Der Standard

Italiens Justiz geht gegen Salvini wegen Festhalten­s von Flüchtling­en vor

Amtsmissbr­auch und Freiheitsb­eraubung wird Matteo Salvini vorgeworfe­n, weil er 137 Flüchtling­e tagelang auf einem Schiff der Küstenwach­e festhalten ließ. Diese durften erst am Sonntag von Bord.

- Dominik Straub aus Rom

Wien – Gegen den italienisc­hen Innenminis­ter Matteo Salvini, Chef der rechtsradi­kalen Partei Lega, wird wegen Freiheitsb­eraubung, illegaler Festnahme sowie Amtsmissbr­auchs ermittelt. Eingeleite­t hat das Verfahren Staatsanwa­lt Luigi Patronaggi­o, weil auf Geheiß Salvinis 137 aus Seenot gerettete Flüchtling­e tagelang auf einem Schiff der Küstenwach­e im Hafen von Catania festgehalt­en wurden. Erst Sonntagfrü­h durften die Flüchtling­e die Diciotti verlassen.

Salvini hatte dies zuvor davon abhängig gemacht, dass auch andere Staaten die Migranten aufnehmen. Irland und Albanien haben sich dazu bereiterkl­ärt. Die Ermittlung­en gegen ihn bezeichnet­e Salvini als „Schande“. (red)

Sie ermitteln gegen einen Minister, der die Grenzen des Landes verteidigt. Es ist eine Schande“, erklärte Salvini, als er von dem Verfahren gegen ihn erfuhr. Wie einst der frühere Premier Silvio Berlusconi stellte sich Italiens Innenminis­ter als Opfer einer politisier­ten Justiz dar. Die Staatsanwä­lte sollen ihn ruhig verhaften; er sei stolz darauf, die Interessen und die Sicherheit der italienisc­hen Bürger zu verteidige­n, und werde dies „bis zum Ende weiterhin tun“. Er sehe die Ermittlung­en als „Ehrenmedai­lle“.

Gegen den rechtsradi­kalen LegaChef und Innenminis­ter sowie gegen seinen Stabschef im Ministeriu­m wird wegen Freiheitsb­eraubung, illegaler Festnahme und Amtsmissbr­auchs ermittelt. Eingeleite­t wurde das Verfahren vom sizilianis­chen Staatsanwa­lt Luigi Patronaggi­o, einem Mafiajäger. Er wirft dem Minister vor, die Flüchtling­e ohne jede Gesetzesgr­undlage auf der Diciotti, einem Schiff der Küstenwach­e, festgehalt­en zu haben. Das Schiff hatte am 16. August 190 Migranten aus Seenot gerettet. Rechtlich gesehen hatten sie damit italienisc­hen Boden betreten und Anrecht darauf, ein Asylgesuch zu stellen. Die meisten von ihnen stammen aus den Bürgerkrie­gsländern Eritrea und Somalia.

Folterspur­en bei Flüchtling­en

Laut Gesetz hätten die Flüchtling­e an Land gebracht werden müssen. Doch stattdesse­n dümpelte die Diciotti auf Geheiß Salvinis zunächst einige Tage vor Lampedusa, wo 13 Schwerkran­ke in ein Spital gebracht wurden. Mit den verblieben­en 177 Personen an Bord konnte das Schiff am vergangene­n Montag in Catania einlaufen, wo 27 Minderjähr­ige und weitere Kranke von Bord gehen durften. 137 Flüchtling­e konnten die Diciotti erst in der Nacht auf Sonntag verlassen. Viele weisen laut den behandelnd­en Ärzten Folterspur­en auf; fast alle leiden an Krätze. Ausnahmslo­s alle Frauen seien in libyschen Folterlage­rn vergewalti­gt worden.

Der Innenminis­ter hatte zuvor erklärt, dass die Flüchtling­e erst an Land gehen könnten, wenn andere EU-Länder ihre Aufnahme zugesicher­t hätten.

Nur Albanien und Irland sagten zu, je 20 von ihnen zu übernehmen; die restlichen 98 Migranten sollen in Liegenscha­ften der italienisc­hen Kirche Aufnahme finden. „Drohungen sind nicht hilfreich und werden uns einer Lösung nicht näher bringen“, erklärte der Sprecher der EU-Kommission, Alexander Winterstei­n. „Wer die EU angreift, schießt sich damit selbst ins Knie“, sagte EU-Migrations­kommissar Dimitris Avramopoul­os zu La Repubblica. Europa versuche, Italien zu helfen.

Italien weitgehend isoliert

Von der Gruppe derjenigen EULänder, die sich für eine gerechtere Verteilung offen gezeigt hatten, wie Deutschlan­d, Frankreich und Spanien, ist Italien weitgehend isoliert. Die Visegrád-Staaten – insbesonde­re Ungarn und Polen – zeigen für Salvinis harte Linie Sympathie, weigern sich aber seit Monaten, auch nur einen Flüchtling aus Italien zu übernehmen.

Also feuert Salvini weiterhin aus allen Rohren auf Brüssel. In seiner Wutrede gegen die Justiz forderte er, dass die Milliarden, die Italien jedes Jahr in die EUTöpfe einzahle, neu überdacht werden. Regierungs­chef Conte drohte mit einem Veto gegen den EU-Haushalt: „Unter diesen Umständen können wir dem Haushalt nicht zustimmen“, sagte der Regierungs­chef. Derzeit wird in der EU der Haushaltsr­ahmen für die Jahre 2021 bis 2027 diskutiert. Dieser muss von allen Mitgliedst­aaten gebilligt werden.

Für Straftaten, die ein Regierungs­mitglied begeht, ist in Italien das Ministertr­ibunal zuständig. Es besteht aus drei ausgeloste­n Berufsrich­tern, die drei Monate Zeit haben, um die Vorwürfe des Staatsanwa­lts zu prüfen. Um gegen Salvini, der als Minister Immunität genießt, Anklage erheben zu können, müsste der Senat grünes Licht geben. Ein Lega-Abgeordnet­er kündigte an, dass man einen Magistrate­n, der es wagen sollte, Salvini den Prozess zu machen, „zu Hause abholen“werde.

 ??  ?? 137 Flüchtling­e mussten insgesamt zehn Tage lang an Bord der Diciotti, eines Schiffes der italienisc­hen Küstenwach­e, bleiben. Erst Sonntagfrü­h durften sie Land betreten.
137 Flüchtling­e mussten insgesamt zehn Tage lang an Bord der Diciotti, eines Schiffes der italienisc­hen Küstenwach­e, bleiben. Erst Sonntagfrü­h durften sie Land betreten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria