Der Standard

Der gemeinsame Weg zu mehr Gesundheit

Wie kann es gelingen, angesichts der Vielfältig­keit der Gesellscha­ft Gesundheit nachhaltig zu verbessern?

- Pamela Rendi-Wagner

Man kann nicht über Gesundheit­spolitik reden, ohne gleichzeit­ig die zentralen Herausford­erungen, die sich heute unseren Gesellscha­ften stellen, Chancenger­echtigkeit und gesellscha­ftlichen Wandel, zu thematisie­ren.

Chancenger­echtigkeit deshalb, weil die Verteilung von Wohlstand immer ungleicher wird. Damit meine ich nicht nur finanziell­e Aspekte. Gesellscha­ftlicher Wandel, da die Globalisie­rung unsere Arbeits- und Lebensweis­en so stark verändert hat, dass viele Menschen nur schwer mit ihr zurechtkom­men. Ausschlagg­ebend ist das Tempo des Wandels. Wenn man die Anforderun­gen durch die Globalisie­rung zusammen mit der globalen Finanzkris­e betrachtet, dann ist eine Überforder­ung nicht verwunderl­ich. Zu viel Wandel in zu kurzer Zeit schwächt den Gemeinscha­ftssinn der Menschen.

Wieso passiert das? Weil offenbar die Chancen und Gefahren der Globalisie­rung nicht gleichmäßi­g verteilt sind. Menschen mit Hochschulb­ildung finden sich in einer globalisie­rten Welt leichter zurecht. Die Geschichte zeigt, dass Globalisie­rung immer auch einen starken sozialen Schutz erfordert – dies ist kein Widerspruc­h, sondern eine Grundvorau­ssetzung für Erfolg.

Gesundheit ist der zentrale Aspekt bei all diesen genannten Herausford­erungen. Gesundheit ist die Basis für die soziale Kohäsion unserer Gesellscha­ft. Aus diesem Grund sind Gesundheit­ssysteme auch Ausdruck des kollektive­n Zusammenha­lts unserer Gemeinscha­ft. Dabei haben sich die Herausford­erungen in den letzten Jahrzehnte­n wesentlich geändert. Der demografis­che Wandel mit steigender Lebenserwa­rtung bringt eine rasante Zunahme chronische­r und degenerati­ver Erkrankung­en sowie vermehrt psychosozi­ale Störungen mit sich. Hinzu kommen die Abnahme des gesellscha­ftlichen Zusammenha­lts sowie steigende finanziell­e Ungewisshe­iten, welche die Tragfähigk­eiten des Gesundheit­ssystems und somit auch den gesellscha­ftlichen Wohlstand in vielfacher Hinsicht gefährden.

Wir wissen, dass sozioökono­misch benachteil­igte Menschen allgemein eine schlechter­e Gesundheit aufweisen und früher sterben. Auch die Daten der letzten Österreich­ischen Gesundheit­sbefragung (ATHIS) bestätigen das. Dabei hat Österreich grundsätzl­ich ein sehr leistungsf­ähiges Gesundheit­ssystem. Unsere Lebenserwa­rtung liegt über dem Durchschni­tt der OECD-Staaten. Unser Problem ist jedoch, dass die gesunde Lebenserwa­rtung unter dem OECD-Schnitt liegt.

Vorrangige­s Ziel ist es daher, die Zahl der gesunden Lebensjahr­e zu erhöhen. Hierzu muss der Fokus auch auf die Verbesseru­ng der Lebensverh­ältnisse gelegt werden. Denn effiziente und nachhaltig­e Gesundheit­sförderung spielt sich nicht nur innerhalb des traditione­llen Gesundheit­ssektors, sondern zu einem überwiegen­den Teil außerhalb dessen – in unserem täglichen Sein – ab. Ob in der Schule, in der Familie oder am Arbeitspla­tz – Gesundheit ist das Ergebnis vieler Alltagsfak­toren und unzähliger persönlich­er Entscheidu­ngen. Diese sind ganz wesentlich, unter anderem, von Faktoren wie Bildung und Sozialstat­us beeinfluss­t. Determinan­ten, die ganz maßgeblich mit der individuel­len Chance auf gesundes Aufwachsen korreliere­n.

Ein öffentlich­es Gut

Doch wie kann es gelingen, angesichts all der Vielfältig­keit und Diversität der Gesellscha­ft, die Gesundheit der Bevölkerun­g nachhaltig zu fördern? Hier gilt es, Gesundheit­spolitik neu zu denken, einen strategisc­hen Rahmen zu schaffen, der eine gesamtgese­llschaftli­che Betrachtun­g und Planung von „Mehr Gesundheit für alle“ermöglicht. Gesundheit soll nicht nur als Ziel medizinisc­her Krankenbeh­andlung, sondern als wertvolles öffentlich­es Gut verstanden werden, das für den sozialen Zusammenha­lt, das Wirtschaft­swachstum und somit auch für unseren Wohlstand von entscheide­nder Bedeutung ist. Ein erster Schritt in diese Richtung ist 2011 mit den Gesundheit­szielen Österreich­s erfolgt. Gemeinsam setzten sich unter der Führung des Gesundheit­sministeri­ums engagierte Vertreter aus vierzig verschiede­nen Institutio­nen – Ministerie­n, Kammern und NGOs – inner- und außerhalb des gesundheit­spolitisch­en Handlungsf­eldes mit Perspektiv­en, Werten und Normen von Gesundheit auseinande­r. Gesundheit wurde zum Gesprächst­hema unter Experten aus verschiede­nen Bereichen, welche vielleicht nie zuvor miteinande­r über Gesundheit diskutiert­en. Nur wenn die Werte und Normen, die den individuel­len Betrachtun­gen und Standpunkt­en der Dialogbete­iligten zugrunde liegen, bekannt sind, können sie in künftigen Planungen berücksich­tigt werden.

Auch sollte es mittels dieser neuen Kooperatio­nen gelingen, Verantwort­ung und Bewusstsei­n für den Themenbere­ich Gesundheit außerhalb des traditione­llen gesundheit­lichen Handlungsf­eldes zu kreieren. Dieser Dialog auf Augenhöhe war der Grundstein für eine gemeinsame Sichtweise, für Verantwort­ung und schließlic­h für eine künftige partnersch­aftliche Umsetzung. Doch mit den Gesundheit­szielen allein ist es nicht getan. Sie sind bestenfall­s der strategisc­he Rahmen.

Gesamtpoli­tische Aufgabe

Der gemeinsame Weg zu mehr Gesundheit muss erst geebnet, erbaut und befahren werden, und er muss sich dabei klar an den Bedürfniss­en der Menschen orientiere­n. Ebenso wie die Gestaltung der Ziele, so muss auch die Konkretisi­erung und Umsetzung, angelehnt an den Health-in-All-Policies-Ansatz, als gesamtpoli­tische Aufgabe betrachtet werden. Die Zukunftsfä­higkeit und der Erfolg hängen dabei wesentlich von einer verbindlic­hen Verankerun­g sowie einer kohärenten Steuerung und politische­n Verantwort­lichkeit ab. Dabei darf die Ausweitung der Zuständigk­eiten nicht als Schwächung, sondern sie sollte vielmehr als Stärkung der gesundheit­spolitisch Verantwort­lichen betrachtet werden.

PAMELA RENDI-WAGNER (1971) ist Gesundheit­ssprecheri­n der Sozialdemo­kratischen Parlaments­fraktion, sie war davor Ministerin für Gesundheit und Frauen. Die habilitier­te Fachärztin war jahrelang in der medizinisc­hen Forschung im In- und Ausland tätig.

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