In den Highlands fliegen die Baumstämme
Die schottischen Highland Games sind fast tausend Jahre alt, heute ist das Spektakel Volksfest und Touristenveranstaltung zugleich. Wer ihre Magie fühlen will, muss die Ohren spitzen.
Lukas Prettenthaler steht im schottischen Nieselregen auf einer Landzunge, wie sie schöner kaum sein könnte: Durch vereinzelte Laubbäume blickt er über die Bucht des Städtchens Portree auf eine vorgelagerte Insel, die mit satthellgrüner Farbe gemalt scheint. Er ist hier, um an den Highland Games teilzunehmen, einer eintägigen Mischung aus Sportfest, Wetttanzen und Frühschoppen. Doch in diesem Moment hat er anderes im Sinn: „Wir haben nur zufällig überlebt“, sagt er über den Autounfall, den er vor wenigen Stunden mit seinem Begleiter Martin Schiller miterlebt hat. „Irgendwie“sei er dem Frontalcrash ausgewichen. Den jungen Beifahrer zogen die Österreicher aus dem verunglückten Minivan, sein Vater war da bereits tot.
Der tragische Unfall bringt weitere Konsequenzen mit sich: Die Isle of Skye, an deren Ostseite Portree liegt, ist lahmgelegt. Auf dieser Insel im Nordwesten Schottlands, wo die bemoosten Hügel und schroffen Küsten so unberührt wirken, dass man sich am Ende der Welt wähnt, gibt es nur eine Straße, die in Österreich als Bundesstraße durchgehen würde. Und die bleibt den ganzen Tag gesperrt, die Eröffnung wird verschoben.
Kein Kilt, kein Baumstamm
Prettenthaler und Schiller müssen ihre Pläne ändern: Sie wollten Baumstämme, Hämmer und schwere Gewichte werfen, aber diese Bewerbe fallen unter die Kategorie „heavy“– und da ist das Kilttragen Pflicht. Die Schottenröcke der Österreicher liegen im Kofferraum ihres Mietwagens, der steht in einem Straßengraben. So bleiben nur die „Light“-Bewerbe, etwa Hochsprung.
Gegen zehn Uhr führt Drum Major Peter MacDonald seine Pipe Band doch noch in die Arena. Trommeln und Dudelsäcke, trara trara. Das Summen und Tröten des Traditionsinstruments ist der Soundtrack dieses Hochamts des schottischen Brauchtums. MacDonald ist mit seiner Band seit 45 Jahren dabei, er hat sich bis zum Chef hochgetrommelt. Nun marschiert er in einer 18-teiligen Paradeuniform vorneweg, befehligt lautstark und wirbelt sein Zepter herum. „Die Games haben sich seit hundert Jahren nicht verändert“, sagt MacDonald, „und das ist wichtig.“Die Highland Games sind Tradition, leben von ihrer Tradition. Auf Skye finden sie seit 1877, nur von den Weltkriegen unterbrochen, alljährlich statt.
Mögliche Ursprünge der Games gibt es schon im vierten Jahrhundert, die am weitesten verbreitete Variante legt den Beginn ins elfte Jahrhundert: König Malcolm III. ließ die schnellsten Männer mehrerer Clans in Braemar gegeneinander zu einem Berglauf antreten, um die besten Boten zu rekrutieren. Heute gibt es etwa 80 Highland Games, parallel zu den Sportwettkämpfen laufen dabei Dudelsack- und Highland-DanceWettbewerbe. Die Zuseher plaudern, liefern leistungsunabhängig Applaus und trinken Bier aus Plastikbechern, Kinder spielen auf den umliegenden Aussichtshügeln und betteln um Süßigkei- ten – Volksfeststimmung, trotz des regelmäßig einsetzenden Regens. Ob Schotte oder Tourist, an den hat man sich gewöhnt.
