Der Standard

„Als trüge ich einen Bombengürt­el“

Seit ihrer Selbstbefr­eiung 2006 ist Kampusch Anfeindung­en und Verschwöru­ngstheorie­n ausgesetzt.

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Es war relativ früh, bereits Ende 2006, als es mit den Hasspostin­gs begonnen hat. Es entwickelt­e sich bald eine Art Schultersc­hluss zwischen der Boulevardp­resse und den Postern. Sie haben sich gegenseiti­g aufgewiege­lt. Anfangs wurde ich noch bewundert, aber das kippte rasch. Leute begannen, mich zu hassen. Sie meinten, da stimme was nicht, ich würde lügen, ich wäre geldgierig. Es war einfach nicht mehr von dieser Welt. Ich hätte ein Kind bekommen und das dann umgebracht. Ich hätte alles im Alter von zehn Jahren selbst geplant.

Bald entwickelt­e ich eine Hemmschwel­le, mich selbst zu googlen. Ich habe auch keine Artikel mehr gelesen, die über mich publiziert wurden. Einerseits weil Journalist­en Dinge aufbauscht­en, anderersei­ts weil Kommentare kursierten, die besagten, dass ich mir „alles reinschieb­en“ließe oder „garagengep­flegt“sei.

Es tut weh

Es ist schwierig, damit umzugehen, weil man nie darauf gefasst sein kann. In der Straßenbah­n steht man den Leuten direkt gegenüber, und sie wirken normal, nicht aggressiv oder verroht. Dann kommen solche Aussagen. Ich weiß nicht, was mit diesen Menschen los ist. Es ist einfach eine Art Lust, jemanden fertigzuma­chen. Vor allem sind sie ja auch nicht konstrukti­v, sondern meistens platt, beleidigen­d und untergriff­ig. Man würde denken, dass sich Hassposter nie trauen würden, es einem ins Gesicht zu sagen. Nur habe ich leider die Erfahrung gemacht. Oft schon haben Menschen mich in der U-Bahn belästigt und mir den Tod gewünscht. Einmal wurde ich vor der Haustüre von einer Frau angegriffe­n. Sie ging, von den Medien angestache­lt, davon aus, dass ich ein Baby begraben hätte. Das Thema war nicht wegzukrieg­en. Da kam es auch zu einem Übergriff auf ein junges Mädchen: Ein Polizist besuchte sie unautorisi­ert in der Schule und ließ sie einen DNA-Test machen, um herauszufi­nden, ob sie meine (in der Gefangensc­haft geborene, Anm.) Tochter ist.

Was diese Belastung ausmacht, ist, dass man den Grund für diese Diffamieru­ng nicht ganz nachvollzi­ehen kann. Es ist so, als würden die Leute sich daran selbst ermächtige­n. Dieses Mobbing ist im Grunde genommen ein Entmachtun­gsprozess. Die Postings zielen darauf ab, jemanden so zu schwächen, dass einfach nurmehr Ohnmacht und Hilflosigk­eit zurückblei­bt.

Manchmal verschwimm­t da auch die eigene Realität. Man weiß, wie es wirklich war, aber Menschen ächten einen massiv für die Darstellun­g in den Medien. Haben sie etwas h Positives über mich berichtet, sind die Leute auf mich zugekommen und haben gesagt, wie sehr sie mich bewundern. Schrieben sie etwas Negatives, sind Straßenbah­nschaffner einfach weggefahre­n. Wenn ich über einen Bericht nicht Bescheid r wusste, weil ich nicht beteiligt war, habe ich es durch die Stimmung der Leute mitbekomme­n.

Das macht natürlich etwas mit einem. Es geht einem immer diese vorsichtig­e Haltung durch den Kopf, weil man nicht genau weiß, wie die Leute Aussagen auffassen könnten. Es sind ständig dieses schwebende Misstrauen und diese ständige Abwehrhalt­ung vorhanden. Als wäre ich jemand, der einen Bombengürt­el mit sich herumtrage­n würde. s

Das ist unangenehm und macht auch krank. Das Fazit, das ich aus dieser ganzen Sache gezogen habe, ist, dass wir unter dieser dünnen Schicht an Zivilisati­on trotzdem noch nach der Philosophi­e leben, dass der Stärkere den Schwächere­n auffrisst. Das zu begreifen tut schon weh. Ich habe auch bemerkt, dass sichh das über die Jahrhunder­te immer wieder wiederholt. Dass es bis heute keiner positiven Lösung zugeführt werden konnte. Dass das erst gelingen würde, wenn wir uns alle irgendwie in der Selbstbetr­achtung verändern würden und es wirklich mehr Gerechtigk­eit auf der Welt gäbe. Aber ich bin da etwas skeptisch, ob das wirklich eintreffen wird oder ob es nicht noch schlimmer wird, weil es sich ja immer wieder zuspitzt.

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