„Mit Roadpricing kriege ich das in den Griff “
Der Verkehrsclub Österreich, inzwischen kurz VCÖ, zeigt immer wieder alternative Ideen zum Thema Verkehr auf. Bis heute sorgt dessen Geschäftsführer Willi Nowak für Aufregung.
Vor 30 Jahren trat der VCÖ an, damals noch unter dem Namen Verkehrsclub Österreich, um den etablierten Autofahrerclubs eine ökologisch ausgerichtete Konkurrenz zu sein. Mit hocheffizienter Öffentlichkeitsarbeit erreicht es der VCÖ, nicht nur als Stimme der Umwelt in der Verkehrspolitik mitzumischen, sondern auch Themen zu setzen und mitunter für heftige Diskussionen zu sorgen.
STANDARD: Wie finanziert der VCÖ seine Arbeit? Nowak: Die Basis der VCÖ-Finanzierung sind Spenden von Privatpersonen, denen eine bessere Verkehrswelt einfach wichtig ist, ökologisch nachhaltig und sozial gerecht. Das Geld der mehr als 5000 Spendenden macht etwa 40 Prozent der VCÖ-Einnahmen aus. Weitere zehn Prozent stammen aus dem Verkauf von Serviceleistungen wie Pannenhilfeversicherung für Autofahrende oder eine Aktivmobilversicherung für das Gehen und Radfahren. Auf inhaltlicher Ebene entwickeln wir Ideen zur Mobilität der Zukunft und gießen diese in Formen, wie etwa den VCÖ-Mobilitätspreis für nachhaltige Verkehrslösungen, Veranstaltungen oder Publikationen. Dann fragen wir, ob sich daran jemand finanziell beteiligen will. Für diese Projekte, aus denen die zweite Hälfte des VCÖ-Umsatzes kommt, erhalten wir Projektförderungen von Bund, Ländern und Gemeinden sowie Sponsoring von Unternehmen, denen Nachhaltigkeit in der Mobilität ein Anliegen ist. STANDARD: Was hat sich durch den VCÖ bis heute verändert? Name: Der Begriff Mobilität war Ende der 1980er-Jahre noch nicht gängig. Dass es Begegnungszonen gibt, hat der VCÖ mit erreicht. Im öffentlichen Verkehr wurde vor Jahrzehnten bildhaft gesprochen nur das Zusperren der Regionalbahnen diskutiert. Jetzt lautet die Herausforderung, in den wachsenden Ballungsräumen möglichst schnell einen Hochleistungs-öffentlichen-Verkehr herzustellen und im Langstreckenverkehr, wie beispielsweise auf der Strecke München–Wien, die Bahn zur echten Konkurrenz von Pkw und Flugzeug zu machen.
STANDARD: Nach München geht das leicht, aber nach Roßleithen nicht. Name: Das Problem der letzten Meile bestimmt noch immer die Verkehrsmittelwahl. Allerdings ist mehr als die Hälfte aller PkwWege in Österreich kürzer als zehn Kilometer, also praktisch Fahrraddistanz, und etwa zehn Prozent der Wege sind kürzer als ein Kilometer, also ein Zehn-Minuten-Fußweg. Für die Stadt sind damit in Kombination mit dem öffentlichen Verkehr und einem funktionierenden Sharing-Modell für Pkws die meisten Mobilitätsfragen gelöst. In der Region wiederum haben Haushalte vor allem ein Kostenproblem durch Mobilität, besonders bei zwei oder drei Autos. Hier helfen zumindest als Zweitautoersatz gemeinschaftliche Lösungen, etwa CarsharingAutos der Gemeinde, die heute bereits meist elektrifiziert sind. STANDARD: Sieht der VCÖ öffentliche Verkehrsangebote und privaten Kfz-Verkehr als Konkurrenz? Nowak: In einer digitaler werdenden Verkehrswelt lösen sich Begriffe wie öffentlicher Verkehr oder Individualverkehr auf. Individuelle Mobilität ist nicht mehr an den Privatbesitz von Fahrzeugen gebunden. So ist beispielsweise ein Bikesharing- oder Carsharing-System in einer Stadt öffentlich zugänglich und doch individuell in der Nutzung. Eine Westbahn ist privat betrieben, wird aber trotzdem kollektiv genutzt. Konkurrenz und Wettbewerb sind auch deshalb oft unpassende Begriffe, weil Wettbewerb nur dann ehrlich ist, wenn die Rahmenbedingungen ehrlich sind. Während beispielsweise die meisten Förderungen des öffentlichen Verkehrs transparent sind, haben wir beim Kfz-Verkehr versteckte Förderungen, die diesen verbilligen. Regelungen wie die Wegekostenrichtlinie der EU erlauben es derzeit nicht, dass Lkw-Mauten so erhöht werden, dass auch die von der Allgemeinheit bezahlten Kosten voll abgedeckt sind. Bei der Bahn ist das anders, denn ein Güterzug zahlt für jeden Kilometer auf der Schiene Infrastrukturbenützungsgeld. Der Lkw zahlt nur auf hochrangingen Straßen. STANDARD: Das Ziel ist also eine flächendeckende Maut für Lkws? Name: Ja, in Österreich würde sie etwa 500 Millionen Euro bringen. Letztlich zahlen das nur jene, die transportintensive Güter konsumieren. Transport macht bei Produkten des täglichen Bedarfs durchschnittlich weniger als zwei Prozent des Preises aus, bei Baustoffen mehr. Konkret würde ein Liter Milch dann 0,2 Cent teurer.
STANDARD: Viele Maßnahmen zur Effizienzsteigerung werden oft durch Veränderungen im Verhalten kompensiert. Ist das nicht ein Kampf gegen Windmühlen? Nowak: Ja, Effizienz wird oft zu eng betrachtet. So ist etwa der EinzelPkw auf dem Papier tatsächlich effizienter geworden. Allerdings die Person, die vorher ein Auto mit sieben Liter Treibstoffverbrauch gefahren hat, schafft sich beim Fahrzeugneukauf ein höhermotorisiertes und schwereres Auto an. Das frühere Fahrzeug würde neu vielleicht nur 4,5 oder fünf Liter brauchen, es wird aber eines mit 6,5 Liter erworben. Zusätzlich werden mehr Kilometer damit gefahren. Damit steigt in Summe der Gesamtenergiebedarf für den Straßenverkehr enorm – trotz deutlich effizienterer Einzelfahrzeuge. Das wird Rebound-Effekt genannt. STANDARD: Wäre auch eine flächendeckende Maut für Pkws sinnvoll? Name: Wer das beschränkte Gut Platz nützt, sollte dafür zahlen. Wir müssen in Zukunft mit automatisierten Fahrzeugen rechnen. Dann wirkt die Parkraumbewirtschaftung nicht mehr. Automatisierte Fahrzeuge rufe ich, fahre ein Stück und schicke sie wieder weg. Das Auto ist weite Strecken leer unterwegs. Mit Roadpricing, das abhängig von Uhrzeit, Verkehr und Besetzungsgrad eingehoben wird, kriege ich das in den Griff.
WILLI NOWAK (60) ist promovierter Geologe und Geschäftsführer des VCÖ.