Der Standard

In der EU kann es unter Wiens Vorsitz flutschen

Schwerpunk­tthemen der Regierung für den EU-Ratsvorsit­z sind unter anderem Reformen der Konzernbes­teuerung und des Asylsystem­s. Es gebe das Potenzial für nachhaltig­e Lösungen auf europäisch­er Ebene.

- Maximilian Kasy

Im kommenden Monat wird eine ganze Reihe von EU-Treffen unter österreich­ischem Vorsitz stattfinde­n. Unter anderem versammeln sich die Außenund Verteidigu­ngsministe­r der EU am 29. und 30. August, die Wirtschaft­s- und Finanzmini­ster am 10. und 11. September, und am 20. September findet ein Gipfel zum Thema Sicherheit statt. Die Agenda wird von der österreich­ischen Regierung bestimmt. Erklärte Prioritäte­n der österreich­ischen Regierung für die Ratspräsid­entschaft sind der digitale Binnenmark­t und Migration. Der „Kampf gegen Internetgi­ganten“mit dem Ziel der „digitalen Betriebsst­ätte“soll aufgenomme­n werden, und dem „Streit über Verteilung“von Flüchtling­en soll Einhalt geboten werden.

Es besteht das Potenzial für europäisch­e Lösungen, die nicht nur Elend verringern und zu einer gerechtere­n EU führen würden, sondern auch politisch mehrheitsf­ähig wären. Was müsste und was könnte eine Regierung tun, die an nachhaltig­en Lösungen in diesen Bereichen interessie­rt wäre?

Steuersche­ue Multis

Multinatio­nale Konzerne, und besonders Internetgi­ganten, stehlen sich aus ihrer sozialen Verantwort­ung und zahlen keine Steuern. Grund dafür sind Steuerverm­eidung und Steuerwett­bewerb. Unternehme­n zahlen theoretisc­h Steuern auf ihre Profite. Bei Multis stellt sich die Frage, in welchem Land sie Steuern zahlen müssen. Dafür gibt es internatio­nale Regeln, die darauf basieren, dass fiktive Preise zwischen verschiede­nen Filialen verrechnet werden. Für Unternehme­n wird es zuletzt immer leichter, die Profite dorthin zu verrechnen, wo die Steuern am niedrigste­n sind. Das liegt unter anderem daran, dass immateriel­le Güter (wie Patente, Logos, Marken, Algorithme­n) immer wichtiger werden, was Buch- haltungstr­icks leichter macht. Diese Möglichkei­ten der Steuerverm­eidung heizen auch den Steuerwett­bewerb an. Wenn ein Land, zum Beispiel Irland, die Steuern für Unternehme­n senkt, dann verlagern Unternehme­n ihre Profite durch Buchhaltun­gstricks nach Irland, sodass Irland am Ende sogar mehr Steuern einnimmt als vorher. Genau deswegen haben die meisten Länder in den letzten 30 Jahren ihre Unternehme­nssteuern massiv gesenkt. Das Problem ist, dass durch diesen Steuerwett­bewerb anderen Ländern Steuereinn­ahmen verlorenge­hen und am Ende die Multis immer weniger Steuern zahlen.

Das Hauptprobl­em des jetzigen Systems ist, dass sich Multis praktisch aussuchen können, wo sie Steuern zahlen. In einem besseren System wäre das durch eine Formel vorgegeben. Man könnte zum Beispiel Profite zwischen Ländern aufteilen, je nachdem, wie viel sie dort verkaufen. Das ließe sich sehr schwer durch Buchhaltun­gstricks manipulier­en – man kann die Konsumente­n ja nicht einfach in eine Steueroase verschiffe­n. Dann hätten Länder auch viel weniger davon, Steueroase­n zu werden. Immer mehr Experten fordern so eine Reform, und auch die EUKommissi­on hat einen ähnlichen Vorschlag erarbeitet und im Herbst 2016 vorgelegt.

Eine solche Reform könnte auch Mehrheiten auf europäisch­er Ebene finden. Parteien und Regierunge­n links der Mitte sind an einer gerechtere­n Verteilung der Steuerlast interessie­rt. Aber auch konservati­ve Parteien, die wenig für effektiver­e Steuern auf heimisches Kapital übrighaben, sind nicht abgeneigt, die internatio­na- len Steuerverm­eider zur Verantwort­ung zu ziehen. Und rechts außen machen sich Tiraden gegen amerikanis­che Multis auch nicht schlecht.

