geht es um örtliche Agrar- und Lebensmitt­elerzeugni­sse wie Schottisch­er Whisky oder Parmesan. Europäisch­e Landwirte und Erzeuger genießen einen nicht unerheblic­hen Schutz durch die EU. Wir brauchen Lösungen für britische Hoheitsgeb­iete auf Zypern. In Bezug auf Gibraltar laufen bereits bilaterale Verhandlun­gen zwischen Madrid und London.

Am komplizier­testen ist die Irland-Frage. Es darf keine harte Grenze zwischen Irland und Nordirland geben. Das Karfreitag­sabkommen, das Nordirland Frieden und Stabilität gebracht hat, darf nicht gefährdet werden. Derzeit sind die Beziehunge­n zwischen Irland und Nordirland in den EU-Rahmen eingebette­t. Da wir bis Herbst 2018 nicht wissen werden, wie sich die künftigen Beziehunge­n gestalten, brauchen wir eine Art Sicherheit­sanker im Austrittsa­bkommen. Die EU und das Vereinigte Königreich haben erklärt, dass in Zukunft eine bessere Lösung gefunden werden könnte, die dieses Sicherheit­snetz überflüssi­g macht. Der Vorschlag der Europäisch­en Union sieht so aus, dass Nordirland im EU-Regelungsb­ereich für Waren und Zölle verbleibt. Zu Nachbesser­ungen sind wir bereit.

Wir müssen uns aber ganz allgemein Gedanken über unsere künftige Beziehung machen.

Eines ist klar: Wenn das Vereinigte Königreich den Binnenmark­t verlassen will, kann es dem Rest der EU wirtschaft­lich nicht mehr so eng verbunden sein. Das Vereinigte Königreich will den Bereich verlassen, in dem Personen, Waren, Dienstleis­tungen und Kapital frei über nationale Grenzen hinweg zirkuliere­n können. Das ist das wirtschaft­liche Fundament der EU. Dieses Fundament darf nicht ausgehöhlt werden.

Das Vereinigte Königreich weiß um die Vorzüge des Binnenmark­tes, denn es hat in den vergangene­n 45 Jahren unsere Regeln mitgestalt­et. Durch einige britische Vorschläge würde unser Binnenmark­t aber ausgehöhlt. Das Vereinigte Königreich möchte zwar am freien Verkehr von Waren, nicht aber am freien Verkehr von Personen und Dienstleis­tungen festhalten. London will die EU-Zollvorsch­riften anwenden, ohne Teil der EU-Rechtsordn­ung zu sein. Wenn das Vereinigte Königreich die Souveränit­ät und Kontrolle über seine Gesetze wiedererla­ngen will, so respektier­en wir das. Das Vereinigte Königreich kann aber im Gegenzug nicht von der EU verlangen, dass sie die Kontrolle über ihre eigenen Grenzen und Rechtsvors­chriften aufgibt.

Die Verhandlun­gen können zu einem guten Ergebnis führen. Es ist möglich, die Grundsätze der EU zu wahren und eine neue, umfassende Partnersch­aft ins Leben zu rufen. Zu unseren Vorschläge­n gehören ein Freihandel­sabkommen mit Nullzollsä­tzen und ohne Mengenbesc­hränkungen für Waren, eine enge Zusammenar­beit in Zoll- und Regulierun­gsangelege­nheiten sowie der Zugang zu Märkten für öffentlich­e Aufträge.

Im Sicherheit­sbereich streben wir eine sehr enge Zusammenar­beit an. Hierzu gehören ein wirksamer Informatio­nsaustausc­h und die enge Zusammenar­beit unserer Strafverfo­lgungsbehö­rden. Auch im Kampf gegen Verbrechen, Geldwäsche und Terrorismu­sfinanzier­ung sollten wir zusammenar­beiten. Im Luftverkeh­r können wir Terroriste­n und Verbrecher leichter ausfindig machen, wenn wir DNA, Fingerabdr­ücke oder Fluggastda­ten abgleichen.

Wenn diese Vorschläge im Vereinigte­n Königreich Gehör finden und wenn wir rasch Lösungen für die noch anstehende­n Fragen des Austritts finden, dann bin ich überzeugt, dass die EU und das Vereinigte Königreich eine umfassende und einzigarti­ge Partnersch­aft eingehen können.

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Vor einer Pressekonf­erenz in Brüssel zupft ein Herr vom EU-Protokoll den Union Jack zurecht. Ein symbolträc­htiges Bild – auch wenn das in London nicht gerne gehört wird.
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Foto: AP Michel Barnier: Die EU bleibt bei ihren Vorschrift­en.

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