Strategien für eine gerechte digitale Dividende
Auf Basis welcher Werte wird digitalisiert? Läuft die Transformation geschlechtsneutral und inklusiv? Eher nicht, ergibt eine Dialogreihe der AK Wien und der ÖBB mit Unternehmen – und macht Gestaltungsbedarf sichtbar.
Kleinere Unternehmen brauchen mehr Impulse, mehr Unterstützung für die Entwicklung der Belegschaft.
Wir nehmen in den kommenden fünf Jahren 150 Millionen Euro in die Hand, um zu qualifizieren, neue Jobs zu schaffen.
Ich kann bis jetzt noch nicht feststellen, dass die Digitalisierung Jobs kostet. Wir investieren und schaffen neue Jobs.
Bildung ist der Schlüssel – ich sehe große Mängel bei den Pädagoginnen. Auch in der Berufsorientierung – dort ist anzusetzen.
Es geht um mehr Vernetzung, mehr Transparenz, mehr Kooperation in der Logistik. Das ist eine Chance für Frauen.
Alles beginnt mit einem Postulat: Digitalisierung kann nur zukunftsfähig sein, wenn Frauen mitgestalten und an der digitalen Dividende teilhaben. Dies auf Basis des Befundes: Digitalisierung tritt als männlich auf – von den Machern der Technologietrends im Silicon Valley bis zu Podiumsdiskussio- nen rund um Digitalisierung hierzulande. Scheinbar geschlechtsneutrale Diskussionen entpuppen sich als männliche – insofern, als Frauen thematisiert sind als „fehlende Frau“, als „zu fördernde Frau“oder als die „Frau mit den guten Eigenschaften“, die Ruhe, Anstand ins Team bringt und für Verbindung sorgt, Konflikte löst.
Traude Kogoj, Leiterin des Gender- und Diversitymanagements in der ÖBB-Holding, und Ingrid Moritz, Leiterin der Frauenabteilung der Wiener Arbeiterkammer (AK), haben ein Jahr lang mit Unternehmen (darunter Asfinag, Infineon, Hafen Wien) die jeweiligen Strategien zu Transformation und Digitalisierung erhoben und diskutiert und dabei viel gefunden, das dringend in die öffentliche Diskussion gehört. Einerseits: Männer gestalten Digitalisierung, Frauen setzen sie um. Andererseits: Wenn Transformation gendergerecht gestaltet ist, dann steckt Strategie dahinter.
Genau das ist nun der Ansatzpunkt für die Arbeit der beiden Frauen – es ist Material für ein ganzes Handbuch für Organisationen zusammengekommen, das konkret Anregungen liefert, wie inklusive Strategien der Transformation auf- und umgesetzt werden können, wo exakt die Hebel sind, um Diversitäts-, konkret Genderaspekte immer in die Ge-
staltung miteinzubeziehen. Die Pilotfabrik 4.0 in der Wiener Seestadt Aspern bildete kürzlich den Rahmen für eine Zwischenbilanz und für Diskussionen von Frauen in impactstarken Funktionen.
ÖBB-Infrastruktur-Vorständin Silvia Angelo sieht in der Digitalisierung wesentliche Vorteile für Frauen – allerdings nicht als Selbstläufer: Für Frauen mache die Digitalisierung viele Berufe zugänglicher, sie schaffe einen leichteren Zugang als die männlich geprägte Eisenbahn mit ursprünglich viel Schwerarbeit. „Jetzt bekommen Frauen leichter sozusagen einen Fuß auf die Schiene.“Innovation habe sich ja selbstverständlich an den Bedürfnissen von Frauen zu orientieren – intern und hinsichtlich der Kundinnen. Aktuell sieben Prozent Frauenanteil im Konzern seien nun einmal änderungsbedürftig – Verzicht auf die Hälfte des Potenzials widersinnig. Daher müsse man sich jetzt anstrengen, um Berufe für Frauen attraktiv zu machen. Und nein: Apps werden nicht demnächst zu personalleeren Bahnhöfen führen – ein Mensch, der sich kümmert, bleibe zentral.
Chancen, keine Selbstläufer
Organisationstalent, übergreifendes Denken, noch mehr Teamarbeit – dies sieht die Chefin des Hafen Wien, Doris Pulker-Rohrhofer, als gefragte Fähigkeiten. Bestehende Strukturen sieht sie aktuell aufbrechen – das könne eine Chance sein für Frauen. „Von allein wirds aber nicht gehen, das müssen wir schon gestalten.“
Katharina Hochfeld (Fraunhofer-Institut) schließt sich dem an und ist überzeugt, dass die sogenannten Soft Skills von besonderer Bedeutung sein werden. AKPräsidentin Renate Anderl fehlt die intensive Auseinandersetzung mit dem Wegfall von Frauenarbeitsplätzen ( zum Beispiel im Handel) und mit den konkreten Ersatzjobs sowie der Qualifizierung für technische Bereiche. 150 Millionen Euro sollen von den Arbeiterkammern in den kommenden fünf Jahren in diese Richtungen investiert werden – vorausgesetzt das Beitragsregime werde nicht verändert. Die Diversitäts- und Lehrlingsverantwortliche bei Infineon, Sigrun Alten, wünscht sich Investments in die Bildung der Pädagoginnen – sonst könnten Klischees und traditionelle Rollenbilder kaum aufgebrochen werden.
Digitalisierung wird überwiegend im Top-Management konzipiert, entwickelt und von dort ausgerollt – und dieses ist überwiegend männlich besetzt. Software-Development ist männlich, wenn es um Usability geht, dann kommen erst die Frauen wieder ins Spiel. Start-ups im technischen Bereich sind männlich, höchstens zehn Prozent Frauen sind in dieser Branche zu finden. Was phänomenologisch klar ersichtlich ist, hat in der Folge starke Wirkung „nach unten“. Es bleibt die Frage: Wo bleiben die Frauen?
Traude Kogoj (ÖBB-Holding) und Ingrid Moritz (Arbeiterkammer Wien) stellen in der Digitalisierungsdebatte einen verengten Blick und im Wesentlichen ein „Ausblenden“der Gender-Dimension fest. Es liege in der Verantwortung der Unternehmen zu orchestrieren, dass ein Teil der Belegschaft / der Bevölkerung nicht ex-
kludiert bleibt, dass Mitgestalten und Partizipation stattfinden können. Dass innerbetrieblich so qualifiziert wird, dass Employability für alle zugänglich ist (bekanntlich nehmen Frauen deutlich seltener an betrieblicher Aus- und Weiterbildung teil). Dazu gehöre auch die (mangelnde) budgetäre Ausrichtung hin zu niedriger Qualifizierten. Es gehe um die Sicherstellung der digitalen Intelligenz. Um Gender-Budgeting – Mittel der öffentlichen Hand müssten solcherart auch gelenkt werden.
„Wir wünschen uns ausgewogene Teilnahme von Männern und Frauen an Entwicklungsteams. Das Schließen des Gender-PayGaps, die gleichberechtigte Teilhabe auch was den Gewinn der Digitalisierung betrifft – es sind Frauen auf alle Unternehmensebenen hinzuentwickeln.“
Die zentrale Frage: Welchen Werten fühlt sich Digitalisierung verpflichtet?