Zwischenbilanz des Frequency-Festivals
Die Techno- Geisterbahner Die Antwoord eröffneten das Festival, Britpop- Star Damon Albarn blieb mit den Gorillaz erratisch blass
St. Pölten – Wer am Donnerstag einen jener schnittigen Regionalexpresse nach Downtown St. Pölten bestieg, konnte die Checklist noch einmal abarbeiten: Handy? Haben wir. Zelt? Haben wir (noch). Schminktascherl? Na Oida, sicher! Boxen? Hat natürlich irgendwer vergessen. Letztes Jahr? War es urgeil. Heuer? Haben sich der Sebastian und der Pascal angeblich ein Hotel genommen. Airbnb? Gibt’s nicht. Weil: St. Pölten, Alter!
Die niederösterreichische Landeshauptstadt ist derzeit zum 10. Mal Schauplatz des FM4-Frequency-Festivals. Bei diesem wird traditionell nicht nur gängige Populär- musik, sondern auch gängige Jugendmode aller Jahrzehnte zur Schau gestellt. Aktuell wieder gut: Fischerhüte, Shirts in Über- wie Untergröße (nur nicht passend) und sonstige 90er-Peinlichkeiten wie das Bauchtascherl. Das muss sitzen wie der schönste Frühschoppenrausch. Und nein, Kinder, man schreibt das wirklich noch mit c.
Falco-Süßgott, Badewaschl
Einer, der all diese Codes draufhat und mit ihnen spielt wie derzeit kein Zweiter, ist der Wiener Rapper Yung Hurn. Er nennt sich weiters Yung Süßi, Falco-Süßgott, Nicey Boy oder gibt sich überhaupt gleich als sein imaginärer Bruder K. Ronaldo aus. Als aktuell heißester Vertreter des sogenannten Cloud Rap im deutschsprachigen Raum hatte Süßi bereits im vorigen Jahr die Hallenbühne des Frequency in Brand gesteckt.
Beim Cloud Rap wird über meist völlig verpeilte, prellende Tiefdruckgebiet-Bässe und billige Synthie-Patterns ein ebenso verpeilter und vernebelter BrabbelSprechgesang mit Autotune-Effekt-Verzerrung drübergehustet. Das klingt oft lustig, hauptsächlich chillig und geht bei der Stecklingsaufzucht im heimischen Kräutergarten genauso gut rein wie beim Rasenmähen im Donaustädter Plantschrefugium. Von dort kommt Yung Hurn angeblich her. Er präsentiert sich als transdanubischer Badewaschl, der auf dem Weg zum Mc-Fit meistens irgendwo auf dem Praterstern aufgehalten wurde.
Auf der Bühne des Frequency bogen sich zwei witzige Aufblasviecherln, die aussahen wie animierte Passstücke von Franz West, oder wer sich darunter mehr vorstellen kann: Werbe-Inflatables der Niederösterreichischen Landesversicherung, denen irgendein Dillo die Luft ausgelassen hat. Hurn spulte nicht alle, sondern nur die drängendsten seiner Hits ab. Für einen Zusatzpart wechselte der Rapper ins Hemd mit weißer Hose und gab als Schmusesänger aus Elizabeth T. Spiras Alltagsgeschichten Einblicke in seine frühere EP Love Hotel.
Der selbstironische Dilettantismus, mit dem Hurn hausieren geht, konnte auf so großer Bühne allerdings selten jene anarchische Energie freisetzen, die man sonst bei ihm bekommt. Auf dem schmalen Grat zwischen verpeilt und professionell blieb oft nicht mehr als Langeweile. „Ein bisschen besser könnt ich’s schon machen: Selbstkritik!“, bekannte denn auch Süßi. Tiefer Zug, Ok Cool, weiter geht’s.
Wenig berauschend gestaltete sich der Auftritt von BritpopSuperstar Damon Albarn (Blur) mit seinem auch schon wieder 20jährigen Zweitprojekt Gorillaz. Hier macht weniger der Dilettantismus Sorgen, sondern die uneingeschränkte Gestaltungsfreiheit des großen Albarn, dem offenbar niemand sagt, dass alle von ihm zuletzt veröffentlichten Alben nicht unbedingt das sind, worauf die Welt gewartet hat. Als Headliner des ersten Festivaltags verblassten die Gorillaz völlig hinter den zuvor über die Massen hinweggefegten südafrikanischen Technogeisterbahn-Rappern Die Antwoord. Die waren nicht zum ersten Mal zu Gast, prominent auf der großen Bühne mit allen LEDLeinwänden zur optischen Unterstützung platziert, konnten sie ihre Stellung als außergewöhnlicher Liveact nochmals toppen.
Yolandi Visser, die ihr MickyMaus-Organ mit abgründiger Erotik konterkariert, bildet mit ihrem ganzkörpertätowierten Partner Ninja das schönste und zugleich schaurigste White-Trash-Liebespaar im internationalen Popzirkus. Alles, wirklich alles stimmt bei diesem Musikprojekt. „I think u freaky and I like you a lot.“