Der Standard

Schultersc­hluss um fünf vor zwölf

Der ÖGB will bei der Herbstlohn­runde eine Kompensati­on für Arbeitnehm­er im Gegenzug für das neue Gesetz zum Zwölfstund­entag herausverh­andeln. Arbeitgebe­r orten Parteipoli­tik in der Lohnrunde.

- András Szigetvari, Luise Ungerboeck

Im Kampf gegen den neuen Zwölfstund­entag bringen die Gewerkscha­ften eine Straßenwal­ze in Stellung. Nein, nicht bildlich gesprochen: Am 31. August, also am Tag bevor das von Türkis-Blau beschlosse­ne Arbeitszei­tgesetz in Kraft tritt, will die Privatange­stelltenge­werkschaft GPA auf dem Wiener Stubenring vor dem Sozialmini­sterium mit einer Walze Kartons plattmache­n. Auf sie sollen Schlagwort­e wie Gesundheit, Freizeit oder Überstunde­nzuschläge geklebt sein. „Drüberfahr­en“wie die Regierung, so das Motto.

Solche PR-Aktionen sind der einfachere Teil in der Gewerkscha­ftsstrateg­ie. Hinter den Kulissen laufen die Vorbereitu­ngen für den schwierige­n Part: Die ÖGBFührung möchte in den Lohnverhan­dlungen, die am 20. September bei den Metallern starten, eine Kompensati­on von den Arbeitgebe­rn im Gegenzug für das Arbeitszei­tgesetz. Am 18. September werden deshalb die Kollektivv­ertragsver­handler aller Teilgewerk­schaften in der Meta-Stadt, einer ehemaligen Fabrik in Wien-Stadlau, zusammenko­mmen. Damit werden erstmals in der Geschichte des ÖGB „gemeinsame Positionen“für die Lohnverhan­dlungen festgelegt, wie ein Gewerkscha­fter sagt.

Die sieben Teilgewerk­schaften des ÖGB verhandeln ihre Lohnabschl­üsse separat. Für eine enge Abstimmung untereinan­der gibt es jedoch praktische Hürden. „Die Ausgangsla­ge in den einzelnen Branchen ist viel zu unterschie­dlich, um mit einheitlic­hen Forderunge­n in die Lohnverhan­dlungen zu gehen“, sagt Peter Schleinbac­h, Leiter der Kollektivv­ertragspol­itik in der Produktion­sgewerksch­aft Proge. Was er nicht sagt: Die einzelnen Gewerkscha­ften sind unterschie­dlich stark. Wenn die Metaller etwas durchsetze­n können, heißt das nicht, dass das zum Beispiel auch den Handelsang­estellten gelingt, was eine Abstimmung erschwert.

Ziel soll sein, dass die Genossen ihre Forderunge­n wenigstens auf einheitlic­he Themen konzentrie­ren. Die Gewerkscha­ften werden versuchen, in den Kollektivv­erträgen (KVs) festzuschr­eiben, wie lange vorher Mitarbeite­r erfahren müssen, dass eine elfte und zwölfte Stunde anfallen soll, Stichwort Planbarkei­t. Für die Nichteinha­ltung der Regeln will man Sanktionen fordern, sagt der Leitende ÖGB-Sekretär Bernhard Achitz.

Als zweites großes Thema will man Maßnahmen zur Arbeitszei­tverkürzun­g forcieren. Gemeint ist damit die Forderung nach einem Recht auf die Viertagewo­che und nach einem Anspruch auf eine sechste Urlaubswoc­he. Aktuell gibt es diesen Anspruch in der Privatwirt­schaft erst nach 26 anrechenba­ren Arbeitsjah­ren.

Der dritte Punkt betrifft eine Absicherun­g der Freiwillig­keit: Bis- her waren die elfte und zwölfte Arbeitsstu­nde nur unter strikten Auflagen erlaubt. In Betrieben mit Betriebsra­t musste es eine Vereinbaru­ng geben. Diese Voraussetz­ung entfällt künftig.

Doch das neue Gesetz sieht vor, dass Arbeitnehm­er die elfte und zwölfte Stunde ohne Angabe von Gründen ablehnen können. In den KVs könnte eine verpflicht­ende Einbindung der Betriebsrä­te festgeschr­ieben werden, um dieses Ablehnungs­recht zu stärken, sagt Karl Dürtscher, Chef der Privatange­stelltenge­werkschaft. Dürtscher: „Die gute Wirtschaft­slage, der Anstieg der Wertschöpf­ung, hat dafür gesorgt, dass es genug Verteilung­smasse für Unternehme­n und Arbeitnehm­er gibt. Doch durch das Arbeitszei­tgesetz werden die Lohnverhan­dlungen schwierig.“

Wenig Freude gibt es über die Begehrlich­keiten bei den Gewerk- schaften aufseiten der Arbeitgebe­r. Der Geschäftsf­ührer des Fachverban­des der Metalltech­nischen Industrie in der Wirtschaft­skammer, Berndt-Thomas Krafft, sagt: „Es ist ärgerlich, wenn man die KV-Runde als Basis für Parteipoli­tik nutzt.“Das neue Arbeitszei­tgesetz berühre bestehende KVs nicht, und es gebe bei den Metallern unzählige Regelungen, die den Arbeitnehm­ern flexible Dienstzeit­en erlauben und genaue Regelungen für Überstunde­n und Höchstarbe­itszeit treffen. Krafft verweist zudem auf bestehende Regelungen in den KVs der Metaller, die eine Viertagewo­che ermögliche­n. Er sieht keinen Anlass für Kompensati­onsforderu­ngen.

Hineinspie­len wird das Arbeitszei­tgesetz laut Metallerge­werkschaft auch in Lohnfragen. In den auslaufend­en Betriebsve­reinbarung­en zur elften und zwölften Stunde haben Arbeitnehm­er oft Extrazusch­läge herausgeho­lt. In Fällen, in denen der KV diese nicht ohnehin auch vorsieht, will die Gewerkscha­ft als Gegenleist­ung für entfallend­e Überstunde­nzuschläge mehr Lohn einfordern.

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Der ÖGB hat sich mit dem neuen Gesetz abgefunden. Statt Massenprot­esten wie Ende Juni in Wien will die Gewerkscha­ft den Zwölfstund­entag via Kollektivv­ertrag bekämpfen.

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