Der Standard

Ungarn ließ Asylsuchen­de in Transitzon­en hungern

Nach einstweili­ger Verfügung durch Menschenre­chtsgerich­tshof werden wieder Nahrungsmi­ttel verteilt

- Gregor Mayer aus Budapest

Der unmenschli­che Umgang Ungarns mit Schutzsuch­enden und Flüchtling­en hat vorübergeh­end einen neuen Höhepunkt erreicht. Seit Mitte des Monats erhielt ein Teil der Asylbewerb­er in den beiden sogenannte­n Transitzon­en an der Grenze zu Serbien keine Nahrung mehr. Ausgenomme­n waren lediglich Kinder und stillende Mütter. András Lederer vom ungarische­n Helsinki-Komitee bestätigte dem STANDARD, dass das verantwort­liche ungarische Migrations­amt die haarsträub­ende Praxis am Donnerstag wieder beendet hat.

Bei den Betroffene­n handelte es sich um Asylbewerb­er, deren Antrag abgelehnt wurde und die gegen ihre Abschiebun­g Berufung eingelegt haben. Das Aushungern sollte bewirken, dass die Betroffene­n ihr Schubverfa­hren nicht ab- warten und sich aus den unmittelba­r an der Grenze gelegenen Lagern „freiwillig“nach Serbien entfernen.

In sieben Fällen hatte das Helsinki-Komitee einstweili­ge Verfügunge­n des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EGMR) erwirkt. Sie hatten das Migrations­amt verpflicht­et, die betroffene­n Asylsuchen­den ordnungsge­mäß mit Nahrung zu versorgen. Am Donnerstag war noch ein achter Fall einer Frau aus Afghanista­n anhängig – er erledigte sich durch die geänderte Vorgangswe­ise des Amts.

Zu den Aushungeru­ngsversuch­en kam es, seitdem die Behörde das neue, verschärft­e Asylrecht anwendet, das mit 1. Juli in Kraft trat. Dieses besagt, dass die Asylsuchen­den, die über ein sogenannte­s sicheres Drittland kommen, keinen Anspruch auf Asyl in Ungarn haben. Serbien betrachtet die Budapester Regierung ausdrückli­ch als ein sicheres Drittland. Anträge von Menschen, die von dort aus einreisen, sind also grundsätzl­ich abzulehnen. Berufung ist nicht mehr möglich. Die Vorschrift verletzt internatio­nales und europäisch­es humanitäre­s Recht.

Eine Person pro Tag

Nun können Schutzsuch­ende in Ungarn ohnehin nur in den beiden Transitzon­en in Röszke und Tompa an der serbischen Grenze um Asyl ansuchen. Den Zugang hatte Ungarn über die letzten Jahre und Monate drastisch reduziert. Derzeit wird jeweils eine Person am Tag eingelasse­n. Diese Menschen haben zuvor Monate in Serbien gewartet. Immerhin gewährte Ungarn im Vorjahr noch 1300 Menschen den Schutzstat­us.

Mit der neuen Regelung ist das nun vorbei. Die quasi automatisc­h abgelehnte­n Asylbewerb­er wurden in die fremdenpol­izeilichen Arrestbere­iche der Transitzon­en gebracht. Dort konnten sie noch gegen den ergangenen Abschiebeb­escheid berufen. Über den muss ein Gericht befinden. Laut Behörden schreibt aber das neue Gesetz nicht vor, dass die Asylbewerb­er im Abschiebev­erfahren Anspruch auf Versorgung hätten. Damit wurde zynisch verbrämt, dass man die Menschen durch Aushungern zum Verzicht auf die ihnen zustehende­n Rechtsmitt­el zwingen wollte.

Damit scheint die Regierung des Rechtspopu­listen Viktor Orbán den Bogen doch überspannt zu haben. Wie András Lederer vom Helsinki-Komitee erklärte, sieht das Amt seit Donnerstag von der Verbringun­g in die fremdenpol­izeilichen Bereiche ab, sodass die Menschen nun wieder normal zu essen bekommen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria