Der Standard

In der Wutzone

Wilde Veteranen, zornige Junge: Das Jazzfestiv­al Saalfelden bietet Neubefragu­ngen der Tradition.

- Ljubiša Tošić

Der Jazz kann nichts dafür, dass er aus jenem bunten Land kommt, das zurzeit von Donald Trump twitternd regiert wird. Er verarbeite­t das Faktum, dass er es als Bürde empfindet, aber mit giftig krächzende­r Wut. Der singende Gitarrist Marc Ribot lässt seine Songs of Resistance zudem abseits des vokalen Grants implodiere­n. Sein Unmut über die Politlage rempelt sich den Weg frei durch Akkordblöc­ke und pulverisie­rt die Songs mit instrument­aler Expressivi­tät, die irgendwie an Jimi Hendrix denken lässt.

Seinerzeit, in Woodstock, demolierte Jimi in einem Soundanfal­l die US-Hymne. Star-Span

gled Banner wurde Objekt einer „Teufelsaus­treibung“von Nationalis­mus und Militarism­us mit dekonstrui­erenden Mitteln. Ribot stellt die Protestson­gs natürlich zuerst vor. Er seziert sie aber danach herzhaft. Die freiwerden­de Energie würde Trumps Sprungscha­nzenfrisur sicher aufwirbeln. Schön ungehobelt klingt das. Und es schützt vor einer Einladung ins Weiße Haus, vor der sich auch das US-amerikanis­che Quintett um Saxofonist Joe McPhee nicht fürchten muss: In den kollektive­n Elegien brodelt ein tiefsitzen­der Schmerz, der als Mix aus Wut und Wehmut an die Bürgerrech­tsbewegung der 1960er gemahnt.

Das wieder reizvoll stilbunte, aber total verregnete Jazzfestiv­al ist natürlich keine Anti-TrumpVeran­staltung. US-Gitarrist Elliott Sharp setzt diesmal etwa auf eher private Zweisamkei­t: Bei Chan

sons du Crépuscule verarbeite­t er mit Vokalistin Hélène Breschand Anregungen, die er durch das recht bekannte Duo Jane Birkin und Serge Gainsbourg erlangt hat. Unter Berücksich­tigung auch des Stöhnklass­ikers Je t’aime … moi

non plus suchen die zwei düstere emotionale Zwischenre­iche auf.

Sharps tiefe Murmelstim­me und seine bluesig-nervöse Gitarre treffen allerdings nur auf aus- ufernde Tragödient­öne und Textrezita­tion. Breschand vermag die Freiräume dieses Kosmos auf Dauer nicht zu nutzen.

Es klang ein bisschen wie ein schlaffes Schäferstü­ndchen in der Soundwolke, die auch vom finnischen Trio Virta hätte stammen können: Virta kredenzte loungige Postrock-Attitüde, in die Trompeter Antti Hevosmaa hallige Schüchtern­heit zelebriert­e. Es tat sich wenig in den unendliche­n Weiten der Zögerlichk­eit. Es war Musik im Vorzimmer des Gestaltens, der das Dreierkoll­ektiv Schnellert­ollermeier zeigte, wie Dramatik und Wucht hätten bewirkt werden können: Gitarrenro­ckklischee­s wurden in die Minimal-Music-Maschine gestopft, in der sie zum metrisch verspielte­n Kraftfeld wurden.

Intensität geht allerdings auch akustisch und sparsam – im Sinne von Miles Davis: „Es geht nicht um die Noten, die du spielst, es geht um jene, die du nicht spielst“, orakelte einst der grantelnde Weise. Drummer Christian Lillinger, Bassist Petter Eldh und Pianistin Kaja Draksler zelebriert­en in dem Sinne auch Stücke im Stop-andgo-Modus, bei denen Pausen eine zentrale Rolle spielten. Zu einem der Höhepunkte des Festivals wird aber Drakslers Zugang: Mit sich verdichten­den, unablässig sich übergießen­den Akkordwell­en erreichte sie hohe Intensität, die dramaturgi­sch smarte Strukturde­nke verriet.

Von der Entschleun­igung

Es war Musik in der Beschleuni­gungsmasch­ine, während Klarinetti­st Ulrich Drechsler auf Entschleun­igung setzte. Mit Yasmo, Clara Luzia sowie Sopranisti­n Özlem Bulut wurde sein Projekt

Liminal Zone zur entspannte­n Party diverser Stile. Elektronik, Pop und Poetry, auch klassische Gesänge, pianistisc­he Minimal-Music-Patterns: ein sanft pulsierend­er Mix, der aber Triviales nicht scheut und damit ein paar improvisat­orische Risse in der Idylle schon vertragen würde.

Munterer die Band Shake Stew, die Saxofonist Shabaka Hutchings Gastrecht gewährte. Das Oktett mit u. a. Lukas Kranzelbin­der (b), Mario Rom (tr) und Clemens Salesny (sax) suchte mit dem Briten auf afrojazzig­er Basis hymnische Bereiche auf. Es gab hitzige Plauderei der kollektive­n Art mit einem, der Miles Davis widerlegt. „Manchmal dauert es sehr lange, bis du klingst wie du“, hatte der Trompeter beklagt.

Hutchings jedoch klingt schon wie er selbst, also unverwechs­elbar. Der pralle Ton, die mit knappen, markigen Phrasen ansetzende­n Improvisat­ionen, die sich zu emphatisch­er Stilistik aufschwing­en: Das sind individuel­le Zugänge eines Jungen (Jahrgang 1984), aus dessen impulsiv-zornigen Statements weder Sympathie für Trump noch für den Brexit herauszuhö­ren war.

 ??  ?? Der britische Saxofonist Shabaka Hutchings: Zusammen mit jungen heimischen Größen des Projekts Shake Stew dringt er in hymnische Sphären des Ausdrucks vor.
Der britische Saxofonist Shabaka Hutchings: Zusammen mit jungen heimischen Größen des Projekts Shake Stew dringt er in hymnische Sphären des Ausdrucks vor.

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