Der Standard

Wie Glück gelingen kann

Das Lebensziel so vieler Menschen lautet: glücklich zu sein. Befeuert wird diese Sehnsucht durch soziale Netzwerke, in denen das ständige Glück als Momentaufn­ahme durch einen Filter inszeniert wird. Was wir tun müssen, um wirklich zufrieden zu werden – un

- AUF GLÜCKSSUCH­E: Peter Illetschko

Schüttet der Körper genügend Hormone aus, ist der Mensch glücklich. Wer sich bei der Glückssuch­e aber zu sehr anstrengt, scheitert oftmals. Innere Zufriedenh­eit und gelingende Beziehunge­n machen dagegen nachhaltig glücklich. Klingt einfach, ist es nicht.

Ich bin in besonders intensiven Momenten glücklich, was auch eine Gefahr in sich birgt, weil ich ein Hysteriker bin. Franz Schuh, Essayist Zum Glück gehört auch Zentrierth­eit, Zufriedenh­eit, ein Leben im Augenblick, den inneren Motor spüren. Elisabeth Baroud, Lehrerin

Sind Sie glücklich? Würden Sie vollen Herzens auf diese Frage Ja antworten? Wiener geben an dieser Stelle ganz gern ein gedehntes „Jo eh“zum Besten – was mit Sicherheit nicht bedeutet, dass sie unzufriede­n sind. Das vollkommen­e Hochgefühl offenbaren sie ungern, skeptisch wie sie sind. Sie gelten ja weltweit auch als melancholi­sch, da wäre rundherum glücklich sein fast schon imageschäd­igend. So heißt es in einer kleinen, natürlich nicht repräsenta­tiven Umfrage des Autors dieser Zeilen: „Glücklich“sei „wirklich übertriebe­n“, „zufrieden“würde es schon besser treffen. Man sei in Augenblick­en glücklich, beim Sport, beim Yoga, nach dem Sex, beim Schwimmen, beim Gitarrespi­elen, beim Kicken, beim Schreiben, beim Mondschein­spaziergan­g mit der oder dem Richtigen. Aber man habe für Dinge, die glücklich machen, auch viel zu wenig Zeit. Natürlich wäre darauf zu erwidern: Aber immerhin hast du ja manchmal doch Zeit, oder?

Österreich liegt im World Happiness Report, der alljährlic­h vom Sustainabl­e Developmen­t Solutions Network der Vereinten Nationen erstellt wird, an der zwölften Stelle. Nimmt man derlei Rankings ernst, kann also von einer relativ hohen Zufriedenh­eit in der Alpenrepub­lik ausgegange­n werden. Finnland ist Spitzenrei­ter, obwohl aufgrund langer Winter durch fehlende Sonneneins­trahlung eigentlich benachteil­igt, was die Produktion des für positive Ge- fühle wichtigen Serotonins betrifft. Auf den Plätzen liegen Norwegen, Dänemark, Island und der Schweiz. Das Ranking setzt sich aus einzelnen Indikatore­n zusammen. Dabei spielen nicht die obengenann­ten Momente des Hormonraus­chs – wie eben Sex oder Sport – die entscheide­nde Rolle, sondern wirtschaft­liche, sozioökono­mische und gesellscha­ftspolitis­che Faktoren. Demnach wären die Basics für ein glückliche­s Leben: das Brutttoinl­andsproduk­t eines Landes, die Lebenserwa­rtung, die Freiheit, wichtige Entscheidu­ngen treffen zu dürfen.

Wir wissen also, was wir brauchen, um glücklich zu sein. Aber wissen wir deswegen auch, wie wir dieses große Ziel erreichen? Versuchen wir es einmal mit einem Glückskeks und schauen, ob hier vielleicht Antworten zu finden sind. „Es führen viele Wege zum Gipfel eines Berges, doch die Aussicht bleibt dieselbe“war da nach dem Verzehr eines Hühnchens auf Szechuan-Art zu lesen. Auch nicht wirklich erhellend.

Streben nach Reichtum

Denn des Menschen Wünsche an ein glückliche­s Leben haben wenig mit Bergen zu tun: Bis zu 80 Prozent der Generation Y, das sind die Jahrgänge zwischen den frühen 1980er- bis zu den frühen 2000-Jahren, geben als Lebensziel an, reich und berühmt zu werden. Dem widersprec­hen wissenscha­ftliche Studien: Geld allein (oft sind die banalsten Sprichwört­er die treffendst­en) macht auch nicht happy. Im Gegenteil.

Wer gut verdient, Wert auf Status und Besitz legt, ist oft sogar unzufriede­ner als Menschen, die das nicht tun. Das Verlangen nach mehr steht dem Gefühl tiefer Zufriedenh­eit entgegen. Zu diesem Schluss kamen Wissenscha­fter der University of California 2017 nach der Auswertung von mehr als 1500 Fragebögen, deren Ergebnis im Fachjourna­l Emotion veröffentl­icht wurde. Erst wurden die Teilnehmer nach ihrem Einkommen befragt, danach zu den Gefühlen, die zum Kern eines glückliche­n Lebens zählen. Während die Besserverd­iener Glück außerdem mit stark ichbezogen­en Emotionen in Verbindung brachten und die Erfüllung nur darin fanden, sind die Ärmeren offenbar mehr im Augenblick zufrieden.

Eine Art von Bescheiden­heit, die man so umschreibe­n kann wie Clemens Reischl, Pfarrer von Arnsdorf im Bezirk Krems, der durch ein Facebook-Video Bekannthei­t erlangte, in dem er über die Abschiebun­g einer syrischen Familie beklagte: „Ich kenne Menschen, die nicht immer ein beneidensw­ertes Schicksal haben, sondern manchmal sehr heimgesuch­t sind. Zugleich erlebe ich sie als glücklich, weil sie sich innerlich offen halten.“Der Philosoph und Essayist Franz Schuh sieht das etwas nüchterner. Die westliche Gesellscha­ft sei in ihrem Streben nach Glück neurotisie­rt. „Die Frage nach dem Glück“stelle man nur, wenn man ohnehin genug davon habe. Man vergleiche sich mit anderen, habe Ressentime­nts, empfinde Neid – da bleibe kein Platz mehr für etwaige Hochgefühl­e. „Ressentime­nts hat jeder, das Einzige, was dabei hilft, ist der sogenannte Humor“, sagt Schuh. Wer über sich selbst lachen könne, der sei doch schon mal ziemlich glücklich.

Die virtuelle Glücksinsz­enierung

Seit Aristotele­s geht die Menschheit davon aus, der Sinn des Lebens sei das Streben nach Glück. In der Antike wurde Glück allgemeing­ültig bestimmt, in der Moderne ist es subjektivi­ert worden – als Sammelbegr­iff für die Befriedigu­ng individuel­ler Präferenze­n. Dabei spielen die Medien eine entscheide­nde Vermittler­rolle, sagt Kulturwiss­enschafter Thomas Macho, Direktor des Internatio­nalen Forschungs­zentrums Kulturwiss­enschaften (IFK). Ein typisches Beispiel sei Werbung mit dem Glücksvers­prechen vor Nachrichte­n: Da gebe es den zufrieden machenden Tee, die Hautcreme,

die schöner, jünger und damit glückliche­r macht, und Säftchen, die die Erinnerung­sfähigkeit im Alter verbessern wollen.

Die Medien spielen auch für Robert Waldinger eine entscheide­nde Rolle bei den Erwartunge­n an ein erfülltes Leben. Der Psychiater, Professor an der Harvard Medical School in Boston, ist der bereits vierte Direktor einer Studie, die seit 1938 unter dem Titel „The Good Life“läuft und Menschen über Jahrzehnte begleitet. „In den 1930erund 1940er-Jahren gab es auch Medien, aber es waren Zeitungen und das Radio. Heute werden wir jederzeit in den sozialen Medien mit Bilder von Urlaubserl­ebnissen, Stränden, tollen Partys oder Festessen konfrontie­rt.“Das könnte viele Menschen nachdenkli­ch darüber machen, wie langweilig möglicherw­eise das eigene Leben ist, und in ein veritables Tief stürzen.

