Der Standard

Kuschelstu­nde mit Snapchat-Filter

Der britische Popstar Ed Sheeran bespielte an zwei Tagen hintereina­nder das ausverkauf­te ErnstHappe­l-Stadion. Das ist vor ihm erst Robbie Williams und Helene Fischer gelungen. Warum er dort dennoch nicht hingehört.

- Stefan Weiss

Beim Heimgehen verfolgen einen die Fans fast bis ins eigene Haus. Sie sind selbst in den dunkelsten Gassen Wiens gut zu erkennen. Man hat ihnen Trinkbeche­r mit auf den Weg gegeben. Darauf zu sehen: ein 27jähriger Rotschopf, pausbäckig und unrasiert, der am Bügel seiner Hornbrille knabbert. Der britische Popstar Ed Sheeran hat soeben zwei ausverkauf­te Stadionkon­zerten in Wien absolviert. Das ist vor ihm nur Robbie Williams und Helene Fischer gelungen. Und es hätte eigentlich nicht passieren dürfen. Warum?

Darum: Ed Sheeran – und das ist jetzt kein Vorwurf – macht Musik fürs große Formatradi­o. Dort gehört sie hin, sie will gar nicht ins Stadion. Es gibt eigentlich auch keinen Grund, dorthin zu gehen. Denn diese Musik lauert beim Billa direkt zwischen veganen Brotaufstr­ichen und picksüßen ÖlzGolatsc­hen. Sie überfällt dich in der Baumarkt-Gartenabte­ilung, macht dir beim Zähneputze­n oder im Taxi zu schaffen und kriecht dir höchstwahr­scheinlich selbst dann noch ins Ohr, wenn du wegen politische­r Unruhestif­tung einem russischen Haftrichte­r vorgeführt wirst. Kurz: Sie ist überall. Als Zweitverwe­rter diverser Sheeran-Songs gibt einem darüber hinaus noch eine Vielzahl an Leuten wie Strandpart­ykönig Kygo oder der kanadische Eishockeys­pieler Justin Bieber den Rest.

Dazu kommt, dass sich Ed Sheeran jeder vernünftig­en Bühnenshow entzieht. Marketinge­xperten sprechen vom „Typ von nebenan“Effekt: Junger, schüchtern wirkender Mann mit Akustikgit­arre stellt sich allein auf eine Bühne und singt über Liebe. Das ist nicht verkehrt. Aber ist es wirklich das, was wir in großen Fußballsta­dien sehen wollen? Nehmen wir an, es sei so: Selbst ausgewiese­nen Fans des Sängers kam nach dem Wiener Konzert ein ernüchtert­es „Na jo“über die Lippen. Was nicht unbedingt an der Bühne lag. Denn die machte durchaus etwas her.

Sie sah aus wie ein überdimens­ionierter Spielautom­at, der das Verbot des kleinen Glücksspie­ls überlebt hat und über dessen pixelige Screens jetzt die neuesten iPhone-Games präsentier­t werden. Es regnete digitale Rosenblätt­er, herzige Emojis und viele kleine Ed Sheerans, die meist zielgruppe­ngerecht mit Fotofilter­n, wie man sie von der bei Zehn- bis 20-Jährigen beliebten SnapchatAp­p kennt, in und außer Form gebracht wurden.

Die Schlangen vor den Damentoile­tten waren das ganze Konzert über gut 100 Meter lang, und doch verblieb stets genügend Publikum am Ort des Geschehens, um bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t – also alle zwei Minuten – kollektiv die Handylämpc­hen zu schwenken. Der Veranstalt­er hatte all das bedacht und vorab per Aussendung empfohlen, man möge doch eine „Powerbank“(also einen Zusatzakku) fürs Handy mitnehmen, damit man „genug Strom für alle Fotos, Videos und Social-MediaActio­n“hat. Schöne neue Marketingw­elt.

Zumindest Ed Sheeran ließ sein Handy in der Hosentasch­e. So ganz ohne Band, nur mit Gitarre und Loopmaschi­ne, die er mit dem Fuß bedient, hätte er dafür auch gar keine Zeit gehabt. Und da sind wir beim Problem: Warum, fragt man sich, muss jemand, der seine Songs eigentlich mit einer Heerschar an Hitfabrika­nten produziert, live als Einmannorc­hester auftreten?

Der Straßenmus­iker-Schmäh zulasten akustische­r Qualität mag die Mehrzahl der Fans vielleicht nicht jucken; jene „Boyfriends“und „Superdads“, über die Sheeran selbstiron­isch (Humor hat er!) meinte, sie seien gezwungen worden, hierherzuk­ommen, interessie­ren sich bei 90 Euro plus pro Karte vielleicht dann doch ein bisschen dafür. Aber sei’s drum.

Zugabe im ÖFB-Teamdress

Neben neueren Versuchen im Rap (bitte aufhören!) und jüngsten Vergehen am irischen Volkslied (als Engländer!) spulte Ed, wie man ihn kennt, seine schönsten Hits und Oldies ab: Castle on the Hill, The A-Team, Dive, Bloodstrea­m, Happier, der Hobbit-Titelsong I See Fire mit dem Nina-Simone-Cover Feeling Good als Intro. Schön gelang Sheeran sein Lieblingss­ong Tenerife Sea: Als hier beim fragil mehrstimmi­g gehauchten Gesangspar­t kurz Gekreische aufbrandet­e, bat er sogar um Ruhe. Bei der Kuschelnum­mer Thinking Out Loud schmolz hinten in der Grillbude noch die letzte Käsekraine­r dahin.

Die Zugabe Shape of You – jeder kennt sie, auch wenn er nicht weiß, woher und warum – bestritt Sheeran schließlic­h überrasche­nd im Teamdress der österreich­ischen Nationalma­nnschaft. Das sollte wohl ein paar „Boyfriends“und „Superdads“mit ihrem Schicksal versöhnen. „Nice try!“, sagt der Engländer.

 ??  ?? Bei Ed Sheeran kann einem schon einmal der Strom ausgehen. Ersatz-Handyakkus wurden empfohlen.
Bei Ed Sheeran kann einem schon einmal der Strom ausgehen. Ersatz-Handyakkus wurden empfohlen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria