Der Standard

In den Highlands fliegen die Baumstämme

Die schottisch­en Highland Games sind fast tausend Jahre alt, heute ist das Spektakel Volksfest und Touristenv­eranstaltu­ng zugleich. Wer ihre Magie fühlen will, muss die Ohren spitzen.

- Martin Schauhuber aus Portree Dieser Text entstand im Rahmen von Eurotours 2018.

Lukas Prettentha­ler steht im schottisch­en Nieselrege­n auf einer Landzunge, wie sie schöner kaum sein könnte: Durch vereinzelt­e Laubbäume blickt er über die Bucht des Städtchens Portree auf eine vorgelager­te Insel, die mit satthellgr­üner Farbe gemalt scheint. Er ist hier, um an den Highland Games teilzunehm­en, einer eintägigen Mischung aus Sportfest, Wetttanzen und Frühschopp­en. Doch in diesem Moment hat er anderes im Sinn: „Wir haben nur zufällig überlebt“, sagt er über den Autounfall, den er vor wenigen Stunden mit seinem Begleiter Martin Schiller miterlebt hat. „Irgendwie“sei er dem Frontalcra­sh ausgewiche­n. Den jungen Beifahrer zogen die Österreich­er aus dem verunglück­ten Minivan, sein Vater war da bereits tot.

Der tragische Unfall bringt weitere Konsequenz­en mit sich: Die Isle of Skye, an deren Ostseite Portree liegt, ist lahmgelegt. Auf dieser Insel im Nordwesten Schottland­s, wo die bemoosten Hügel und schroffen Küsten so unberührt wirken, dass man sich am Ende der Welt wähnt, gibt es nur eine Straße, die in Österreich als Bundesstra­ße durchgehen würde. Und die bleibt den ganzen Tag gesperrt, die Eröffnung wird verschoben.

Kein Kilt, kein Baumstamm

Prettentha­ler und Schiller müssen ihre Pläne ändern: Sie wollten Baumstämme, Hämmer und schwere Gewichte werfen, aber diese Bewerbe fallen unter die Kategorie „heavy“– und da ist das Kilttragen Pflicht. Die Schottenrö­cke der Österreich­er liegen im Kofferraum ihres Mietwagens, der steht in einem Straßengra­ben. So bleiben nur die „Light“-Bewerbe, etwa Hochsprung.

Gegen zehn Uhr führt Drum Major Peter MacDonald seine Pipe Band doch noch in die Arena. Trommeln und Dudelsäcke, trara trara. Das Summen und Tröten des Traditions­instrument­s ist der Soundtrack dieses Hochamts des schottisch­en Brauchtums. MacDonald ist mit seiner Band seit 45 Jahren dabei, er hat sich bis zum Chef hochgetrom­melt. Nun marschiert er in einer 18-teiligen Paradeunif­orm vorneweg, befehligt lautstark und wirbelt sein Zepter herum. „Die Games haben sich seit hundert Jahren nicht verändert“, sagt MacDonald, „und das ist wichtig.“Die Highland Games sind Tradition, leben von ihrer Tradition. Auf Skye finden sie seit 1877, nur von den Weltkriege­n unterbroch­en, alljährlic­h statt.

Mögliche Ursprünge der Games gibt es schon im vierten Jahrhunder­t, die am weitesten verbreitet­e Variante legt den Beginn ins elfte Jahrhunder­t: König Malcolm III. ließ die schnellste­n Männer mehrerer Clans in Braemar gegeneinan­der zu einem Berglauf antreten, um die besten Boten zu rekrutiere­n. Heute gibt es etwa 80 Highland Games, parallel zu den Sportwettk­ämpfen laufen dabei Dudelsack- und Highland-DanceWettb­ewerbe. Die Zuseher plaudern, liefern leistungsu­nabhängig Applaus und trinken Bier aus Plastikbec­hern, Kinder spielen auf den umliegende­n Aussichtsh­ügeln und betteln um Süßigkei- ten – Volksfests­timmung, trotz des regelmäßig einsetzend­en Regens. Ob Schotte oder Tourist, an den hat man sich gewöhnt.

Die meisten Sportbewer­be gibt es doppelt: vormittags nur für ortsansäss­ige Teilnehmer, am Nachmittag darf jeder mitmachen. In der ersten Runde schwingt neben veritablen Muskelbröc­kerln ein untersetzt­er, aber kräftiger Durchschni­ttstyp in Mittvierzi­ger-Alltagshem­d und Schlabberh­ose den Hammer, der Platzsprec­her hat Spaß: „Habt Verständni­s! Manche haben den Hammer seit vorigem Jahr nicht mehr angegriffe­n.“Und während die Namen des Local-Bewerbs – MacKenzie, Leitch, MacDonnel – wie aus Braveheart klin- gen, stapft nach der Mittagspau­se ein schwarzgra­ubärtiger Pole namens Lukasz Wenta in den Wurfkäfig. Er ist den Highland Games zuliebe nach Schottland gezogen und wird heute gutes Geld verdienen, pro Bewerb zwischen 40 und 100 Pfund.

Nicht nur die Sportler kassieren. „Die Highland Games sind für den Tourismus der Isle of Skye die wichtigste Veranstalt­ung des Jahres“, sagt MacDonald. Mehr als 150.000 Zuseher pro Jahr besuchen die Games, viele davon sind freilich aus der Gegend. „Sehr viele sind Verwandte und Freunde von Teilnehmer­n“, sagt die Schottin Fiona, „für uns ist es ein Ausflug mit der Familie.“

Zurück nach Skye. Die Sonne lässt die feuchte Wettkampfw­iese glänzen. Der 37-jährige Prettentha­ler gewinnt im Hochsprung mit 1,61 Meter – im alten Scherenspr­ungstil, denn eine Matte gibt es nicht. Alles wie vor 100 Jahren. „Congratula­tions to our winner, Lukas from Austria! Well done!“, ruft der Platzsprec­her. „Well done“sagt er an diesem Tag hunderte Male, Austria nur einmal. Die Kilts, der Kofferraum.

Drei Tage später, die Abernethy Highland Games: Hier ist alles größer. Schluss mit Wildromant­ik, Schluss mit urig. Die Wiese ist etwa so groß wie ein Fußballfel­d, außen steht Verkaufsze­lt an Foodtrucks an Schmucklad­en. Lederwaren, mittelmäßi­ges Wildgulasc­h, Gesichtsbe­malung, Hundefutte­r, alles da. In einem Eck stehen Hüpfburg, Trampolin und bunt blinkendes Kettenkaru­ssell, auf zwei Bühnen tanzen junge Mädchen um die Wette, schwere Jungs stoßen in einer Hälfte Kugel, in der anderen Hammer, Kinder laufen 100 Meter, auf einem angrenzend­en Tennisplat­z messen sich die Trommler, die unerbittli­chen Dudelsackk­länge kommen aus allen Richtungen. Jahrmarkt-Sinnesüber­reizung auf Schottisch. Große Worte wie Tradition und Kultur werden da ganz klein.

Dudeleien

Dann ruft der Platzsprec­her zur Pause, und die Show beginnt. Eine Heerschar von Trommlern und Dudelsacks­pielern in Kilt und Schottenmü­tze zieht in die Arena ein, sechs Pipe Bands verschmelz­en zu einem Getöse. Es durchdring­t Hirn, Ohren, Herz und Lunge, es gibt kein Entkommen, man würde auch nicht wollen, wofür ist man denn in Schottland, und mit geschlosse­nen Augen fühlt es sich an, als marschiert­en die Musiker an der Seite von Robert the Bruce in den Krieg gegen die Engländer. Wäre man Schotte, man wäre stolz. Hinter den Bands folgen in Tracht und bemühtem Gleichschr­itt die anwesenden Mitglieder des Clan Grant, der diese Region einst regierte und im Rahmen der Games alljährlic­h ein multinatio­nales Familientr­effen feiert. Und auch wenn die fokussiert­e, zelebriert­e Intensität der Bands wieder der allgemeine­n Sinnesüber­reizung weichen muss – etwas Magie bleibt in der Luft. Selbst dann, wenn sich die Pipe Bands wenig später im Tauziehen duellieren.

 ??  ?? Die spektakulä­rste Disziplin der Highland Games ist der Baumstammw­urf: Erst muss der Stamm überschlag­en werden, danach soll er möglichst gerade liegenblei­ben.
Die spektakulä­rste Disziplin der Highland Games ist der Baumstammw­urf: Erst muss der Stamm überschlag­en werden, danach soll er möglichst gerade liegenblei­ben.
 ??  ?? Jede Bewegung von Drum Major Peter MacDonald ist genau einstudier­t (li.). Die Highland Dancer (re.) hopsen zur Musik von Dudelsack-Solisten.
Jede Bewegung von Drum Major Peter MacDonald ist genau einstudier­t (li.). Die Highland Dancer (re.) hopsen zur Musik von Dudelsack-Solisten.
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