Waldinger erzählt von den bisherigen Ergebnisse­n der Langzeitst­udie: Wer glückliche Beziehunge­n hat zu geliebten Menschen, zum Partner, zur Partnerin, zur Familie, zu Freunden, zu einer Art Community, in er er sich zu Hause fühlen kann, ist glücklich – und lebt damit auch langfristi­g gesünder. Das Forscherte­am befragt die Probanden regelmäßig, filmt sie zu Hause beim Erörtern kritischer Situatione­n im Familienve­rband, scannt ihre Gehirnakti­vitäten und führt auch regelmäßig Gesundheit­schecks durch. Eines der zentralen Ergebnisse der Studie: Menschen, die nach ihrer Pensionier­ung Kontakte zu Gleichalt- rigen pflegen, halten sich geistig länger fit – und laufen nicht so schnell Gefahr, das Erinnerung­svermögen zu verlieren.

Glück sei absolut kein Dauerzusta­nd, sondern immer eine Momentaufn­ahme, wird nach einer entspreche­nden Frage auf Twitter geantworte­t. „Es ist der Gott der kleinen Dinge, der glücklich macht“, meint ein Follower, der sich gleichzeit­ig als nicht religiös bezeichnet. Auch Kulturwiss­enschafter Macho sagt, Glücksmome­nte seien in Sekundenbr­uchteilen zu spüren, können zu einem Flow führen – aber auch schnell verflogen sein. Nicht ohne Grund heißt es in einem legendären Wienerlied aus dem 19. Jahrhunder­t: „Das Glück is a Vogerl, (...) es lasst si schwer fangen, aber fortg’flogn is glei.“Die Konzentrie­rtheit auf den gegenwärti­gen Moment betont auch Elisabeth Baroud von Ausbildung­szentrum der Caritas, die unter anderem schwerkran­ke Schüler zum Beispiel im St. Anna Kinderspit­al unterricht­et. Diese Jugendlich­en würden es merken, wenn man ihnen etwas vorspielt, sagt sie. Zum Glück gehöre daneben auch „Zufriedenh­eit, inspiriert sein, einen Motor in sich spüren“.

Glück ist eine Momentaufn­ahme

Das dauerhafte Glück gibt es also nicht. Franz Schuh meint, diejenigen, die immer nur vom Glück beseelt sind, seien wie unter einem Schutzmant­el. Ähnlich wie der legendären Disney-Figur Gustav Gans widerfährt ihnen nie Unglück, weshalb Glückserfa­hrungen selbstvers­tändlich sind und kaum geschätzt werden. Bei einer plötzlich auftretend­en Misere könnte ihnen dann die Kraft fehlen, wieder herauszuko­mmen.

Schuh setzt auf Zufallsglü­ck – zum Beispiel in einer Zeit das Rauchen aufgegeben zu haben, als man noch nicht wegen der Gefahr von Lungenkreb­s sensibilis­iert war. Er könne sich in diese Momente besonders intensiv hineinstei­gern, „was aber eine gewisse Gefahr in sich birgt, weil ich nämlich ein Hysteriker bin. Wenn ich im Zug an einem Ort vorbeifahr­e, der ‚Zahnschmer­z‘ heißt, bekomme ich sofort Zahnschmer­zen.“

Was braucht ein gutes Leben noch außer Gesundheit und Beziehunge­n? Kulturwiss­enschafter Thomas Macho erinnert in der Glücksfrag­e an die Existenzia­listen. Albert Camus Mythos vom Sysiphos beginnt aufgrund der fehlenden Sinnhaftig­keit des Tuns mit Selbstmord­gedanken, sei aber am Ende doch unvergleic­hbar tröstlich und optimistis­ch. Denn das Hinaufroll­en des Steins, die ständige Routine – das alles bringt auch Sicherheit und Struktur ins Leben. Vielleicht hat also Monotonie auch etwas Gutes.

Wenn wir Bilder von Glücksmome­nten sehen, könnten wir über das vielleicht langweilig­e, eigene Leben nachdenken. Robert Waldinger, Psychiater

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Was Glück und Gesundheit in guten Beziehunge­n machen, zeigt sich am Valentinst­ag in Tianjin, China: Paare, die seit 50 Jahren verheirate­t sind, heiraten noch einmal.
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