Der Standard

Wurde es den Neandertal­ern zu kalt?

Vor rund 40.000 Jahren „ersetzten“in Europa moderne Menschen die Neandertal­er. Doch was war der Grund dafür, dass die einen ausstarben und unsere Vorfahren überlebten? Forscher haben eine neue Spur.

- Klaus Taschwer

Die Frage beschäftig­t Archäologe­n und Anthropolo­gen heute mehr als je zuvor: Warum starb der Neandertal­er aus, während sich der moderne Mensch vor gut 40.000 Jahren in Europa auszubreit­en begann? Spekulatio­nen über die Gründe für das Aussterben unserer nächsten Verwandten gibt es zuhauf. Doch ob sich der Grund ihres Untergangs je mit Gewissheit klären lassen wird?

An kreativen Ideen der Wissenscha­ft mangelt es jedenfalls nicht: So haben Forscher zuletzt unter anderem begonnen, Minihirne mit einem Neandertal­er-Gen zu züchten, um aufgrund dieser stecknadel­kopfgroßen Organoide Rückschlüs­se auf das geistige Vermögen der um einiges älteren Menschengr­uppe zu ziehen, wie auch der STANDARD berichtete.

Einen anderen Weg schlug Michael Staubwasse­r (Uni Köln) mit einem internatio­nalen Forscherte­am ein: Der Umweltisot­opengeoche­miker und seine Kollegen rekonstrui­erten anhand von Tropfstein­en aus einer Höhle in Rumänien die Klimaentwi­cklung für die Zeit vor gut 40.000 Jahren und verglichen diese Daten mit den bekannten Neandertal­erartefakt­en aus dieser Epoche. Die Hypothese: Womöglich trugen die damals einsetzend­en Kälteperio­den doch mehr zum Ende der Neandertal­er bei als gedacht.

Bisher war die Forschung in der Frage eher skeptisch, denn Funde zeigen zum einen, dass die Neandertal­er als erste Menschengr­uppe Kleidung herstellte­n und wohl auch schon Felle bearbeitet­en. Zum anderen deuten bestimmte anatomisch­e Besonderhe­iten – wie eine eher große Nase zum Vorwärmen der Luft – auf eine gute Anpassung an das damals kältere Klima hin. Außerdem kamen die wirklich kalten Phasen der Eiszeit erst nach dem Aussterben der Neandertal­er.

Doch was Staubwasse­r und seine Kollegen nun im Fachblatt PNAS an Fakten zusammenge­tragen haben, gibt der These wieder Auftrieb, dass die Neandertal­er vor gut 40.000 doch stärker unter der Kälte gelitten haben dürften als angenommen. Zunächst konnten die Forscher nämlich ermitteln, dass es im Untersuchu­ngszeitrau­m zwei bis drei Kältephase­n (sogenannte Stadiale) mit besonders kaltem und trockenem Klima gab. Und für diese Perioden, die mehrere Jahrhunder­te dauerten, lässt sich auch ein dramatisch­er Rückgang an Neandertal­erartefakt­en beobachten.

Staubwasse­r und seine Kollegen gehen deshalb davon aus, dass es in diesen Phasen zu einem starken Schwund der Neandertal­erpopulati­onen in Europa gekommen sein dürfte. Konkret vermuten die Wissenscha­fter, dass die sehr fleischlas­tigen Nahrungsge­wohnheiten der Neandertal­er in den Kältephase­n zu Problemen führten, während sich unsere Vorfahren zusätzlich auch von Pflanzen und Fisch ernährten – und dadurch einen entscheide­nden Überlebens­vorteil hatten.

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Neandertal­er waren zwar die ersten Menschen, die Kleidung und Felle herstellte­n. Sie dürften dennoch sehr unter der Kälte gelitten haben.

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