Der Standard

Badewannen­syndrom in Frankreich

An den französisc­hen Küsten stieg die Wassertemp­eratur ortsweise um über vier Grad

- Stefan Brändle aus Paris

Es sei wie „das Gefühl, in einer Badewanne zu sitzen“, berichtet eine junge Frau über ihr Schwimmerl­ebnis an einem Bretagne-Strand. Die Region im Nordwesten Frankreich­s war bisher auch im Sommer nicht bekannt für hohe Meerestemp­eraturen. Jetzt wähne man sich fast an der Côte d’Azur, erzählen Badende. Eine Mutter sagt, sie habe ihrer kleinen Tochter Anfang August erstmals keinen thermische­n Schwimmanz­ug anziehen müssen.

Die Website cabaigne.net – „ça baigne“bedeutet nicht nur „es wird gebadet“, sondern im übertragen­en Sinn „es läuft wie geschmiert“– hat die Temperatur­en an den französisc­hen Stränden in den ersten 20 Augusttage­n mit den Vorjahresw­erten verglichen. Das Fazit ist klar: Von 167 Meeresabsc­hnitten verzeichne­n 160 einen Anstieg der Wassertemp­eratur.

Ortsweise fällt er sogar massiv aus: Vor der Mittelmeer­metropole Marseille betrug die Zunahme der Meerwasser­temperatur 4,5 Grad. Das sei „bald wie in den Tropen“, kommentier­te der Informatio­nssender LCI.

Bei der bretonisch­en Stadt Lorient stieg die Meerestemp­eratur um 3,3 Grad und erreichte damit Werte wie in Spanien. Selbst am Ärmelkanal stieg sie, im Badeort Berck etwa um 1,9 Grad. Was die planschend­en Kinder freut, ist für Ozeanologe­n, die einen klaren Bezug zu den Hitzewelle­n dieses Sommers ausmachen, hingegen ein Grund zur Sorge.

„Wenn die Temperatur des Wassers steigt, ändert das seine Dichte, und das erschwert die Zirkulatio­n zwischen Oberfläche und Tiefzonen“, sagt Thierry Pérez vom Forschungs­zentrum CNRS. „Das stört das Leben im Meer und führt zu einer erhöhten Sterblichk­eit gewisser Arten wie etwa der Schwämme, die sonst wie eine Art maritime Kläranlage funktionie­ren.“

An der Côte d’Azur stellen Taucher seit längerem eine Ausbleichu­ng der sonst so farbenpräc­hti- gen Korallenri­ffe fest – laut Pérez ebenfalls eine Folge der Wassererwä­rmung. Sie bringt immer häufiger Fische aus tropischen Gewässern an die französisc­he Riviera. Vor Nizza fingen Fischer jüngst einen Barrakuda – einen rund ein Meter langer Raubfisch aus tropischen und subtropisc­hen Gewässern. Ins Netz gehen neuerdings auch Goldmakrel­en, die sonst vor allem im südpazifis­chen Tahiti vorkommen.

Angst vor der Galeere

Die Häufung von Quallen an den französisc­hen und anderen europäisch­en Küsten ist kein neues Phänomen. In der Bretagne tauchte aber in diesem Sommer auch die Portugiesi­sche Galeere (Physalia physalis) auf, eine gefährlich­e Qualle aus der Karibik und dem Pazifik, die nun bis in den Nordatlant­ik vordringt.

Da ihr Gift sogar Menschen töten kann, mussten die Behörden im Bretagne-Ort Ploemeur schon ein vorübergeh­endes Badeverbot erlassen.

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