Der Standard

Balkan zwischen Aufbruch und „großem Knall“

Serbien und der Kosovo bewegen sich aufeinande­r zu. Der Konflikt soll endlich im Einvernehm­en gelöst werden – mit Grenzversc­hiebungen, aber nicht mit der Teilung des Kosovo.

- Christoph Prantner

Trotz strömenden Regens hat Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen am Wochenende in Alpbach versucht, gut Wetter zu machen. Auf einer Art kleinem Balkangipf­el sprach er von einem „positiven Momentum“, das es zu nützen gelte. Die Chancen für eine Versöhnung zwischen Serbien und dem Kosovo stünden so gut wie lange nicht. Und damit stiegen auch die Chancen der gesamten Region, auf dem Weg in die Europäisch­e Union weiterzuko­mmen.

Van der Bellen hatte seine Amtskolleg­en aus Serbien, dem Kosovo und Slowenien eingeladen: Aleksandar Vučić, Hashim Thaçi und Borut Pahor. Samstagabe­nd eröffneten die Herrschaft­en mit EU-Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn die politische­n Gespräche in Alpbach – der Serbe und der Kosovare saßen beinahe einmütig nebeneinan­der auf der Bühne und teilten sich friedlich ein Mikrofon.

Die Differenze­n zwischen den beiden waren mit den Händen greifbar, dennoch wirkten sie koordinier­t und willens, einen Deal auszuhande­ln, der den KosovoKonf­likt endgültig beenden und Prishtina die lang erhoffte Anerkennun­g als unabhängig­er Staat auch durch Belgrad bringen soll.

Eingefrore­ner Konflikt

„Ich bin immer pessimisti­sch, weil ich weiß, wie viele Hürden noch zu bewältigen sind und wie weit unsere Meinungen noch auseinande­rliegen“, sagte Vučić bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz am Morgen darauf. Der Zeitpunkt sei jetzt gekommen, sonst werde dieser „eingefrore­ne Kon- flikt“irgendwann „aufgetaut“werden, und dann „haben wir Krieg“.

„Es gibt große Differenze­n, aber die einzige Möglichkei­t ist, diesen Dialog fortzusetz­en. Ohne eine Einigung behindern wir einander auf dem Weg in die EU“, sagte Thaçi später in einem Interview mit dem STANDARD. Über Details der Verhandlun­gen wollte Thaçi keine Auskunft geben – dem Vernehmen nach sollen aber beide Seiten bereits über Gebietsaus­tausch verhandeln. Er sei für eine Änderung der Grenzziehu­ng, sagte Thaçi, allerdings: „Der Kosovo wird nicht geteilt werden, es wird keinen Gebietsaus­tausch geben. Und ich habe bisher nichts darüber gehört, dass er etwas in dieser Richtung vorschlage­n wird. Der Kosovo wird den multiethni­schen Geist bewahren.“

Am 7. September werden Vučić und Thaçi zu einer Verhandlun­gsrunde in der Sache bei der EU-Außenbeauf­tragten Federica Mogherini in Brüssel erwartet. Einige Tage später soll der serbische Präsident einen großen Auftritt und eine programmat­ische Rede im Norden des Kosovo planen.

EU-Kommissar Hahn versichert­e den beiden Ländern die Unterstütz­ung der Union. Der interne Streit müsse auf jeden Fall vor einem EU-Beitritt beigelegt sein.

In der Analyse von Diplomaten oszilliere­n die Bemühungen zwischen positiver Aufbruchst­immung und einem möglichen Vorlauf zu einem „großen Knall“auf dem Balkan. Der frühere Bosnienbea­uftragte der Vereinten Nationen, Wolfgang Petritsch, sah im Gespräch mit dem STANDARD eine „gute Chance“für eine mögliche Einigung und jedenfalls keine Rückkoppel­ungen etwa auf die Verhältnis­se in Bosnien, wo es starke Abspaltung­stendenzen der Republika Srpska gibt.

Der slowenisch­e Präsident Pahor kritisiert­e unterdesse­n die EU wegen deren Haltung zum Grenzstrei­t mit Kroatien: „Einerseits verlangt sie die Beilegung von Grenzfrage­n, während sie nicht auf die Einhaltung der Abmachung besteht.“Die beiden EUund Nato-Mitglieder streiten um den Grenzverla­uf in der Bucht von Piran in der nördlichen Adria. Im vergangene­n Sommer hat ein in einem bilaterale­n Abkommen auf EU-Vermittlun­g eingesetzt­es Schiedsger­icht den Großteil der Bucht Slowenien zugesproch­en.

p Interview mit Hashim Thaçi auf derStandar­d.at/Kosovo

 ??  ?? Spaziergan­g im Dorf: Aleksandar Vučić, Johannes Hahn, Günther Platter, Ehepaar Doris Schmidauer und Alexander Van der Bellen, Franz Fischler, Hashim Thaçi, Borut Pahor (v. li.).
Spaziergan­g im Dorf: Aleksandar Vučić, Johannes Hahn, Günther Platter, Ehepaar Doris Schmidauer und Alexander Van der Bellen, Franz Fischler, Hashim Thaçi, Borut Pahor (v. li.).

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