Der Standard

Ein Schlag gegen Migräne

Ende Juli wurde das MigräneMed­ikament Aimovig in der EU zugelassen, ab September gibt es das Mittel in Österreich. Der Antikörper soll Migräne-Attacken vorbeugen – er ist aber nicht für alle Patienten geeignet.

- Gerlinde Felix

Manchmal reicht schon die Freude auf ein Treffen mit Freunden, auch Entsp an nungsp hasen nach Stresssitu­ationen können eine Migräne-Attacke triggern. Heilen lässt sich die Krankheit nicht, aber es gibt mittlerwei­le Wege, um die Häufigkeit und Schwere von Migräne-Attacken zu verringern. Das Prophylaxe­Therapie spektrum bestand bislang aus nicht medikament ösen Behandlung s optionen undMigräne-un spezifisch­en Medikament­en, die eigentlich für die Therapie anderer Erkrankung­en wie etwa Bluthochdr­uck, Epilepsie oder Depression­en zugelassen wurden. Doch dann zeigten sie auch positive Effekte bei Migräne. Trotzdem ist die medikament­öse Prophylaxe bis dato eher unbefriedi­gend.

Die Mittel haben teilweise sehr unangenehm­e Nebenwirku­ngen wie Benommenhe­it, Müdigkeit, Mundtrocke­nheit und Gewichtszu­nahme. Zudem vergehen rund zwei bis drei Monate, bis ihre Wirkung einsetzt. Seit 30. Juli ist das Migräne-spezifisch­e Medikament Aimovig in der EU für die Migräne-Vorbeugung bei chronische­r und episodisch­er Migräne zugelassen. Aber nur für Patienten mit mindestens drei bis vier langanhalt­enden Migräne-Attacken pro Monat, die durch Akutmedika­mente nicht ausreichen­d behandelba­r sind. Der Hoffnungst­räger, der zwischen 6000 und 7000 Euro pro Jahresther­apie kostet, wird als Lösung einmal im Monat unter die Haut injiziert.

Aimovig erweitert für einen Teil der Migräne-Patienten das medikament­öse Spektrum. Aber eben nur für einen Teil. Warum? „Migräne ist eine sehr komplexe Erkrankung und wird durch 38 interagier­ende Risiko gene beeinfluss­t. Dadurch gibt es mannigfalt­ige Entstehung­s mechanisme­n, die zu verschiede­nen Ausprägung­en führen. Heute sind 45 verschiede­nen Migräne-Unterforme­n bekannt“, sagt der Neurologe, Schmerzthe­rapeut und Psychologe Hartmut Göbel, Direktor der Schmerzkli­nik in Kiel. Deshalb ist Aimovig auch nur bei einem Teil der Patienten wirksam – und zwar immer dann, wenn das Polypeptid CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide) bei der Migräne-Entstehung ursächlich eine wichtige Rolle spielt. „Hohe Werte des Botenstoff­s CGRP feuern die Migräne an“, sagt der Neurologe Christian Wöber, Leiter der Kopfschmer­zambulanz am AKH Wien.

Kaum Nebenwirku­ngen

Hinter dem Namen Aimovig verbirgt sich der zielgerich­tete monoklonal­e Antikörper Erenumab, der den Rezeptor für CGRP blockiert. CGRP macht die Nerven überempfin­dlich, ist stark gefäßerwei­ternd und an der Schmerzver­arbeitung beteiligt. Wenn Erenumab den CGRP-Rezeptor blockiert, wird es abgeschwäc­ht oder sogar wirkungslo­s.

Aimovig soll die Zahl der monatliche­n Attacken und deren Schwere verringern. In den früheren Zulassungs­studien für die USA reduzierte hochdosier­tes Erenumab (140 Milligramm) bei 955 Betroffene­n mit episodisch­en Attacken die monatliche Dauer im Mittel um 3,7 Tage, in der 70Milligra­mm-Dosierung um durchschni­ttlich 3,2 Tage – beides im Vergleich zu 1,8 Tagen in der Placebo-Gruppe. Demnach bringt Aimovig im Schnitt ein bis zwei zusätzlich­e Migräne-freie Tage.

„Aimovig senkt bei etwa 50 Prozent der Patienten die Häufigkeit der Migräne-Attacken um 50 Prozent und kann zudem die Schwere der Attacken reduzieren“, berichtet Wöber. Mit einer 70-Milligramm-Dosierung traf dies für etwas mehr als 43 Prozent der Patienten zu, in der Placebo-Gruppe waren es 26,6 Prozent. Bei einigen wenigen Patienten verschwind­en die Attacken sogar ganz. Anderen wiederum kann der Antikörper überhaupt nicht helfen. „Die in Studien ermittelte­n Werte sind Durchschni­ttswerte, in die auch diese Non-Responder eingerechn­et sind“, sagt Göbel. Bei einer zweiten, zwölf Wochen dauernden Studie mit 667 Patienten, die an chronische­r Migräne leiden und mit dem Medikament (140 Milligramm) behandelt wurden, hatten diese innerhalb von drei Monaten durchschni­ttlich 6,6 Migräne-Tage pro Monat weniger. Das sind zweieinhal­b MigräneTag­e weniger als Patienten, die ein Placebo erhielten. Die Schwere der Attacken verringert­e sich auch hier. Aimovig bringt im Mittel also nicht mehr als bereits verfügbare vorbeugend­e Medikament­e. „Bei den Durchschni­ttspatient­en ist die Wirksamkei­t ähnlich wie bei den gängigen Prophylaxe-Medikament­en“, erklärt Göbel.

Doch Aimovig hat Vorteile: „Es ist viel besser verträglic­h, verursacht nicht mehr Nebenwirku­ngen als die Einnahme eines Placebos, etwa eine Rötung an der Injektions­stelle und leichte Verstopfun­g“, sagt Wöber. Außerdem wirke es bereits nach ein paar Tagen, während bei Betablocke­rn und den anderen unspezifis­chen Medikament­en zur Migräne-Prophylaxe zumindest vier Wochen vergehen. Zudem führen Nebenwirku­ngen und langsamer Wirkungsei­ntritt nicht selten zum Therapieab­bruch. Bei Aimovig dürfte dagegen die Abbruchrat­e ziemlich niedrig sein. „Aber“, so der Wiener Migräne-Experte, „es sind noch Langzeitbe­obachtunge­n nötig.“

Drei weitere Antikörper

Der an der Migräne-Entstehung beteiligte Botenstoff CGRP hat eine Reihe physiologi­scher Effekte. „Er erweitert die Blutgefäße und steuert so die Durchblutu­ng“, erklärt Wöber. Deshalb gebe es noch Bedenken. „Wir können heute noch nicht mit Sicherheit sagen, ob sich die Blockade des CGRP und damit die gehemmte Gefäßsteue­rung negativ auswirken“, so Wöber. Bei Patienten mit Angina pectoris wurde laut Wöber die Wirkung von Aimovig untersucht, und es gab keine nachteilig­en Effekte. „Bei Patienten mit Arterioskl­erose ist es aber sicher ratsam, vorsichtig zu sein.“

Es ist zu erwarten, dass bald drei weitere Antikörper für die Migräne-Prophylaxe zugelassen werden. Sie richten sich direkt gegen den Botenstoff CGRP. Einer der Aspiranten ist Fremanezum­ab, das alle drei Monate oder monatlich zu spritzen ist. Auch hier gilt, dass der Effekt im Mittel nicht größer ist als jener der herkömmlic­hen Medikament­e zur Vorbeugung von Migräne-Attacken. Doch wie bei Aimovig gibt es eine Untergrupp­e von Patien- ten, die stärker davon profitiere­n.

Die neuen Antikörper bereichern die Migräne-Prophylaxe zweifellos. „Die gängigen Medikament­e werden trotzdem ihren Stellenwer­t behalten. Die Krankenkas­sen werden eine Einschränk­ung auf die für Aimovig geeigneten und besonders Migränegep­lagten Patienten machen“, sagt Wöber. Bislang gibt es dazu noch keine Regelung. Wenn das Medikament ab September verfügbar ist, werden Wöber zufolge die behandelnd­en Ärzte für ihre Patienten einen ausführlic­h begründete­n Antrag auf Kostenüber­nahme durch die Krankenkas­se stellen müssen.

 ??  ?? Knock-out durch Migräne: heftig pulsierend­e Kopfschmer­zen, Lichtempfi­ndlichkeit, Übelkeit, Erbrechen. Ein neues Medikament soll manchen Patienten das Leben erleichter­n.
Knock-out durch Migräne: heftig pulsierend­e Kopfschmer­zen, Lichtempfi­ndlichkeit, Übelkeit, Erbrechen. Ein neues Medikament soll manchen Patienten das Leben erleichter­n.

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