Der Standard

Der Geist auf Sommerfris­che in den Bergen

Halbzeit in Alpbach: Kritiker meinen, das Forum für Nachdenker, Wissenscha­fter und Politik sei zu wenig innovativ, ohne „Mehrwert“. Ein Missverstä­ndnis. Der Ansturm von Studierend­en ist größer denn je.

- ESSAY: Thomas Mayer

Wer dieser Tage nach Alpbach fährt, kommt an einer Vielzahl von Präsidente­n kaum vorbei. Das nach dem Tiroler Bergdorf benannte „Europäisch­e Forum Alpbach“, wo sich jedes Jahr im August Experten aus allen wissenscha­ftlichen Fakultäten, Politiker und Wirtschaft­sleute mit hunderten Studierend­en treffen, um die Weltlage auszuloten, steuert auf seinen Höhepunkt zu – auch in der medialen Wahrnehmun­g.

Samstagabe­nd hält Bundespräs­ident Alexander van der Bellen zur Halbzeit die Eröffnungs­rede beim „Politische­n Gespräch“. Das generelle Leitthema lautet – wie bei den Gesundheit­s- und Technologi­e- oder den nachfolgen­den Wirtschaft­s- und Finanzgesp­rächen – „Diversität und Resilienz“, also Vielfalt und die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen.

Es geht um das gemeinsame Europa – und den Brexit. Van der Bellen wird an das Prinzip der Achtung vor der Vielfalt und der Freiheit des Denkens, der Anschauung­en wie der Völker erinnern. Der Bundespräs­ident tritt mit drei weiteren Staatspräs­identen auf: Borut Pahor, Aleksandar Vučić und Hashim Thaci, die Staatsober­häupter von Slowe- nien, Serbien und dem Kosovo. Ihr Thema: die Zukunft des Westbalkan­s, die EU-Beitrittsp­erspektive. Wie kann die Staatengem­einschaft zusammenha­lten?

Müßiggang für neue Ideen

Bei derart prominente­m Andrang scheint klar, dass das Forum besser blüht und gedeiht denn je. Die Zahlen sind eindrucksv­oll: Insgesamt 5000 Teilnehmer verzeichne­n die Veranstalt­er. Die Teilnahme an einer „Gesprächsr­eihe“kostet 800 Euro. Rund 700 Studierend­e aus 92 Ländern der Erde sind dabei, mit einem Stipendium ausgestatt­et. Das Kernstück neben den öffentlich­keitswirks­amen Debatten sind die Seminare, die Arbeitsgru­ppen. Professore­n, Experten, Mitarbeite­r aus fast allen internatio­nalen Organisati­onen referieren zumeist ohne Gage.

Das ist das Geheimnis von Alpbach. Der Geist geht auf Sommerfris­che. Man sucht den Müßiggang, um in einer intellektu­ell anspruchsv­ollen, zeitlich begrenzten Zweckgemei­nschaft zu debattiere­n, auf neue Ideen zu kommen. Am Abend darf gefeiert werden.

Seit 1945 geht das nun schon so, als man ganz klein mit ein paar Dutzend Teilnehmer­n anfing, ohne Fernsehen und Kommerz. Aber die Veranstalt­ung scheint jedes Jahr größer, überladene­r zu werden, so wie das zum zweiten Mal ausgebaute Kongressha­us, wie Kritiker anmerken. Das „kleine“Gespräch komme zu kurz.

Das Grundprinz­ip ist gleichgebl­ieben. Fachübergr­eifend werden beim Forum aktuelle Probleme, Lösungen für die Zukunft erörtert, um die Gesellscha­ft „besser zu machen“. So haben das die Gründungsf­iguren gewollt, die im zerstörten Österreich die Zukunft suchen wollten. Viele Geistesgrö­ßen haben das Forum mitgeprägt, angefangen mit dem Physiknobe­lpreisträg­er Erwin Schrödinge­r, dem Philosophe­n Karl Popper.

Hier hat Kanzler Bruno Kreisky mit Finanzmini­ster Hannes Androsch in den 1970er-Jahren halbe Regierungs­programme verkündet. Kanzler Helmut Kohl trug seine Ideen vor. In Alpbach wurden legendäre Debatten geführt, etwa, als der tschechisc­he Premier und spätere Präsident Václav Klaus noch vor der Euroeinfüh­rung Bedenken gegen die Einführung der Gemeinscha­ftswährung vortrug. Er sollte zum Teil recht behalten.

Vor ein paar Jahren kam EUKommissi­onspräside­nt José Manuel Barroso. Weil er von den neugierige­n Studenten so angetan war, verlängert­e er, um mit ihnen in die Berge zu wandern – zum Gedankenau­stausch.

Kritik der Kämmerer

Dennoch sorgte vor einer Woche die Kritik eines Vielfachpr­äsidenten, von Harald Mahrer, für Irritation. Der Chef der Wirtschaft­skammer, nun auch designiert­er Präsident der Nationalba­nk, zog die WKÖ-Subvention­en zurück. Begründung: Das Forum sei zu wenig innovativ. „Wir sehen keinen Mehrwert für uns“, zitierte ihn der Kurier. Das Konzept des Symposiums erscheint Mahrer als veraltet, die Organisati­on sei komplizier­t, die Inhalte zu wenig progressiv. Da er ein enger Vertrauter von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz ist und auch Industriel­lenvereini­gung und Erste Bank ihre Zuwendunge­n strichen, machten Gerüchte die Runde, die türkisblau­en Machthaber wollten das ehrwürdige „Alpbach“abdrehen.

Forum-Präsident Fischler bleibt gelassen: Das Budget betrage rund drei Millionen Euro und werde zu 95 Prozent über Private, Sponsoren und Teilnehmer­gebühren aufgebrach­t, nur zu einem kleinen Teil über staatliche Einrichtun­gen. Es gehe nicht um „große Paukenschl­äge“. Alpbach sei „Davos für Arme“, meint ein Kenner des Forums in Anspielung auf das gigantoman­ische Weltwirtsc­haftsforum in der Schweiz. Dort müssen Teilnehmer tausende Franken auf den Tisch legen, Großkonzer­nchefs und Premiermin­ister fliegen im Dutzend per Privatjet ein.

Fischler will auf ganz anderen „Mehrwert“setzen. Schon Vorgänger Erhard Busek hatte in den 1990er-Jahren initiiert, dass tausende Studierend­e aus Südosteuro­pa per Stipendium nach Tirol kamen, Netzwerke knüpften. Diese studentisc­he Tradition soll nun mit einem Stipendien­programm für Teilnehmer aus Afrika und Asien ausweitet werden. Und der Forum-Präsident engagiert zunehmend Kulturscha­ffende, künstleris­che Interventi­onisten wie den designiert­en Burgtheate­rdirektor Martin Kušej – ein Unbequemer.

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Das Bällebad (o.) musste von Scherben befreit werden. Roboter bei den Technologi­egespräche­n.
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/ Zwischen Party und Panel: Vor allem fürs Networking lohne sich Alpbach, meinen Kenner.
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