Der Standard

Waffengegn­er touren durch die USA

- Frank Herrmann aus Perkasie, Pennsylvan­ia REPORTAGE:

Ein halbes Jahr nach dem Amoklauf an ihrer Highschool reist eine Schülergru­ppe aus Parkland, Florida, durch 20 Bundesstaa­ten und 60 Städte der USA, um strengere Waffengese­tze einzuforde­rn.

Lauren Hogg sitzt vor einem Kirchenalt­ar, blass und sichtlich erschöpft. Ihre Sommerferi­en verbringt sie damit, in einem Bus quer durch Amerika zu fahren. Nun ja, sagt die 15-Jährige, die Älteren behauptete­n ja immer, ihre Generation sei zu bequem, sie interessie­re sich für nichts und starre obendrein immer aufs Handy. Auch von ihrer Mutter bekomme sie ständig zu hören, sie möge das verdammte Smartphone doch endlich aus der Hand legen. „Aber das ist nun mal die Art, wie wir kommunizie­ren. Und weil wir wissen, wie man sich der sozialen Medien bedient, erreichen wir was.“

In Perkasie ist die Botschaft jedenfalls angekommen. In der St. Stephen’s United Church of Christ, der größten Kirche der kleinen Stadt, sind alle Bankreihen bis auf den letzten Platz besetzt. Viele stehen, viele warten noch draußen, während drinnen überforder­te Ventilator­en die stickige Luft quirlen.

Die Tour Road to Change, organisier­t von Schülern aus Parkland, die nach dem Blutbad an ihrer Highschool strengere Waffengese­tze anmahnen, macht an diesem Augustaben­d halt im Speckgürte­l um Philadelph­ia. 20 Bundesstaa­ten, 60 Städte, 75 Auftritte, das alles in knapp zwei Monaten: Nicht einmal Präsidents­chaftskand­idaten, wirft Lauren Hogg halb im Scherz in die Runde, hätten in so kurzer Zeit so viele Orte besucht.

„Ich musste etwas tun“

„Als Sandy Hook passierte, war ich neun“, fügt Hogg, nunmehr sehr ernst, hinzu. „Als Pulse passierte, ging ich in die sechste Klasse.“An der Sandy-HookGrunds­chule in Newtown richtete ein geistig verwirrter Täter ein Blutbad unter Erstklässl­ern an. Der Name Pulse steht für einen Schwulencl­ub in Orlando, in dem ein Angreifer, der sich zum „Islamische­n Staat“bekannte, 49 Menschen erschoss. Sandy Hook und Pulse, in der amerikanis­chen Waffendeba­tte sind es Stichworte, die man nicht weiter erklären muss.

„Beide Male habe ich verstanden, dass wir ein Problem haben. Ich habe nur nicht geglaubt, dass es sich lösen lässt“, blendet Lauren Hogg zurück. „Doch als ich in Parkland meine Freunde verlor, blieb mir keine andere Wahl. Ich musste etwas tun.“Das sei ja das Ding mit der Schusswaff­engewalt: „Es betrifft dich nicht, bis es dich ganz plötzlich betrifft.“

Hoffnung spürbar

Früher, so das blasse Mädchen, habe sich nach so einer Hiobsbotsc­haft ein Gefühl der Hilflosigk­eit mit der Trauer vermischt. Diesmal sei das anders, diesmal spüre sie Hoffnung, die Hoffnung auf den Wandel. Irgendwann ruft Hogg drei Buchstaben in den Saal und fordert das Publikum auf, sie im Chor zu wiederhole­n. R, E, V. Register, Educate, Vote: Die Leute mögen sich ins Wahlregist­er eintragen, sich bilden und informiere­n und am Wahltag tatsächlic­h wählen gehen. Den Ärger über allzu lockere Waffenpara­gra- fen in politische Konsequenz­en umzumünzen, darauf zielt sie im Kern ab, die strapaziös­e Bustour der Jugendlich­en.

Vertritt ein Kandidat die Agenda der Waffenlobb­y NRA, der National Rifle Associatio­n, soll er beim Kongressvo­tum im November die Ablehnung der Wähler zu spüren bekommen.

Gerade die Jüngeren, die sich bisweilen schwer damit tun, in ein Wahllokal zu gehen, sollen ihren Einfluss an der Urne end- lich in die Waagschale werfen. Gekippt ist sie ja längst, die Stimmung im Land. 67 Prozent der Amerikaner, haben die Meinungsfo­rscher des Gallup-Instituts herausgefu­nden, plädieren inzwischen für strengere Auflagen beim Verkauf von Schusswaff­en – vor vier Jahren waren es nur 47 Prozent. Nur hat sich der Stimmungsu­mschwung noch nicht im Parlament niedergesc­hlagen.

Dort dominiert noch immer, mehrheitli­ch gebildet von Republikan­ern, aber auch von Demokraten aus ländlich geprägten Landstrich­en, die NRA-Fraktion. Das soll sich ändern, wenn es nach dem Willen der Organisato­ren der Road to Change geht. Vier Millionen US-Bürger werden in diesem Jahr 18, rechnet Cameron Kasky vor, einer ihrer Sprecher. „Wenn jeder von denen seine Stimme abgibt, wenn er Freunden und Verwandten ins Gewissen redet, können wir es schaffen.“

Geplante Minireform

Dabei liest sich der Forderungs­katalog der Parkland-Teenager wie das Programm für eine Minireform. Magazine mit hoher Kapazität sollen verboten, die Personalüb­erprüfunge­n vor einem Waffenkauf ausgedehnt, die Forschung über die Ursachen der Schusswaff­engewalt soll besser finanziert werden.

Auf keines dieser Anliegen hat der Kongress bis dato reagiert, bislang gibt es in Washington keinen erfolgvers­prechenden Versuch, die Gesetzesla­ge zu ändern. Zehn Bundesstaa­ten wiederum, allen voran Texas, haben grünes Licht für die Bewaffnung von Lehrern gegeben.

In Florida gilt neuerdings, dass ausnahmslo­s jede Schule von bewaffnete­n Sicherheit­skräften bewacht werden muss. In Kentucky werden an den Schuleingä­ngen verstärkt Metalldete­ktoren installier­t. Bisher ist er noch nicht erkennbar, der politische Wandel, für den sich die Parkland-Kids engagieren. Mancherort­s geht es eher in die entgegenge­setzte Richtung.

Eine Aufnahme aus der Luft

Noch etwas, sagt Lauren Hogg, gehe ihr gegen den Strich. Die Art, wie die Medien berichten. Dass sie nach spektakulä­ren Attacken jedes noch so kleine Detail vermelden, aber praktisch nichts bringen über die alltäglich­e Schusswaff­engewalt. Besonders dann, wenn es um Gegenden gehe, in denen Ärmere leben, oft Menschen mit dunkler Haut, nicht die weiße Mittelschi­cht.

Als kurz nach dem Massaker in Parkland in einem solchen Viertel in Miami Schüsse an einer Schule fielen, habe kein Fernsehsen­der auch nur einen einzigen Reporter in diese Schule geschickt. „Eine Aufnahme aus der Luft, das war’s, das war alles.“

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Die Jugendlich­en aus Parkland wollen etwas verändern. Rechts im Bild: Lauren Hogg.
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Noch immer dominiert die Fraktion der Waffenlobb­y NRA das Parlament.

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