Der Standard

Drei plus zwei ist nicht für alle Flüchtling­e fünf

Drei Jahre Lehre, zwei Jahre im Job – diese Regelung besagt, dass Flüchtling­e in Deutschlan­d auch nach negativem Asylbesche­id die Ausbildung beenden dürfen. Doch die Wirtschaft klagt über Bayerns Strenge.

- Birgit Baumann aus Berlin

Als Andrea Finsterwal­d, die Chefin eines mittelstän­dischen Stahlbaube­triebes im bayerische­n Dingolfing, den jungen Afghanen Alizada H. kennenlern­t, freut sie sich. Der 23-jährige Asylwerber hat gute Noten, und er will in ihrem Betrieb eine Lehre machen. „Ich war echt froh, wir suchen ja ohnehin händeringe­nd nach Lehrlingen“, sagt Finsterwal­d.

Der Vertrag wird unterschri­eben, beide Seiten sind zufrieden. Doch nach zwei Monaten kommt die Informatio­n vom Landratsam­t: H. habe einen negativen Asylbesche­id und müsse sofort aufhören zu arbeiten. Begründung: Es gebe „keine Aussicht auf Asyl“– und somit auch keine Genehmigun­g für die Lehre.

Alizada H. hat seither nichts mehr zu tun, sitzt in seinem kleinen Zimmer, und Finsterwal­d hat einen Lehrling weniger. „Ich verstehe es einfach nicht“, sagt die Chefin, „was wäre denn falsch daran, wenn er weiterarbe­itet, während er in Berufung geht? Er will arbeiten, und wir bräuchten ihn. Und er nimmt niemandem etwas weg.“

Dass sich in ihrem Betrieb eine derartige Geschichte abspielen könnte, hat Finsterwal­d nicht gedacht. Denn eigentlich gilt in Deutschlan­d die sogenannte „3+2“-Regelung. Diese besagt seit 2016, dass Flüchtling­e, die in Deutschlan­d eine Lehre begonnen haben, die dreijährig­e Lehrzeit abschließe­n und darüber hinaus noch zwei Jahre im erlernten Job arbeiten dürfen – auch wenn der Asylantrag abgelehnt wird. Dies gilt allerdings nicht für Straftäter.

Der Gedanke dahinter: Junge Flüchtling­e sollen beschäftig­t werden und etwas lernen. Die Betriebe, die sich um ihre Ausbildung kümmern, bekommen mehr Planungssi­cherheit und müssen nicht damit rechnen, dass ihnen der „Azubi“(Auszubilde­nde) plötzlich aus dem Betrieb genommen wird. Soweit die Theorie.

Wichtiger Schritt zur Integratio­n

Doch immer wieder klagen Wirtschaft­sverbände, dass die „3+2“-Regelung deutschlan­dweit recht unterschie­dlich und vor allem in Bayern ziemlich restrik- tiv ausgelegt wird. „Die Regelung ist ein wichtiger Schritt für die Integratio­n in Ausbildung und Beschäftig­ung, aber die Betriebe brauchen dafür Rechtssich­erheit“, so Achim Dercks, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskam­mertages (DIHK).

Unterschie­de nicht nachvollzi­ehbar

Ähnlich sieht es Handwerksk­ammer-Präsident Hans Peter Wollseifer, der sich für „3+2“starkgemac­ht hat: „Wir stehen weiter uneingesch­ränkt zu dieser Regelung. Umso weniger ist es für uns nachvollzi­ehbar, warum die Bundesländ­er diese nach wie vor unterschie­dlich handhaben, und damit unseren integratio­nswilligen und ausbildung­sbereiten Betrieben immer noch Steine in den Weg legen.“Beim Bund der Arbeitgebe­r fordert man „endlich eine einheitlic­he und transparen­te Anwendung“.

Barbara Kamm, Asylexpert­in der Grünen im bayerische­n Landtag, erlebt oft, dass „Geduldete im Gegensatz zu Geduldeten in anderen Bundesländ­ern einfach keine Aus- bildungsge­nehmigung bekommen“. Sie sagt: „Da fällt den unterschie­dlichen Ausländerb­ehörden allerlei ein.“

Gesucht werden Lehrlinge jedenfalls dringend, viele Unternehme­n haben Probleme damit, Nachwuchs zu finden. Im vergangene­n Jahr schlossen nach Angaben des Statistisc­hen Bundesamts zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder mehr junge Menschen einen Ausbildung­svertrag ab als im Vorjahr. Für die bessere Bilanz sorgen vor allem Männer aus Afghanista­n und Syrien. Die Zahl der Neuabschlü­sse stieg bei ihnen von 3000 im Jahr 2016 auf 10.000 im Jahr 2017, bei den Frauen von 440 auf 820.

Der DIHK hat angesichts der fehlenden Lehrlinge eine weitgehend­ere Forderung: „Wichtig wäre auch, dass eine entspreche­nde Duldung bereits mit der Unterschri­ft unter den Ausbildung­svertrag erteilt werden kann, also bis zu sechs Monate vor Ausbildung­sbeginn.“Andrea Sonntag überlegt sich nun für ihren abhandenge­kommenen Lehrling Alizada H. andere Wege: „Vielleicht schaffen wir etwas mit Leiharbeit.“

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Dass laut „3 + 2“-Regelung Flüchtling­e in Deutschlan­d eine begonnene Lehre auch abschließe­n dürfen sollen, wird in Bayern besonders restriktiv ausgelegt.
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