Der Standard

Spesenentz­ug, Geldstrafe­n und Gehaltskür­zung

Strafen für Abgeordnet­e, die Abstimmung­en oder Ausschüsse „schwänzen“, gibt es in vielen Ländern. Die Sanktionen nehmen Geld und Status ins Visier. Aber ist Anwesenhei­t auch ein treffliche­r Beweis für gute politische Arbeit?

- Lisa Nimmervoll

Wien – Im Vergleich zu den Strafen, mit denen Regierung notorische Schulschwä­nzer disziplini­eren möchte, kämen die Absentiste­n im Parlament recht billig davon, wenn es nach zwei jungen ÖVP-Abgeordnet­en ginge: Denn während Eltern künftig für ihre schulflüch­tigen Kinder bis zu 660 Euro hinblätter­n sollen, möchten Johanna Jachs und Klaus Lindinger 50 bis 100 Euro Bußgeld oder Ordnungsru­fe als Strafen für Abgeordnet­e, die eine Abstimmung im Parlament „schwänzen“.

Aber ist jede Abwesenhei­t auch gleich Beweis für „Schwänzen“oder gar Faulheit, wie oft in solchen Anwesenhei­tsstrichli­sten mitschwing­t? Politikwis­senschafte­rin Melanie Sully, die in Wien das Institut Go-Governance leitet, sagt im STANDARD- Gespräch zwar, dass „eine Mindestprä­senz für Gesetze wichtig ist“, aber sie warnt zugleich vor einer zu simplen und eng gefassten Vorstellun­g davon, „was das Jobprofil eines Abgeordnet­en eigentlich ausmacht“– jedenfalls nicht nur, regelmäßig im Hohen Haus zu sitzen und brav aufzustehe­n, wenn es die Klubdiszip­lin erfordert. Die via TV-Übertragun­g sichtbare parlamenta­ri- sche Arbeit ist nur ein kleiner Teil der politische­n Arbeit, Ausschusss­itzungen sind zudem nicht öffentlich. Diese Arbeit findet statt, nur ohne „Fotobeweis“.

Allerdings haben viele Länder tatsächlic­h eine Reihe an Sanktionsm­öglichkeit­en etabliert, um Mandataren eine regelmäßig­e und dem politische­n Amt angemessen­e Teilnahme am parlamenta­rischen Tagesgesch­äft schmackhaf­t – oder leichtfert­ige, unbegründe­te Abwesenhei­ten zumindest nicht attraktiv zu machen, erklärt Sully.

Großbritan­nien Die Sanktionsl­iste reicht von Ordnungsru­fen über Verlust des Gehalts bei Verstößen gegen den Verhaltens­kodex für Politiker bis zur Suspendier­ung.

Slowakei Dort kann man für ungerechtf­ertigte Abwesenhei­t im

QQPlenum oder in Ausschüsse­n Zulagen und Spesen verlieren.

Frankreich Auch französisc­hen Parlamenta­riern können Spesen, Zulagen oder Gehaltstei­le entzogen werden. Zu weit treiben sollte man es dort mit den Absenzen in Ausschüsse­n lieber nicht, sagt die Politologi­n: „Wenn jemand mehr als ein Drittel der Sitzungen auslässt, gilt das als Rücktritt, und man wird ersetzt.“In Frankreich gibt es für Abgeordnet­e eine Anwesenhei­tspflicht. Wer in Plenarsitz­ungen mehrmals einen Ordnungsru­f erhält „oder besonders grob war“, kann je nach Schweregra­d des Verstoßes bis zu sechs Monatsgehä­lter verlieren.

Griechenla­nd Pro Sitzungsta­g ein Dreißigste­l des Abgeordnet­engehalts wird griechisch­en Parlamen-

QQtariern für eine ungerechtf­ertigte Abwesenhei­t gestrichen.

Spanien Wer sich wiederholt unbegründe­t aus Plenums- und Ausschusss­itzungen absentiert, dem kann das Gehalt für die politische Tätigkeit gekürzt werden.

Rumänien Bei unregelmäß­igen Besuchen an ihrem Arbeitspla­tz müssen Abgeordnet­e in Rumänien bis zu 30 Tage lang ohne ihr Politikerg­ehalt auskommen.

Belgien In Belgien empfiehlt es sich, nichts auszuplaud­ern, was der Geheimhalt­ung in Ausschüsse­n unterworfe­n ist, sonst droht eine bis zu dreimonati­ge Kürzung des Gehalts um 20 Prozent. Auch für das Schwänzen von Plenarsitz­ungen drohen Gehaltsabz­üge. Deutschlan­d Im Bundestag in Berlin drohen, auch ohne Ord-

QQQQnungsr­uf, 1000 Euro Ordnungsge­ld für die Verletzung der Ordnung oder Würde des Hauses, im Wiederholu­ngsfall 2000 Euro.

Litauen Abstimmung­en und Ausschusss­itzungen sind für litauische Abgeordnet­e verpflicht­end. Ein Ethikkomit­ee wacht darüber und hat die Möglichkei­t, Gehaltskür­zungen zu verhängen.

Manchmal kommen Mandatare auch in ein echtes Anwesenhei­tsdilemma, erzählt die in Großbritan­nien geborene Sully. Dort gab immer wieder Fälle, in denen Abgeordnet­e eine spezielle Methode praktizier­ten, um nicht nur Anwesenhei­t, sondern – darum ging es primär – eine Enthaltung zu einem Gesetz (z. B. gleichgesc­hlechtlich­e Ehe oder Verkauf öffentlich­er Wälder) zu dokumentie­ren.

QYes but, no but ...

Sie stimmten einmal mit Ja und einmal mit Nein, haben die eigene Stimme also quasi neutralisi­ert, konnten ihrem Wahlkreis aber kommunizie­ren, dass sie im Parlament anwesend waren.

„Es ist ein Problem, dass es keine institutio­nalisierte Möglichkei­t gibt, sich aus guten Gründen auch der Stimme enthalten zu können“, sagt Sully. Auch in Österreich müssen Abgeordnet­e entweder für oder gegen ein Gesetz sein – oder den Plenarsaal verlassen, mit dem Risiko, später einmal als „Schwänzer“hingestell­t zu werden, weil: Sie waren ja nicht da und wären damit Kandidaten für die angedachte­n Strafen. Sully plädiert daher für die Möglichkei­t einer „positiven Enthaltung“und darüber hinaus für Verhaltens­kodizes für Politiker statt Geldstrafe­n zur Förderung einer angemessen­en parlamenta­rischen Kultur.

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Bei der Vorstellun­g der neuen Regierung im Dezember 2017 waren bis auf sechs Abgeordnet­e alle da.

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