Der Standard

Im Klangbad mit Dionysus

Hans Werner Henzes Opera seria „The Bassarids“erzählt bei den Salzburger Festspiele­n nicht nur epochal von den Geschicken von Masse und Macht: Die rauschhaft­e Musik entwickelt enorme Sogkraft.

- Daniel Ender

Das Volk jubelt seinem König zu – doch nur kurz. Denn sogleich erscheint ein anderer auf der Bildfläche, und augenblick­lich schlägt sich die Gunst der Menge auf dessen Seite. Bereits in ihren ersten Minuten zeigt Hans Werner Henzes Opera seria The Bassarids geradezu lehrstückm­äßig die Verführbar­keit der Massen.

Man darf dabei ruhig (oder beunruhigt) an große Volks(ver)führer aller Zeiten denken. Denn auch wenn das 1966 bei den Salzburger Festspiele­n uraufgefüh­rte Stück nach dem Drama Die Bakchen von Euripides ganz mit der antiken Sphäre operiert, hat es der 2012 verstorben­e Komponist dezidiert mit politische­n Fragen verbunden, die er auch in der Entstehung­szeit gespiegelt sah.

Richtungss­treit der Moderne

Regisseur Krzysztof Warlikowsk­i, der das in jedem Sinne gewichtige Opus nun auf die Bühne der Salzburger Felsenreit­schule hievte, sieht freilich ebenso einen Bezug zu den jüngsten populistis­chen Umtrieben. Henze selbst mag auch an den Richtungss­treit in der zeitgenöss­ischen Musik der Nachkriegs­zeit gedacht haben, als er den Bereich von König Pentheus und jenen des jungen Gotts Dionysus akustisch entwarf: Lebt Ersterer nach dem Gebot der Reinheit und Askese, entsagt dem Wein, dem Fleisch und den Frauen, so predigt Letzterer rauschhaft­e Maßlosigke­it und Sinnlichke­it.

Man kann in dieser Polarität eine Entsprechu­ng sehen, denn die Klangwelt des machtlosen Königs scheint die „reine Lehre“eines Karlheinz Stockhause­n und Pierre Boulez in den 1950er-Jahren zu karikieren, während Henze als Komponist selbst demonstrat­iv für Schrankenl­osigkeit und stilistisc­he Fülle eintrat.

Leichtgäng­iger Wohlklang

Doch so einfach ist die Sache weder musikgesch­ichtlich noch im Fortgang der Handlung der Oper. Denn Henze beschränkt sich keineswegs auf leichtgäng­igen Wohlklang oder billige Fasslichke­it. Schon bei der Salzburger Uraufführu­ng der

Bassariden – damals noch auf Deutsch – wurde das Geschehen nicht gerade als leicht verständli­ch empfunden. Eine gewisse Unübersich­tlichkeit ergibt sich schon durch die verschlung­enen Hand- lungssträn­ge im Libretto von Wystan Hugh Auden und Chester Simon Kallman.

Im Zeitalter der Übertitel lässt sich jedoch immerhin der gesungene Text verfolgen – eine entscheide­nde Verständni­shilfe. Doch die Komplexitä­t bleibt hoch, auch deswegen, weil das Stück seine Botschaft nicht vor sich her trägt, sondern sie erst erschlosse­n werden muss. Henzes Musik führt nämlich Dionysus zunächst als jenen Heilsbring­er, als der er dem Volk erscheint, fasziniere­nd und fesselnd ein – dass er kam, um grausame Rache zu nehmen, erfährt man erst ganz am Ende des fast dreistündi­gen Abends, in dem auch das sonst meist gestrichen­e Intermezzo Das

Urteil der Kalliope nicht fehlt.

Gesellscha­ft im Chaos

Die Produktion tut alles, um Anspruch und Übersichtl­ichkeit zu verbinden: Auf dem dreigeteil­ten Bühnenbild von Małgorzata Szczęśniak sind die Räume des Privaten, des Repräsenta­tiven und der Platz des Volkes zunächst getrennt, ihre Vermischun­g lässt erkennen, wie die gesellscha­ftliche Ordnung nach und nach im Chaos versinkt. Die immer wilder und körperhaft­er werdenden Tänze (Choreograf­ie: Claude Bardouil) gestalten diese Steigerung mit. Ohne auf archaische Elemente zu verzichten (Axt und Leichentei­le), wird auch eine moderne Welt suggeriert (Uniformen, wie sie fast von überallher stammen könnten).

Szenische Überfülle

Das ist bei aller durch das Stück gegebenen szenischen Überfülle meist klug disponiert – selbst wenn auch hier oft mehr zugleich geschieht, als man überblicke­n kann. Schlichtwe­g großartig ist die musikalisc­he Umsetzung: An der Spitze eines ausnahmslo­s hervorrage­nd besetzten Ensembles brilliert Sean Panikkar (Dionysus) mit müheloser heldischer Kraft und natürliche­m Schmelz.

Ebenso exzellent ist sein Gegenspiel­er Russell Braun (Pentheus) mit seiner gemeißelte­n Diktion und vokalen Fokussiert­heit. Und eine unglaublic­he Sogkraft entfaltet Kent Nagano am Pult der Wiener Philharmon­iker, indem er die überschieß­enden Klangmasse­n der Partitur stets farbenreic­h austariert und noch beim größten Orchesterv­olumen für Transparen­z sorgt.

Das Publikum jubelte allen zu – und zwar lange.

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Tanja Ariane Baumgartne­r (als Agave/Venus) trägt stolz eine Trophäe davon.

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