Der Standard

Das öffentlich­e Reden in der Flüchtling­skrise

- BERICHT: Wolfgang Weisgram

Vor drei Jahren wurde ein Lkw mit 71 toten Flüchtling­en entdeckt. Der Fund war ein zentrales Ereignis zu Beginn der großen Migrations­bewegung. 2015 war auch eine Herausford­erung für die polizeilic­he Kommunikat­ion.

Das Jahr 2015 hat Europa her-, um nicht zu sagen durchgebeu­telt. Die dazugehöri­gen Bilder haben sich ins kontinenta­le Gedächtnis gebrannt. Allen voran der KühlLkw auf der A4 bei Parndorf. Die burgenländ­ische Polizei hat darin 71 tote Menschen gefunden. Vier Kinder darunter. Das aber war erst der Auftakt.

Die Geschichte dieses Fanals – das ein zumindest seit dem Frühjahr laufendes Vor- und in den Winter hinein andauernde­s Nachspiel hatte – ist hundertfac­h schon erzählt worden (siehe Chronologi­e

unten). Die Schlüsse, die daraus gezogen worden sind – so oder so –, beherrsche­n bis heute die politische Debatte.

Helmut Marban hat dieser europäisch­en Geschichte unlängst einen neuen Aspekt hinzugefüg­t: den der polizeilic­hen Kommunikat­ion in Krisenzeit­en, da einem die Ereignisse davonzulau­fen scheinen mit der Gefahr, viele Menschen mitzureiße­n. Im gelungenen Fall kann die polizeilic­he Kommunikat­ion mithelfen, die öffentlich­e Ruhe aufrechtzu­erhalten. 2015 war das nicht immer zu garantiere­n.

Krisenkomm­unikation

Helmut Marban war in diesen turbulente­n Tagen Pressechef in der Landespoli­zeidirekti­on in Eisenstadt. Nach einem Zwischensp­iel als Sprecher des Verteidigu­ngsministe­rs Hans Peter Doskozil ist der Oberstleut­nant nun wieder in dieser – mittlerwei­le wieder beschaulic­hen – Position. Vor kurzem hat er auf der FH Wiener Neustadt – wo Polizeioff­iziere berufsbegl­eitend akademisch graduieren können – eine Bachelorar­beit vorgelegt, die sich ausführlic­h mit diesem Jahr 2015 beschäftig­t. Und damit, welche Lehren daraus zu ziehen wären.

Marban unterschei­det drei voneinande­r geschieden­e und doch ineinander­hängende Zeiträume. Im Frühjahr und Frühsommer gab es eine stetig wachsende Zahl von Aufgriffen „unrechtmäß­ig aufhäl- tiger Fremder“. Im Rückblick erscheint das als Art Normalbetr­ieb.

Dann kam der 27. August. Ein Kriminalfa­ll, der die internatio­nale Presse auf den Plan nach Eisenstadt gerufen hat. Da galt es unter anderem, so Marban, Interviews auf Englisch zu führen. Reuters, CNN, Al Jazeera, die New York

Times mussten serviciert werden. Marban selbst tat das, empfiehlt aber, geeignete Mitarbeite­r vorsorglic­h auszubilde­n.

Man sollte sich „keinesfall­s auf ‚Amateur‘-Interviews einlassen“. Die Gefahr einer Fehlinterp­retation sei hoch.

Krisen beginnen stets mit einer „Chaosphase“. Gerade da aber gelte es das Vertrauen der Medien jedenfalls nicht zu verlieren. „Für polizeilic­he Krisenkomm­unikation muss gelten: Alles, was gesagt wird, muss absolut wahr und nachprüfba­r sein.“Tödliches Gift wäre das Spekuliere­n.

Auf den 27. August folgte der 4. September. Der Auftakt zu einem September, in dem 180.000 Menschen die Grenze passierten, und einem Oktober, in dem das 102.000 taten, wahlweise in Nickelsdor­f und Heiligenkr­euz. Überall hatten Ansprechpa­rtner da zu sein. Und alle sollten alles tatsächlic­h Sagbare sagen.

Soziale Medien

Die Medien selbst, so Marban, hatten durchaus dieses Gefühl. Und zwar umso mehr, als die Krise sich verschärft­e. Hielten bis zum 27. August 22 Prozent der Journalist­en die Kommunikat­ion für sehr gut, so waren es ab dem 27. 45 und ab September 47. Das lag wohl auch daran, dass sich das Krisenmana­gement eingespiel­t hat im Lauf der Zeit.

Gefehlt habe der Auftritt in den sozialen Medien. Das stehe ganz oben auf Marbans To-do-Liste. 2015 ist das „nicht nur im Burgenland erst am Beginn der Einführung in die Polizeiarb­eit gestanden“. Facebook und Twitter wären gerade in Krisenzeit­en, da die Dinge sich ständig ändern, ein geeignetes Instrument­arium.

 ??  ?? Eines der beklemmend­sten Bilder der Krise 2015: der Kühl-Lkw auf der Autobahn bei Parndorf und die Tatortermi­ttler, die erst nach und nach das Ausmaß der Tragödie enthüllen.
Eines der beklemmend­sten Bilder der Krise 2015: der Kühl-Lkw auf der Autobahn bei Parndorf und die Tatortermi­ttler, die erst nach und nach das Ausmaß der Tragödie enthüllen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria