„Walzer mit Putin ändert nichts“
Wie aus einer spontanen Einladung zu einer Hochzeit ein politisches Problem wird, erzählt Außenministerin Karin Kneissl im Interview. Sie habe selbst nicht damit gerechnet, dass Russlands Präsident Putin kommt. INTERVIEW: Thomas Mayer
Für Außenministerin Karin Kneissl ändert der von vielen kritisierte Hochzeitsbesuch von Russlands Präsident Wladimir Putin nichts an Österreichs Sanktionskurs. Im STANDARD- Interview sagte sie, die Einladung sei „nicht kalkuliert“, sondern „spontan“erfolgt.
Die österreichische Außenministerin will reden. Nicht nur über die umstrittene Anwesenheit des russischen Präsidenten Wladimir Putin bei ihrer Trauung, sondern vor allem über europäische und globale Politik. Zwei Stunden nahm sich Karin Kneissl am Rande des Forum Alpbach Zeit, um vor dem EU-Außenminister-Treffen in Wien ihre Sicht zu erklären. Erstmals räumt sie ein, dass sie das Problem erkennt, wenn eine Außenministerin einen protokollarisch weit über ihr stehenden Präsidenten einlädt, ohne den dabei anwesenden Kanzler und den Bundespräsidenten vorab zu informieren.
Die Entscheidung habe sie spontan bei einem Empfang getroffen, erklärt Kneissl. Sie habe nicht damit gerechnet, dass er auch komme.
STANDARD: Sie sind jetzt seit acht Monaten im Amt, haben mehrfach in Interviews kritisch angemerkt, dass es in EU-Außenminister-Räten an Substanz mangle. Wo gibt es Defizite?
Kneissl: Im Rat ist vieles sehr ritualisiert. Wir haben mehr Monologe als Dialoge. Ich würde mir mehr Interagieren wünschen, so wie ich das in Uno-Institutionen kennengelernt habe. Es kommen sehr viele zu Wort, aber es gibt dann nicht die Replik, die zu einer Debatte führt.
STANDARD: Echte gemeinsame EU-Außenpolitik gibt es erst seit dem EU-Vertrag von Lissabon 2009, mit einer eigenen EU-Außenbeauftragten. In essenziellen Fragen gibt es oft Einigkeit, etwa bei den Sanktionen gegen Russland. Das ist doch Substanz, nicht?
Kneissl: Wir haben eine perfekte Vorbereitung auf Beamtenebene, wo wahrscheinlich auch viel debattiert wird. Da wird viel vorweggenommen, was natürlich die Arbeit auf Ministerebene erleichtert. Man kann dann vieles absegnen, aber ohne eine richtige politische Debatte.
STANDARD: Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die EU-Front gegenüber Moskau bricht. Nur ist es so, dass die Regierungschefs die wichtigsten Themen an sich ziehen, von Migration über Eurokrise bis Russland. Wie sehen Sie das?
Kneissl: So ist es. Das habe ich von Anfang übrigens auch versucht zu erklären, als manche sagten, man nehme mir als Außenministerin die EU-Agenden weg. Fast alle Premierminister haben inzwischen einen Staatssekretär oder Minister für EU-Angelegenheiten.
STANDARD: Ist das frustrierend für Sie, wenn die Außenminister den Rest machen dürfen?
Kneissl: Ich habe mit dem „Rest“immer noch genug zu tun. Da gehört der Iran ebenso dazu wie die Frage, wie wir mit dem SyrienKrieg weiter umgehen, der zu Ende läuft.
STANDARD: Da müssen wir über Präsident Wladimir Putin und Ihre Hochzeit reden. Sie haben bisher stets betont, dass Sie eine unabhängige Ministerin sein wollen, die über dem Parteipolitischen steht, wollten die FPÖ nicht kommentieren. Dieses Bild ist nun völlig gekippt seit Ihrer Einladung Putins zu Ihrer Hochzeit, bei der die halbe FPÖ-Spitze mitfeierte. Warum haben Sie das gemacht? Kneissl: Ich habe Herrn Putin am 5. Juni eingeladen, nachdem wir den ganzen Tag miteinander verbracht hatten, ich ihn auch im Vorfeld zu längeren Gesprächen getrof- fen hatte, bei denen er sich interessiert zeigte, was ich über den Nahen Osten denke.
STANDARD: Das war Anfang Juni bei Putins Staatsbesuch in Wien. Wie kam das?
Kneissl: Zwischendurch war ich kurz im Büro, habe dort die Einladungen für meine Hochzeit vorgefunden. Die habe ich mitgenommen zu einer gemeinsamen Veranstaltung am Abend, bei der unsere Partner mitkommen konnten, auch mein Verlobter Wolfgang. Dort habe ich dem Bundespräsidenten, dem Bundeskanzler und Regierungskollegen eine Einladung gegeben.
STANDARD: Und warum Putin?
Kneissl: Ich habe mir ganz spontan gedacht, ich teile meine Freude und stelle Putin meinen Verlobten vor. Das habe ich gemacht mit den Worten: „Darf ich vorstellen, Wolfgang Meilinger, wir sind beide über 50 und heiraten beide das erste Mal.“Und er schaut mich und den Wolfgang an und sagt: „Interessante Frau. Sie sind ein mutiger Mann.“Ich hatte die Billetts noch in der Hand und habe dann zu Putin gesagt, das ist unsere Hochzeitseinladung. Dann bekam ich innerhalb der Einladungsfrist von vier, fünf Wochen von der russischen Botschaft die Mitteilung „Der Präsident kommt“. Das war für uns alle eine Riesenüberraschung.
STANDARD: Wie kommt man auf die Idee, den russischen Präsidenten vor den Augen von Bundespräsident und Bundeskanzler unabgesprochen einzuladen? Protokollarisch stehen Sie zwei Stufen unter Putin ... Kneissl: Absolut, aber ich hatte eben mit ihm schon Gespräche.
STANDARD: Das ist doch eine Düpierung des Kanzlers. Sehen Sie dieses Problem nicht?
Kneissl: Es war wirklich aus der spontanen Situation heraus. Ich bin nicht vorher zum Bundespräsidenten gegangen und habe gesagt, ich gebe dem russischen Präsidenten eine Hochzeitseinladung. Protokollarisch gesehen haben Sie völlig recht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er sie annimmt.
STANDARD: Sie haben selbst gar nicht damit gerechnet, dass Putin kommt?
Kneissl: Nein, sicherlich nicht. Es wurde von manchen kommentiert, das sei strategisch kalkuliert gewesen, eiskalt. Nein, aber ich habe das nicht kalkuliert, sicher nicht.
STANDARD: Der Russland-Experte Gerhard Mangott verwies darauf, dass der Sender Russia Today, der das Walzervideo aufnahm, ein Propagandasender ist, der die Bilder für das russische Staatsfernsehen liefern sollte. Hat Putin Sie überrumpelt?
Kneissl: Er hat mich in keiner Weise verwendet. Ich habe kurz vor der Hochzeit sowohl mit dem polnischen wie dem britischen Außenminister darüber geredet und sie informiert. Ich wollte, dass sie davon nicht aus den Medien erfahren. Ich habe auch gesagt, dass ich Putin „by sheer coincidence“, durch reinen Zufall, eingeladen hatte.
STANDARD: Sie waren viele Jahre Journalistin, kennen das Geschäft ...
Kneissl: Dass es zu diesen Bildern in Russia Today kam, das war von unserer Seite in keiner Weise gewünscht oder beabsichtigt. Wir hatten mit dem russischen Protokoll ausgemacht, dass es nur ein paar Fotos geben wird, die rauskommen. Ich habe gesagt, dass ich diese Hochzeit in keiner Weise medial verwerte.
STANDARD: Auf Wienerisch würde man sagen: Putin hat Sie gelegt. Er hat Bilder produziert, die für ihn, der im Westen isoliert ist, in Russland günstig sind. Kneissl: Soweit ich gesehen habe, ging es bei den Bildern um die österreichische Außenministerin, nicht die EU-Ratspräsidentin.
STANDARD: Kanzler Kurz wirbt in der EU seit Monaten dafür, dass seine Regierung proeuropäisch sei. Müssen Sie jetzt befürchten, klar diesem politischen Lager der Rechtspopulisten zugerechnet zu werden? Kneissl: Ich bin weiterhin die Ministerin, die in keinem Parteigremium drinnen ist.
STANDARD: Die FPÖ feiert Sie jedenfalls. Strache sagte auf die Frage, wen er zu seiner Hochzeit einladen würde, er würde Italiens Matteo Salvini einladen und Ungarns Viktor Orbán. Was ist daran privat?
Kneissl: Für gewisse Leute war ich bisher schon die FPÖ-Außenministerin, das ist in einigen Medien stark etabliert. Einige, die mich so sehen wollten, haben das getan.
STANDARD: Wie wollen Sie nun glaubhaft sein beim Vertreten der kritischen Haltung der EU gegenüber Moskau? Etwa, dass es Sanktionen wegen der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim gibt? Und auch noch unbefangener Brückenbauer?
Kneissl: Da habe ich ja kein Problem damit. Das kann ich weiterhin vertreten. Die EUSanktionen gegen Russland sind ein Regierungsbeschluss. Wir gehen da im Tandem mit den 27 EU-Partnern. Klarerweise stehe ich zu unserer völkerrechtlichen Sichtweise auf die Krim. Das ändert ja nichts daran, nur weil ich mit Putin Walzer getanzt habe. Ich sehe es so, dass ich zu Putin eine Vertrauensbasis hergestellt habe und er zu mir. Eine Reziprozität, aufgrund derer es möglich wird, gewisse Dinge zu besprechen.
STANDARD: Wie schlägt sich das nieder? Was können Sie bei Putin erreichen? Kneissl: Wir haben Situationen, in denen wir ein Patt haben. Das akzeptieren wir. Wir müssen aber in anderen Bereichen weiterkommen.
STANDARD: Kanzler Kurz scheint nicht sehr glücklich zu sein über das, was da gelaufen ist. Haben Sie mit ihm darüber geredet? Kneissl: Ich habe ihn bei der Hochzeit gesehen, bin dann auf Flitterwochen gefahren.
STANDARD: Die FPÖ will bei den EU-Wahlen eine Wahlplattform mit rechtspopulistischen Parteien bilden. Welche Rolle spielen Sie? Kneissl: Ich habe im ersten Halbjahr keinen Wahlkampf gemacht. Ich werde auch in Zukunft in keinem Wahlkampf tätig sein.
STANDARD: Macht Ihnen die Entwicklung keine Sorgen? Das Erstarken des Rechtspopulismus auf der europäischen Ebene? Wir stehen vor dem Brexit und inneren Spaltungen. Kneissl: Wir sind in einer prekären Situation, und ich bin davon nicht überrascht. Ich habe 2013 ein Buch veröffentlicht unter dem Titel Die zersplitterte Welt und was von
der Globalisierung bleibt. Darin habe ich Thesen aufgestellt, dass das zeitgeistige Pendel in Richtung Kleinräumigkeit und Überschaubarkeit geht. Ich glaube, man muss daran denken. Ein Brexit ist sehr wohl möglich. Ein Zerfall der Union ist aus verschiedenen Gründen möglich. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, können nicht sagen, es kann nicht sein, was nicht sein darf.
STANDARD: Sind Sie für den Zerfall der EU?
Kneissl: Nein, natürlich nicht.
STANDARD: Aber man müsste sich dann doch die Frage stellen, was man dagegen tun muss, um den Zerfall zu verhindern?
Kneissl: Ich sehe den Europawahlkampf nicht so, dass eine Partei sagt, die Union gehöre zerschlagen.
STANDARD: Also die europäischen Partner der FPÖ, die Lega von Salvini oder Marine Le Pen in Frankreich, sagen das aber recht offen, dass sie diese EU zerschlagen wollen.
Kneissl: Ich bin kein großer Beobachter von Le Pen. Aber eines hat man dort begriffen: dass die Franzosen nicht raus wollen aus dem Euro und nicht raus aus der EU. Das war das große Wahlkampfthema bei den Präsidentenwahlen, einer der Gründe, warum sie verloren haben. Salvini verfolge ich nicht so genau. Ich habe glücklicherweise viele andere interessante Themen.
STANDARD: Was sind die Themen beim EUAußenminister-Rat in Wien ab Donnerstag?
Kneissl: Die Agenda ist streng vorgegeben. Das wird sein: Naher und Mittlerer Osten, Ukraine, auch die transatlantischen Beziehungen. Es geht also auch um Syrien und die Frage der Rückkehr der Flüchtlinge, wo ich die Zusammenarbeit mit Putin suche.
STANDARD: Sie wollen Brücken bauen. Gibt es eine geheime Botschaft des russischen Präsidenten Putin in Sachen Ukraine an die EU?
Kneissl: Nein, wir haben uns bei der Hochzeit wirklich nur ganz kurz zu Syrien unterhalten. Ich weiß nicht, ob der Kanzler mit ihm über die Ukraine gesprochen hat. Was Russland als Idee eingebracht hat, schon vor einem Jahr, ist die Errichtung einer Schutzzone mit UN-Blauhelmen entlang der Demarkationslinie in der Ostukraine. Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin hat mir gesagt, sollte es zu so einer Mission kommen, dann wollen wir neutrale Staaten, die die Soldaten stellen – und nicht Nato-Staaten. Österreich würde ein Kontingent bereitstellen. Man muss aber auch klarstellen: Wir hatten bisher keine Vermittlerrolle.
STANDARD: Wenn die EU Österreich zum Vermitteln brauchten würde, würde Mogherini Sie damit beauftragen. Rechnen Sie damit? Kneissl: Wir brauchen eine Verteilung der Lasten. Die Initiative dazu müsste vonseiten des Europäischen Auswärtigen Dienstes kommen. Wir wollen den südosteuropäischen Fokus des bulgarischen EU-Vorsitzes auf Südosteuropa fortsetzen. Das Vakuum, das wir in Südosteuropa haben, das dürfen wir nicht anderen Mächten überlassen.
STANDARD: Stichwort Brexit: Glauben Sie, dass die Verhandlungen scheitern können? Kneissl: Das ist die ganz große Frage, ich weiß es nicht. Die Briten haben immer oszilliert zwischen Bindung an das gemeinsame Europa und dem Rausgehen. Wir sollten das mit weniger Pathos und Beschwören früherer Zeit machen. Don’t panic.
KARIN KNEISSL (53) ist seit Dezember 2017 Außenministerin. Zuvor arbeitete die ausgebildete Diplomatin im Außenministerium, dann u. a. als Journalistin, Buchautorin und Universitätslektorin.
Die EU-Sanktionen gegen Russland sind ein Regierungsbeschluss. Wir gehen da im Tandem mit den 27 EU-Partnern.