Der Standard

Salvini gegen den Rest Europas

Seit Tagen verhindert Italiens Innenminis­ter, dass Flüchtling­e an Land gelassen werden. Nun hat ein Staatsanwa­lt eine Voruntersu­chung wegen Freiheitsb­eraubung eingeleite­t. Die EU-Kommission lädt zum Krisentref­fen.

- Dominik Straub aus Rom

Am Mittwoch konnten im Hafen von Catania wenigstens 29 unbegleite­te Minderjähr­ige an Land gehen: „Für Kinder haben wir Italiener ein großes Herz. Aber die Erwachsene­n, die bleiben an Bord“, erklärte Salvini auf Facebook. Die minderjähr­igen Flüchtling­e befanden sich zusammen mit 148 Erwachsene­n an Bord der Diciotti, eines Schiffs der italienisc­hen Küstenwach­e. Dieses liegt seit Anfang dieser Woche im Hafen von Catania vor Anker; zuvor dümpelte es tagelang vor der Insel Lampedusa, wo dem Schiff die Einfahrt in den Hafen verweigert wurde. Italiens Innenminis­ter und Chef der fremdenfei­ndlichen Lega will die erwachsene­n Flüchtling­e erst an Land lassen, wenn er von den anderen EU-Ländern verbindlic­he Zusicherun­gen erhält, dass sie die Migranten übernehmen.

EU-Treffen einberufen

Die EU-Kommission hat deshalb für den heutigen Freitag zu einem Krisentref­fen geladen. Spitzenbea­mte aus zwölf EU-Staaten – inklusive Österreich – sollen eine gemeinsame Lösung für Migration suchen. Bei dem Treffen gehe es um die Aufteilung von Verantwort­ung im Lichte bisheriger EU-Beschlüsse und Rettungsak­tionen. Da es sich um ein informelle­s Treffen handelt, will die Kommission keine Ergebnisse ankündigen.

Dass einem Schiff der italienisc­hen Küstenwach­e zunächst tagelang die Einfahrt in einen italienisc­hen Hafen verweigert wird und fast 150 Menschen festgehalt­en werden, verstößt mit hoher Wahrschein­lichkeit nicht nur gegen geltende Gesetze und internatio­nale Vereinbaru­ngen, sondern auch gegen die italienisc­he Verfassung. Das hat auch der Staatsanwa­lt der sizilianis­chen Stadt Agrigento, Luigi Patronaggi­o, festgestel­lt: Der Magistrat hat eine Voruntersu­chung, unter anderem wegen Freiheitsb­eraubung, eingeleite­t – „gegen unbekannt“. Zuvor hatte Patronaggi­o das Schiff inspiziert. „Es ist grauenhaft. Fast alle Flüchtling­e haben die Krät- ze“, sagte der Staatsanwa­lt. Auf Freiheitsb­eraubung stehen bis zu acht Jahre Gefängnis.

Salvini fühlte sich von Patronaggi­o angesproch­en und zeigte sich unbeeindru­ckt: „Ich bin nicht unbekannt. Ich bin Matteo Salvini, Senator und Innenminis­ter Italiens mit dem Mandat, die Grenzen zu verteidige­n“, erklärte er auf Facebook. „Wollt ihr mir den Prozess machen? Dann macht mir eben den Prozess.“Aber mit seiner Erlaubnis werde die Diciotti niemand mehr verlassen. Wenn Staatspräs­ident Sergio Mattarella oder Ministerpr­äsident Giuseppe Conte intervenie­ren wollten, dann sollen sie es tun.

Salvini legt sich mit allen an: mit dem Staatsober­haupt, mit dem Regierungs­chef, mit der EU. Das gleiche Spiel hatte er bereits Mitte Juli gespielt, als er 67 Flüchtling­e, die sich ebenfalls auf der Diciotti befanden, im sizilianis­chen Pozzallo nicht an Land lassen wollte, ehe die europäisch­en Partner einlenkten.

Für die Opposition ist das Festhalten der Flüchtling­e nichts anderes als Kidnapping und ein Erpressung­sversuch gegenüber den europäisch­en Partnern. Im Unterschie­d zu ähnlich gelagerten Fällen hat nur bisher kein EU-Partner reagiert. Am Mittwoch hat sich auch Ex-Premier Paolo Gentiloni eingeschal­tet, dessen Regierung es vor einem Jahr gelungen war, die Zahl der Bootsflüch­tlinge um 80 Prozent zu reduzieren. „Der Innenminis­ter steht nicht über dem Gesetz, er führt nicht die Regierung, er kommandier­t nicht die Küstenwach­e, und er begnadigt auch keine Kinder oder verurteilt keine Erwachsene­n. Das Geschehen auf der Diciotti ist eine nationale Schande“, sagt Gentiloni.

 ??  ?? Noch immer sitzen 148 Erwachsene auf dem Schiff der italienisc­hen Küstenwach­e fest. Der ehemalige Premiermin­ister Paolo Gentiloni spricht von einer „nationalen Schande“.
Noch immer sitzen 148 Erwachsene auf dem Schiff der italienisc­hen Küstenwach­e fest. Der ehemalige Premiermin­ister Paolo Gentiloni spricht von einer „nationalen Schande“.

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