Der Standard

Klimawande­l macht Schädlinge hungriger

Steigende Temperatur­en begünstige­n nicht nur die Ausbreitun­g von Insekten, sondern beschleuni­gen auch deren Stoffwechs­el. Das könnte große Ernteverlu­ste zur Folge haben – vor allem in unseren Breiten.

- David Rennert

Die Landwirtsc­haft der Zukunft wird nicht nur mit unmittelba­ren Folgen des Klimawande­ls zu kämpfen haben. Während sich etwa manche Regionen der Erde auf zunehmende Trockenhei­t einstellen müssen, andere wiederum stärkere Regenfälle und häufigere Extremwett­erereignis­se zu erwarten haben, könnte auch ein indirekter Faktor drastisch zu Buche schlagen: Insekten. Zuletzt war hierzuland­e viel vom massenhaft­en Verschwind­en vor allem nützlicher Bestäuber zu hören – als Hauptursac­hen für dieses Insektenst­erben stehen Pestizide und Monokultur­en in der Agrarwirts­chaft im Verdacht. Zu den großen Verlierern des Klimawande­ls zählen Insekten aber keineswegs.

US-Forscher haben nun vorgerechn­et, welche Auswirkung­en der globale Temperatur­anstieg auf Schadinsek­ten der wichtigste­n Nahrungspf­lanzen haben könnte. Ihre Prognosen, die sie im Fachblatt Science veröffentl­ichten, zeichnen ein düsteres Bild: Die weltweiten Ernteverlu­ste von Weizen, Mais und Reis könnten pro gestiegene­m Grad Celsius um zehn bis 25 Prozent zunehmen. Ein Anstieg um zwei Grad hätte im Schnitt jährliche Ernteeinbu­ßen im Ausmaß von 213 Millionen Tonnen zur Folge. Betroffen wären insbesonde­re die gemäßigten Zonen, in denen wichtige Anbaugebie­te dieser Grundnahru­ngsmittel liegen. Die drei Nutzpflanz­en machen heute etwa 42 Prozent der gesamten menschlich­en Ernährung aus. In Europa könnte vor allem der Weizenanba­u stark leiden.

Als Hauptursac­hen führen die Wissenscha­fter um Curtis Deutsch von der University of Washington in Seattle zwei Faktoren an. Höhere Temperatur­en begünstige­n das Population­swachstum von Insekten, wenn auch in regional sehr unterschie­dlichem Ausmaß. In tropischen Gefilden, wo jetzt schon ideale Bedingunge­n für Insekten herrschen, würde ein Temperatur­anstieg das Population­swachstum eher bremsen. In unseren Breiten wäre der Effekt allerdings genau umgekehrt: Noch ist es für die optimale Ausbreitun­g zu kühl – je wärmer, desto bessere Bedingunge­n für Insekten. Vor allem aber verändert sich auch die Stoffwechs­elrate der Sechsfüßer. Wärme kurbelt den Metabolism­us und damit den Nahrungsbe­darf von Insekten an – zum Schaden der Landwirtsc­haft.

„Trotz aller Unsicherhe­iten, die solche Modellprog­nosen naturgemäß begleiten, ist sicher von unwirtlich­eren Bedingunge­n für die Landwirtsc­haft der Zukunft auszugehen“, kommentier­t der Agrarökolo­ge Teja Tscharntke von der Universitä­t Göttingen die Studie. Die Modellbere­chnungen würden viele wichtige Faktoren berücksich­tigen und einmal mehr verdeutlic­hen, dass die gegenwärti­ge Praxis beim Nutzpflanz­enanbau zu überdenken sei. Allerdings bleiben viele Fragen offen: Wie sich etwa die Landwirtsc­haft in den gemäßigten Zonen künftig verändern wird und wie einzelne Insektenar­ten und ihre natürliche­n Feinde auf den Temperatur­anstieg reagieren werden, ist weitgehend unklar – und auch in der aktuellen Studie kein Thema.

Die Forscher um Deutsch kommen jedenfalls zum Schluss, dass trotz gesundheit­licher und ökologisch­er Risiken mehr Pestizide notwendig werden könnten, um die Ernährungs­sicherheit zu gewährleis­ten. Vordringli­ches Ziel müsse aber eine Begrenzung der Erderwärmu­ng sein, so Deutsch: „Wir haben keine Wahl, ob wir eine Erderwärmu­ng wollen oder nicht. Aber wir können entscheide­n, in welchem Ausmaß wir sie tolerieren.“

 ??  ?? Ein Westlicher Maiswurzel­bohrer labt sich an einer Maispflanz­e. Diese Blattkäfer verursache­n enorme Schäden – und dürften vom Klimawande­l profitiere­n.
Ein Westlicher Maiswurzel­bohrer labt sich an einer Maispflanz­e. Diese Blattkäfer verursache­n enorme Schäden – und dürften vom Klimawande­l profitiere­n.

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