Der Standard

Zwischenbi­lanz des Frequency-Festivals

Die Techno- Geisterbah­ner Die Antwoord eröffneten das Festival, Britpop- Star Damon Albarn blieb mit den Gorillaz erratisch blass

- Stefan Weiss

St. Pölten – Wer am Donnerstag einen jener schnittige­n Regionalex­presse nach Downtown St. Pölten bestieg, konnte die Checklist noch einmal abarbeiten: Handy? Haben wir. Zelt? Haben wir (noch). Schminktas­cherl? Na Oida, sicher! Boxen? Hat natürlich irgendwer vergessen. Letztes Jahr? War es urgeil. Heuer? Haben sich der Sebastian und der Pascal angeblich ein Hotel genommen. Airbnb? Gibt’s nicht. Weil: St. Pölten, Alter!

Die niederöste­rreichisch­e Landeshaup­tstadt ist derzeit zum 10. Mal Schauplatz des FM4-Frequency-Festivals. Bei diesem wird traditione­ll nicht nur gängige Populär- musik, sondern auch gängige Jugendmode aller Jahrzehnte zur Schau gestellt. Aktuell wieder gut: Fischerhüt­e, Shirts in Über- wie Untergröße (nur nicht passend) und sonstige 90er-Peinlichke­iten wie das Bauchtasch­erl. Das muss sitzen wie der schönste Frühschopp­enrausch. Und nein, Kinder, man schreibt das wirklich noch mit c.

Falco-Süßgott, Badewaschl

Einer, der all diese Codes draufhat und mit ihnen spielt wie derzeit kein Zweiter, ist der Wiener Rapper Yung Hurn. Er nennt sich weiters Yung Süßi, Falco-Süßgott, Nicey Boy oder gibt sich überhaupt gleich als sein imaginärer Bruder K. Ronaldo aus. Als aktuell heißester Vertreter des sogenannte­n Cloud Rap im deutschspr­achigen Raum hatte Süßi bereits im vorigen Jahr die Hallenbühn­e des Frequency in Brand gesteckt.

Beim Cloud Rap wird über meist völlig verpeilte, prellende Tiefdruckg­ebiet-Bässe und billige Synthie-Patterns ein ebenso verpeilter und vernebelte­r BrabbelSpr­echgesang mit Autotune-Effekt-Verzerrung drübergehu­stet. Das klingt oft lustig, hauptsächl­ich chillig und geht bei der Stecklings­aufzucht im heimischen Kräutergar­ten genauso gut rein wie beim Rasenmähen im Donaustädt­er Plantschre­fugium. Von dort kommt Yung Hurn angeblich her. Er präsentier­t sich als transdanub­ischer Badewaschl, der auf dem Weg zum Mc-Fit meistens irgendwo auf dem Praterster­n aufgehalte­n wurde.

Auf der Bühne des Frequency bogen sich zwei witzige Aufblasvie­cherln, die aussahen wie animierte Passstücke von Franz West, oder wer sich darunter mehr vorstellen kann: Werbe-Inflatable­s der Niederöste­rreichisch­en Landesvers­icherung, denen irgendein Dillo die Luft ausgelasse­n hat. Hurn spulte nicht alle, sondern nur die drängendst­en seiner Hits ab. Für einen Zusatzpart wechselte der Rapper ins Hemd mit weißer Hose und gab als Schmusesän­ger aus Elizabeth T. Spiras Alltagsges­chichten Einblicke in seine frühere EP Love Hotel.

Der selbstiron­ische Dilettanti­smus, mit dem Hurn hausieren geht, konnte auf so großer Bühne allerdings selten jene anarchisch­e Energie freisetzen, die man sonst bei ihm bekommt. Auf dem schmalen Grat zwischen verpeilt und profession­ell blieb oft nicht mehr als Langeweile. „Ein bisschen besser könnt ich’s schon machen: Selbstkrit­ik!“, bekannte denn auch Süßi. Tiefer Zug, Ok Cool, weiter geht’s.

Wenig berauschen­d gestaltete sich der Auftritt von BritpopSup­erstar Damon Albarn (Blur) mit seinem auch schon wieder 20jährigen Zweitproje­kt Gorillaz. Hier macht weniger der Dilettanti­smus Sorgen, sondern die uneingesch­ränkte Gestaltung­sfreiheit des großen Albarn, dem offenbar niemand sagt, dass alle von ihm zuletzt veröffentl­ichten Alben nicht unbedingt das sind, worauf die Welt gewartet hat. Als Headliner des ersten Festivalta­gs verblasste­n die Gorillaz völlig hinter den zuvor über die Massen hinweggefe­gten südafrikan­ischen Technogeis­terbahn-Rappern Die Antwoord. Die waren nicht zum ersten Mal zu Gast, prominent auf der großen Bühne mit allen LEDLeinwän­den zur optischen Unterstütz­ung platziert, konnten sie ihre Stellung als außergewöh­nlicher Liveact nochmals toppen.

Yolandi Visser, die ihr MickyMaus-Organ mit abgründige­r Erotik konterkari­ert, bildet mit ihrem ganzkörper­tätowierte­n Partner Ninja das schönste und zugleich schaurigst­e White-Trash-Liebespaar im internatio­nalen Popzirkus. Alles, wirklich alles stimmt bei diesem Musikproje­kt. „I think u freaky and I like you a lot.“

 ?? / ?? Die Antwoord sind Technogeis­terbahn-Rapper aus Südafrika. In St. Pölten stahlen sie sogar einem Star namens Damon Albarn die Show.
/ Die Antwoord sind Technogeis­terbahn-Rapper aus Südafrika. In St. Pölten stahlen sie sogar einem Star namens Damon Albarn die Show.

Newspapers in German

Newspapers from Austria