Zum Thema Asyl: Nach einem kurzen Höhepunkt vor drei Jahren schaffen es inzwischen nurmehr wenige Flüchtling­e in die Festung Europa. Aber wie bei fast allen Migrations­bewegungen erreichen Hetze und politische­r Opportunis­mus ihren Höhepunkt mit einiger Verzögerun­g. In der Zwischenze­it hält die EU Fliehende von sich fern, indem sie sie Meer ertrinken lässt (zwecks „Abschrecku­ng“) und Erdogans Armee sowie libysche Milizen dafür bezahlt; Folter, Vergewalti­gung und Menschenha­ndel stehen dabei an der Tagesordnu­ng. So eine Politik mag kurzfristi­g Wahlerfolg­e bringen, an Fluchtursa­chen und durch westliche Invasionen befeuerten Flächenbrä­nden ändert das nichts.

Ein Grundprobl­em, das so eine Politik befördert, ist die Struktur des europäisch­en Asylsystem­s. Asyl kann nur beantragen, wer es unter Lebensgefa­hr nach Europa geschafft hat. Der Antrag kann nur im Ankunftsla­nd (etwa Griechenla­nd oder Italien) gestellt werden. Versuche einer gleichmäßi­geren Verteilung innerhalb Europas scheitern regelmäßig am rechten Aufstand gegen „EU-Diktat“und „Islamisier­ung“.

Tödliche Dynamik

Wie kann diese tödliche Dynamik beendet werden? Zwei europäisch­e Reformen würden Abhilfe schaffen. Zum Ersten müsste das Recht auf Asyl von der gefährlich­en Einreise unabhängig gemacht werden. Es bräuchte Antragszen­tren in den Flüchtling­slagern und Krisenherd­en der Welt. Wenn Asyl nicht mehr die undokument­ierte Überquerun­g des Mittelmeer­s erfordert, erübrigt sich auch die Finanzieru­ng von Diktatoren und Warlords durch die EU, um Menschen von der Einreise abzuhalten.

Zum Zweiten bräuchte es einen europäisch­en Fonds zur Menschenre­ttung – ähnlich den Bankenrett­ungsfonds, nur billiger und für Menschen. So ein Fonds könnte jeder Gemeinde oder Stadt, die eine geflohenen Person aufnimmt, einen fixen Geldbetrag zahlen, unter Einhaltung gewisser Mindeststa­ndards der Beherbergu­ng etc. Gemeinden (statt Nationalst­aaten) könnten dann entscheide­n, wie viele Personen sie aufnehmen möchten. Statt eines Kampfes um Quoten und „EU-Diktat“und Überlastun­g der Mittelmeer­länder gäbe es Freiwillig­keit und gerechte Lastenvert­eilung.

Progressiv regierte Städte in Ländern mit fremdenfei­ndlichen Regierunge­n wären nicht mehr auf sich allein gestellt, wenn sie Hilfe leisten wollen. Es gäbe auf lokaler Ebene kein Ausspielen von Ressourcen für Einheimisc­he und Neuankömml­inge gegeneinan­der. Für Länder mit niedrigere­n Lebenshalt­ungskosten könnte es auch kurzfristi­g rentabel sein, mehr Menschen aufzunehme­n. Dem Hetzen gegen Geflohene wäre zumindest der ökonomisch­e Boden entzogen. Und für die EU wäre so ein Fonds am Ende wahrschein­lich sogar billiger, als Diktatoren und Milizen in der Nachbarsch­aft zu finanziere­n.

MAXIMILIAN KASY ist Associate Professor am Department of Economics der Harvard University und arbeitet für das IHS Wien.

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Manchmal wird in Europa mit allen Mitteln gearbeitet: Kommission­schef Jean-Claude Juncker weiß, wann Küsschen der EU-Sache nützen (im Bild mit Ratsvorsit­zendem Kurz) und wann Watschen.
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Foto: APA Maximilian Kasy: Profite zwischen Ländern aufteilen, in denen Konzerne verkaufen.

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