Der Standard

„Der Fehler ist ein Treibmitte­l für Kunst“

Der Chefdirige­nt des Bruckner Orchesters Linz, Markus Poschner, über die Bedeutung des Fehlers für die Musik, den Rausch bei Berlioz und die speziell oberösterr­eichische Note.

- INTERVIEW: Michael Wurmitzer

STANDARD: Sie sind seit einem Jahr Chefdirige­nt des Linzer Bruckner Orchesters. Wie war der Einstand? Poschner: Ich würde sagen, wir haben musikalisc­h jeden Stein umgedreht. Beim Namen Bruckner Orchester ist es klar, dass wir uns mit unserem Hausgott intensiv auseinande­rsetzen müssen und wollen. Eine Frage war: Alle Welt spielt Bruckner – was ist dabei das Oberösterr­eichische, was unsere Perspektiv­e auf das Repertoire, was bedeutet unser Dialekt?

STANDARD: Zu welchen Schlüssen kamen Sie? Poschner: Etwa haben wir in Oberösterr­eich eine ganz eigene Volksmusik- und Chortradit­ion, eine eigene Art zu phrasieren, zu hören und zu klingen. Das lässt Bruck- ner, wenn man dies lebendig macht, ganz anders erleben. Weniger Weihrauch, mehr Verve. So wollen wir unsere Geschichte erzählen. Bruckner bleibt unser Zentralges­tirn, um das wir kreisen, das färbt ab auf alles andere.

STANDARD: Wenn man Bruckner mit dem Sound der Jetztzeit konfrontie­rt, was entdeckt man? Poschner: Man ist baff, wie modern seine Partituren sind. Sie fußen auf einer Tradition, die Schubert, Mozart und Wiener Klassik heißt, aber es gibt bei ihm Ecken und Kanten, die empfinde ich als unheimlich radikal und avantgardi­stisch. Oft wird Bruckner im Überwältig­ungsmodus gespielt, mit Pathos und Weihrauch, das halte ich für einen großen Irrweg! STANDARD: Die „Große Konzertnac­ht“in der Postcity (9. 9.) dreht sich heuer um Berlioz. Warum?

Poschner: Der Überbegrif­f der Ars Electronic­a heuer ist „Error“. Der Fehler ist ein Treibmitte­l für Kunst generell, aber für Berlioz im Speziellen, weil er immer im Widerstand zum Mainstream war. Unverstand­en, aber zukunftswe­isend. Klanglich erschließt er ein ganz neues Universum. Dazu kommen seine Experiment­e mit Opium – diese Musik ist aus einem Rausch entstanden. Das passt gut zum Thema des Antikonfor­men.

STANDARD: Technologi­e soll Fehler in der Regel eliminiere­n. Können Algorithme­n also komponiere­n? Poschner: Stücke, die vor 200 Jahren stark nach algorithmi­schen Regeln entstanden sind, führt heute keiner mehr auf. Geblieben sind Dinge, die äußerlich zwar in Auseinande­rsetzung mit Traditione­n geschaffen wurden, aber innerlich alles gegen den Strich bürsten. Daher berühren sie noch. Ich kann Maschinen beibringen, nach Regeln zu komponiere­n, aber das würde uns nichts erzählen. Wahre Kunst ist menschlich.

MARKUS POSCHNER (47) leitet seit 2017 das Bruckner Orchester Linz.

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Foto: APA/Rubra Der Dirigent Markus Poschner entdeckt in Linz Bruckner neu.

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