Der Standard

„Die Familienpo­litik ist zynisch bis bösartig“

Der Gynäkologe Christian Fiala spricht darüber, warum ein kostenlose­r Zugang zu Verhütung dringend nötig ist und ihm die Familienpo­litik Österreich­s im Ausland oft peinlich ist. Wir haben eine der niedrigste­n Geburtenra­ten und eine der höchsten Abtreibung

- Beate Hausbichle­r

Migrantinn­en haben gegenüber in Österreich geborenen Frauen ein zweieinhal­bmal größeres Risiko, ungewollt schwanger zu werden. Das vermeldete kürzlich das GynmedAmbu­latorium in Wien ( der STANDARD berichtete), wo Frauen einen Schwangers­chaftsabbr­uch vornehmen lassen können und Verhütungs­beratung angeboten wird. Sein Leiter Christian Fiala fordert schon lange eine Kehrtwende in der österreich­ischen Familienpo­litik, um die hohe Abtreibung­srate zu senken.

STANDARD: Hat es Sie überrascht, dass Frauen mit Migrations­hintergrun­d proportion­al öfter eine Abtreibung haben? Fiala: Nein. Im Gynmed-Ambulatori­um in Salzburg, das zur Landesklin­ik gehört, gibt es dieselben Ergebnisse. Auch in den wenigen anderen Ländern, die das Geburtslan­d erheben, zeigt sich das gleiche Bild. Für uns Fachkräfte war das nicht überrasche­nd, es erklärt sich auch ganz einfach.

STANDARD: Und zwar wie? Fiala: Frauen aus anderen Ländern wurden auch dort sozialisie­rt, und sie bringen auch das gewohnte Verhütungs­verhalten mit. Da sprechen wir von Ländern, in denen es ein eher schlechtes Verhütungs­verhalten gibt wie in muslimisch geprägten Ländern oder ehemals kommunisti­schen Ländern, wo es also entweder einen starken religiösen Einfluss oder eine Mangelwirt­schaft gab und damit wenig wirksame Verhütung. Wenn es für diese Menschen dann in Österreich zu wenig Beratung in ihrer Mutterspra­che gibt und sie nicht kultursens­itiv ist, dann verhüten sie wie gewohnt. Die Deutschkur­se sind derzeit in aller Munde, aber es muss auch um die Ge- sundheitsv­ersorgung rantinnen gehen. von Mig-

STANDARD: Woran fehlt es über die Beratung hinaus? Fiala: Es braucht einen kostenfrei­en Zugang zu den sehr wirksamen Langzeitme­thoden. Es reicht nicht, nur die Pille kostenlos zur Verfügung zu stellen, diese können sich Frauen oft noch leisten. Sie kommt aber für viele Frauen nicht infrage – vor allem für Frauen mit Kindern nicht. Deshalb wäre der kostenlose Zugang zur Hormonspir­ale wichtig, die zwischen 400 und 600 Euro kostet. Das ist oft weit außerhalb dessen, was sich Frauen mit Kindern leisten können. Auch das Implantat und die Sterilisat­ion sollten unbedingt auf Krankenkas­senkosten übernommen werden.

STANDARD: Warum kommt für Frauen mit Kindern die Pille weniger infrage? Fiala: Weil das oft eine Frage der regelmäßig­en Einnahme ist. Wenn Frauen eh schon nicht durchschla­fen und ein oder zwei Kleinkinde­r versorgen müssen, haben sie andere Dinge im Kopf, und ihr Tagesablau­f ist oft kein regelmäßig­er. Da berichten Patientinn­en oft, dass sie die Einnahme vergessen.

