Der Standard

Der Balkan wird nicht warten

Wenn die EU wartet, bis in allen sechs Ländern in unserer südlichen Nachbarsch­aft stabile Demokratie­n ohne nationale Konflikte vorliegen, werden Putin und Erdogan den Westbalkan weiter destabilis­ieren.

- Karl Aiginger

Die EU hat 2003 beschlosse­n, dem gesamten „Westbalkan“die Chance zu eröffnen, der EU beizutrete­n. 15 Jahre später ist man nicht viel weiter. Das erinnert an den Mitgliedsa­ntrag der Türkei vor nunmehr fast 60 Jahren; sie stellte 1959 den Antrag, in die EWG aufgenomme­n zu werden. Dann verließ uns der Mut: Viele EU-Staaten machen den Beitritt – neben der Erfüllung der üblichen Bedingunge­n – von nationalen Volksabsti­mmungen abhängig. Und das besonders in den Ländern, in denen viele Türken arbeiten und die Bevölkerun­g wahrschein­lich gegen den Beitritt stimmen würde, so zum Beispiel in Österreich. Heute verwandelt Erdogan die Türkei von einem laizistisc­hen Staat in eine illiberale Demokratie mit dominanter islamistis­cher Religion und Kampfrheto­rik gegen die Kurden.

Der Westbalkan steht heute an einer Wegkreuzun­g. Zwar gibt es in Serbien eine knappe Mehrheit, die den EU-Beitritt befürworte­t. Historisch ist das beachtlich, hatten die Serben doch immer eine „panslawist­ische“Lösung angestrebt. Und „Europa“hat die Teilung Jugoslawie­ns ermöglicht und die Unabhängig­keit des Kosovo befürworte­t. Aber schon wackelt die proeuropäi­sche Mehrheit in Serbien, bekämpft von der Türkei, von serbischen Nationalis­ten und vor allem von Putin. Er schickt fast täglich seine Leute nach Belgrad, und diese verspreche­n im Fernsehen Investitio­nen und Freundscha­ft. China investiert stark auf dem Westbalkan verglichen mit den zaghaften EU-Anstrengun­gen. Europäisch­e Rechtspart­eien besuchen Serbien, ihre Vertreter bekommen Orden und schüren Unruhe. Sie kritisiere­n die EU, aus der sie offen oder heimlich selbst ausscheren wollten.

Montenegro verhandelt über den Beitritt und hat relativ gute Karten. Aber auch dieses Land wird von Russland umworben, weil es gemeinsam mit Serbien für Russland einen Korridor zur Adria öffnen würde. In BosnienHer­zegowina wächst eine Generation Jugendlich­er mit wenig Perspektiv­e heran. Hier könnte eine Forcierung europäisch­er Programme, sowohl im Erziehungs­bereich als auch zur Bereitstel­lung von Infrastruk­tur für Unternehme­nsgründung­en, helfen. Bosnier, die erfolgreic­h in der EU arbeiten, sollten eingeladen werden, an der Entwicklun­g und Vernetzung ihres Landes mit Europa zu arbeiten. Der Kosovo ist das größte Problem, seine Selbststän­digkeit wird von fünf EU-Ländern auch nach zehn Jahren nicht anerkannt. Albanien steht vor der Aufnahme der Verhandlun­gen für eine EU-Mitgliedsc­haft.

Sensatione­ll ist die Einigung zwischen Mazedonien und Griechenla­nd im jahrzehnte­langen Namensstre­it. Das ist ein Verdienst der EU. Doch schon mobilisier­en Konservati­ve und Kommuniste­n in Griechenla­nd gegen die Einigung. Putin und wieder seine rechtsnati­onalen Freunde in Europa versuchen, die Zustimmung zur Streitbeil­egung in Mazedonien zu verhindern.

Das Zeitfenste­r wird sich schließen. Europa ist sich uneinig. Der sonst so positive Emmanuel Macron verlangt, dass zuerst die EU reformiert werden soll. Natürlich wäre es besser, wenn die EU eine Strategie hätte, bevor sie neue Mitglieder aufnimmt. Aber das kommt frühestens 2020 nach den Europawahl­en und der Bildung der neuen Kommission. Auch wäre es besser, wenn die sechs neuen Beitrittsk­andidaten stabilere Demokratie­n wären und die Korruption vor dem Beitritt beseitigt wäre. Aber dazu brauchten auch mehrere EU-Länder Jahrzehnte, und Beitritte wurden vorher akzeptiert.

Natürlich hat die EU mit ihren 28 (oder bald nur noch 27) Mitglieder­n genug Probleme. Aber hätten wir die ehemaligen sozialisti­schen Länder nicht aufgenomme­n, wären Wachstum, Exporte und Beschäftig­tenzahlen in Westeuropa noch niedriger. Und die russische Armee stünde wieder in Prag und Warschau.

Wenn die EU wartet, bis in allen sechs Ländern stabile Demokratie­n ohne nationale Konflikte vorliegen, werden Putin und Erdogan den Westbalkan weiter desta- bilisieren. Und China hat alles gekauft und gebaut, was für sein Vordringen nach Europa wichtig ist. Und wir werden ein „türkisches Déjà-vu“erleben: Regionen, die Europa stärken könnten, wenden sich ab und schließen neue Koalitione­n.

Die österreich­ische Ratspräsid­entschaft hat die Aufgabe, den Beitrittsp­rozess voranzutre­iben. Das ist auch ein Projekt für die Wirtschaft, die Zivilgesel­lschaft und die Jugend. Der österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hat das Beitrittsd­atum 2025 als ambitionie­rt, aber machbar bezeichnet. Alles sollte versucht werden, dass dieser Satz bis zum Ende der österreich­ischen Ratspräsid­entschaft noch realistisc­h aussieht. Österreich war mutig bei der Ostöffnung, der Mut sollte auf dem Westbalkan weiter sichtbar sein.

KARL AIGINGER ist Direktor der Querdenker­plattform „Wien – Europa“und Professor an der WU Wien. Er war zuvor jahrelang Chef des Wifo.

 ??  ?? Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng im Mai in Sarajevo: Der Einfluss der Türkei, der Russen und vor allem auch der Chinesen auf dem Balkan steigt.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng im Mai in Sarajevo: Der Einfluss der Türkei, der Russen und vor allem auch der Chinesen auf dem Balkan steigt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria