Der Standard

Das Schicksal, ein Formalakt

- Maria Sterkl

Wenn ein Mensch von einem Tag auf den anderen den Boden unter den Füßen verliert, plötzlich keinen Job mehr hat, keine Einkünfte, vielleicht sogar keine Wohnung, jedenfalls keine Perspektiv­e, dann spricht man von einem Schicksals­schlag. Was aber, wenn dieser Schicksals­schlag ein Verwaltung­sakt ist, der solide auf dem Boden der Gesetze steht? Was, wenn der Betroffene, womöglich ohne sich der Folgen bewusst gewesen zu sein, aber doch auch selbst ein wenig Schuld daran trägt?

Zahlreiche Menschen, die vor langer Zeit eingewande­rt sind, müssen befürchten, bald ihre Existenz zu verlieren, weil sie nicht mehr österreich­ische Staatsbürg­er sind. Die Behörden, die diese Entscheidu­ngen treffen, handeln nicht willkürlic­h, sondern gesetzesko­nform. Man kann ihnen die persönlich­e Tragik der Einzelfäll­e nicht vorwerfen. Man kann es aber den politisch Verantwort­lichen vorwerfen, dass sie für die Welle an Ausbürgeru­ngen, die nun droht, keine adäquaten Vorkehrung­en getroffen haben. Und man kann sie dafür kritisiere­n, dass sie im Globalisie­rungszeita­lter immer noch stur daran festhalten, dass Menschen nicht Bürger zweier Staaten sein können.

Die Mehrheit, die nie um ihren Aufenthalt bangen musste, sollte den Betroffene­n Empathie entgegenbr­ingen. Wer denen, die alles verlieren, nur ein kühles „Selbst schuld“zuruft, hat nicht verstanden, dass die Werte, auf die wir so gern pochen, auch auf einem Grundsatz fußen: Solidaritä­t.

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