Die meisten Sportbewerbe gibt es doppelt: vormittags nur für ortsansässige Teilnehmer, am Nachmittag darf jeder mitmachen. In der ersten Runde schwingt neben veritablen Muskelbröckerln ein untersetzter, aber kräftiger Durchschnittstyp in Mittvierziger-Alltagshemd und Schlabberhose den Hammer, der Platzsprecher hat Spaß: „Habt Verständnis! Manche haben den Hammer seit vorigem Jahr nicht mehr angegriffen.“Und während die Namen des Local-Bewerbs – MacKenzie, Leitch, MacDonnel – wie aus Braveheart klin- gen, stapft nach der Mittagspause ein schwarzgraubärtiger Pole namens Lukasz Wenta in den Wurfkäfig. Er ist den Highland Games zuliebe nach Schottland gezogen und wird heute gutes Geld verdienen, pro Bewerb zwischen 40 und 100 Pfund.
Nicht nur die Sportler kassieren. „Die Highland Games sind für den Tourismus der Isle of Skye die wichtigste Veranstaltung des Jahres“, sagt MacDonald. Mehr als 150.000 Zuseher pro Jahr besuchen die Games, viele davon sind freilich aus der Gegend. „Sehr viele sind Verwandte und Freunde von Teilnehmern“, sagt die Schottin Fiona, „für uns ist es ein Ausflug mit der Familie.“
Zurück nach Skye. Die Sonne lässt die feuchte Wettkampfwiese glänzen. Der 37-jährige Prettenthaler gewinnt im Hochsprung mit 1,61 Meter – im alten Scherensprungstil, denn eine Matte gibt es nicht. Alles wie vor 100 Jahren. „Congratulations to our winner, Lukas from Austria! Well done!“, ruft der Platzsprecher. „Well done“sagt er an diesem Tag hunderte Male, Austria nur einmal. Die Kilts, der Kofferraum.
Drei Tage später, die Abernethy Highland Games: Hier ist alles größer. Schluss mit Wildromantik, Schluss mit urig. Die Wiese ist etwa so groß wie ein Fußballfeld, außen steht Verkaufszelt an Foodtrucks an Schmuckladen. Lederwaren, mittelmäßiges Wildgulasch, Gesichtsbemalung, Hundefutter, alles da. In einem Eck stehen Hüpfburg, Trampolin und bunt blinkendes Kettenkarussell, auf zwei Bühnen tanzen junge Mädchen um die Wette, schwere Jungs stoßen in einer Hälfte Kugel, in der anderen Hammer, Kinder laufen 100 Meter, auf einem angrenzenden Tennisplatz messen sich die Trommler, die unerbittlichen Dudelsackklänge kommen aus allen Richtungen. Jahrmarkt-Sinnesüberreizung auf Schottisch. Große Worte wie Tradition und Kultur werden da ganz klein.
Dudeleien
Dann ruft der Platzsprecher zur Pause, und die Show beginnt. Eine Heerschar von Trommlern und Dudelsackspielern in Kilt und Schottenmütze zieht in die Arena ein, sechs Pipe Bands verschmelzen zu einem Getöse. Es durchdringt Hirn, Ohren, Herz und Lunge, es gibt kein Entkommen, man würde auch nicht wollen, wofür ist man denn in Schottland, und mit geschlossenen Augen fühlt es sich an, als marschierten die Musiker an der Seite von Robert the Bruce in den Krieg gegen die Engländer. Wäre man Schotte, man wäre stolz. Hinter den Bands folgen in Tracht und bemühtem Gleichschritt die anwesenden Mitglieder des Clan Grant, der diese Region einst regierte und im Rahmen der Games alljährlich ein multinationales Familientreffen feiert. Und auch wenn die fokussierte, zelebrierte Intensität der Bands wieder der allgemeinen Sinnesüberreizung weichen muss – etwas Magie bleibt in der Luft. Selbst dann, wenn sich die Pipe Bands wenig später im Tauziehen duellieren.