STANDARD: Kommen viele Frauen, die öfter als einmal einen Abbruch machen? Fiala: Die Rate ist konstant gering. Das wird aber öffentlich sehr streng verhandelt. Die Reaktionen aus dem Umfeld sind bei Verhütungs­unfällen weitaus schärfer als bei – sagen wir – Autounfäll­en. Beim ersten Mal bekommt frau vielleicht noch Mitgefühl, beim zweiten Mal schon eher Vorwürfe – während es beim zweiten Autounfall immer noch Zuspruch gibt. Da sieht man, wie die Moralisier­ung durchschlä­gt, spätestens beim zweiten Abbruch. INTERVIEW: Dabei sind Frauen 35 Jahre lang fruchtbar, in dieser langen Zeit kann ein Verhütungs­unfall auch zweimal passieren, immerhin sind wir Menschen, keine perfekt funktionie­renden Maschinen. Abtreibung ist ein Gesundheit­sthema, und das sollten wir frei von Ideologie diskutiere­n.

STANDARD: Der Schwangers­chaftsabbr­uch auf Krankensch­ein ist in Österreich politisch völlig außer Reichweite. Aber warum eigentlich auch Verhütung, die Abbrüche ja verhindern könnte? Fiala: Rational lässt sich das nicht erklären. Im Ausland ist es immer peinlich für mich, wenn ich das erzähle – da greifen sich alle an den Kopf. Wir sind das einzige Land in Westeuropa, in dem weder die Verhütung noch der Schwangers­chaftsabbr­uch auf Krankensch­ein möglich ist – wir sind da eine Anomalie. Es ist eine Konsequenz unserer katholisch­en Geschichte und Tradition. Der Regierung scheint es nur darum zu gehen, mehr Geburten zu haben, unabhängig davon, ob sie gewünscht sind oder wer auf diese Kinder schaut. Die Familienpo­litik der letzten Jahre ist zynisch bis bösartig. Sie unterstütz­t die Menschen weder in der Prävention, damit ungewollte Schwangers­chaften vermieden werden, noch werden sie in ihren Bedürfniss­en unterstütz­t, wenn sie gewollte Kinder haben.

STANDARD: Also auch die Regierunge­n der letzten Jahrzehnte? Fiala: Ja, die Prävention und die Förderunge­n gewollter Kinder gab es nur auf dem Papier – in Wahrheit haben die Regierunge­n Frauen und ihre Partner im Stich gelassen. Das Ergebnis davon ist eine Bankrotter­klärung: Wir haben eine der niedrigste­n Geburtenra­ten in Westeuropa und eine der höchsten Abtreibung­sraten – das ist unfassbar. Familienpo­litik sollte es ermögliche­n, gewollte Kinder verantwort­ungsbewuss­t ins Leben zu begleiten und anderersei­ts ungewollte Schwangers­chaften zu verhindern. In diesen beiden Punkten ist die Politik in Österreich total gescheiter­t.

STANDARD: Wie hoch ist die Abtreibung­srate in Österreich? Fiala: Etwa 30.000 pro Jahr. Das ist eine recht zuverlässi­ge Zahl, ich weiß, welche Ärzte und Ärztinnen wie viele Abtreibung­en machen. Wenn man in diesem Bereich arbeitet, bekommt man ein gutes Bild – dürften also nicht viel mehr und nicht viel weniger sein.

STANDARD: Die Datenlage in Österreich ist umstritten. Abtreibung­sgegner fordern genauere Statistike­n, Befürworte­r eines liberalen Abtreibung­srechts befürchten, Statistike­n könnten instrument­alisiert werden, um Abtreibung zu skandalisi­eren. Fiala: Wir haben genügend Daten, um zu wissen, wie man die Prävention verbessern kann. Sie wird aber nicht verbessert, weil der politische Wille dafür fehlt. Wenn der normale Abbruch innerhalb der Fristenreg­elung über die Krankenkas­se ginge, dann hätten wir ihn in der Statistik Austria. Leider ist es aber so, dass diejenigen, die eine bessere Statistik fordern, auch fordern, dass die Frauen das weiterhin selbst zahlen sollen – aber dann wird es keine verlässlic­he Statistik geben.

CHRISTIAN FIALA (geb. 1959) ist Facharzt für Gynäkologi­e und Leiter des Gynmed-Ambulatori­ums in Wien sowie Gründer des Museums für Verhütung und Schwangers­chaftsabbr­uch in Wien. pLangfassu­ng auf dieStandar­d.at

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