Von der Politik des Ein- und Ausladens
Hierzulande kaum bekannt, ist der BDS im angloamerikanischen Raum eine echte Größe: Regelmäßig verhindert die antiisraelische Organisation den Auftritt von Künstlern. Jetzt wird über sie auch in Deutschland diskutiert.
Unwissenheit schützt vor Unbilden nicht. Stefanie Carp muss gerade viel Kritik wegstecken. Erst hatte die Intendantin der Ruhrtriennale die schottische Band Young Fathers eingeladen. Nach einem Aufschrei und Drohungen seitens der Politik, dem Festival die Gelder zu kürzen, weil die Gruppe die israelkritische Bewegung BDS unterstützt, lud Carp sie wieder aus. Um sie dann wieder einzuladen.
Da wollte die Band aber schon nicht mehr kommen. Und klagte stattdessen auf der Internetseite Artists for Palestine, die Ruhrtriennale habe von ihr gefordert, sich von ihren „Menschenrechtsprinzipien“zu distanzieren.
Was ist da genau passiert? Eine Bewegung, die bis dato in Deutschland wenig bekannt war, bringt eine der renommiertesten Festivalleiterinnen in Schwierigkeiten. NRW-Minsterpräsident Armin Laschet (CDU) ließ am Donnerstag die Zukunft Carps demonstrativ offen. Von 2008 bis 2013 leitete Carp das Schauspiel bei den Wiener Festwochen. Heuer ist sie in ihre erste Saison bei der Ruhrtriennale gestartet. Vom BDS habe sie noch nie gehört, gab Carp zu Protokoll. Dabei sorgt die propalästinensische, antiisraelische Bewegung seit Jahren weltweit für Aufregung – besonders im Feld der Kunst.
Aktionsvakuum
Das Akronym steht für „Boycott, Divestment, Sanctions“. Mit gegen Israel gerichteten Aufrufen zu „Boykott, Desinvestition und Sanktionen“will die Bewegung den Staat international politisch, wirtschaftlich und kulturell isolieren. Heute agiert die Kampagne global, gegründet wurde BDS jedoch 2005 als Zusammenschluss von 170 zivilgesellschaftlichen palästinensischen Gruppen mit dem Ziel der „Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit“für die arabische Bevölkerung Israels.
Damals war Yassir Arafat, kämpferische Symbolfigur der Palästinensischen Befreiungsorganisation, seit einem halben Jahr tot. Nachfolger Mahmud Abbas forderte die Palästinenser auf, ihren bewaffneten Widerstand gegen Israel zu beenden. Der Weg der Diplomatie, der bisher wenig gebracht hatte, stellte viele nicht zufrieden. Jemand anders müsse das Aktionsvakuum füllen und Druck auf die „Besatzer“und „Unterdrücker“aufbauen, damit der Staat seine Palästinenserpolitik umkrempelt. BDS wirft Israel „Kolonialismus“vor, nennt es einen „Apartheidsstaat“ähnlich dem früheren Südafrika. Dort hätten internationale Boykotte das System in die Knie gezwungen.
Solche Sanktionen gehen dem BDS im Fall Israels seit Jahrzehnten ab. Obwohl der Staat gegen internationales Recht verstoße, unternehme die Weltgemeinschaft nichts dagegen. Man fordert in Aufrufen einen Warenboykott für in Israel und insbesondere im Westjordanland hergestellte Produkte, den Ausschluss Israels aus internationalen Institutionen wie Uno und Fifa oder dass ausländische Unis nicht mehr mit israelischen kooperieren. Letzteres führt kurioserweise dazu, dass viele israelkritische Intellektuelle nicht mehr an Israels Hochschulen fahren – palästinenserkritische aber schon.
Als besonderen Hebel hat der BDS Kulturveranstaltungen erkannt. Die Bewegung fordert Künstler auf, nicht an Filmfestivals, Ausstellungen oder bei Konzerten teilzunehmen, sollten dort auch israelische Künstler beteiligt sein. Das Pop-Kultur-Festival Berlin bekam den Aufruf bereits vergangenes Jahr zu spüren. Vier arabische Band sagten ihre Teilnahme ab.
Musikevents sind von den BDSAktivitäten besonders betroffen. Sie eignen sich nämlich hervorra- gend als Multiplikatoren der BDSBotschaft. International besetzt, erreichen die dort auftretenden Stars eine große Zahl von Menschen und garantieren mediale Aufmerksamkeit. Sängerin Lorde gab vergangenen Dezember etwa dem Druck nach und sagte ein für diesen Sommer geplantes IsraelKonzert ab. Anders Lana Del Rey: Die US-Sängerin bekräftigte jüngst, sie werde in Israel auftreten, aber während des Aufenthaltes ebenso die Palästinensergebiete besuchen. Zur Absage gedrängt wurde Del Rey übrigens von Roger Waters. Der Pink-Floyd-Musiker ist neben Brian Eno einer der proaktivsten BDS-Unterstützer.
In Deutschland oder auch in Österreich ist der BDS vielen nicht einmal ein Begriff. Seit 2014 gibt es den BDS Austria. Zuletzt protestierte die Gruppe gegen die Feier der Erzdiözese Wien zu „70 Jahre Israel“und eine Rede der israelischen Botschafterin an der Uni Graz. Laut Außenministerium ist die Bewegung hierzulande nicht sehr prominent, ihre Ziele werden aber kritisch gesehen.
In Großbritannien und Amerika ist die Bewegung weitaus populärer. Ende Juni unterzeichneten etwa 80 Intellektuelle von Judith Butler über Patti Smith bis Vivienne Westwood im Guardian eine Solidaritätsbekundung mit den Young Fathers und dem BDS.
Als frühere Mandatsmacht im Nahen Osten scheinen die Briten eher ein schlechtes Gewissen gegenüber den Arabern als gegenüber den Juden zu haben, so viele Kommentatoren. In England ist die Kampagne zudem stärker an Universitäten präsent – ein guter Ausgangspunkt, um sich in Debatten einzuklinken. Die Solidarität der konservativen Parteien mit Israel treibt zudem viele Linke ins palästinensische Lager. LabourChef Jeremy Corbyn steht wegen seiner nahostpolitischen, von manchen als antisemitisch beargwöhnten Ansichten in der Kri- tik. Dass es jüdische BDS-Unterstützer gibt, siehe Judith Butler, lassen Kritiker nicht gelten. Ebenso wenig, dass die Young Fathers sich zudem gegen Rechtsradikale und Rassismus engagieren.
Zurück zu Stefanie Carp und der Ruhrtriennale. Die Affäre, die auf Unwissen gründete und erst nur in kleinem Rahmen diskutiert wurde, hat mittlerweile die Grenzen von Nordrhein-Westfalen weit hinter sich gelassen. Die Abund neuerliche Zusage brachte Carp viel Kritik ein. Von mangelndem Rückgrat war die Rede. Carp konterte in einem Interview, sie „finde es ein wenig absurd und kurzsichtig, wenn ein Mensch, der nachdenkt, bezichtigt wird, keine Haltung zu haben“.
Die Debatte zeigt, wie unsicher sich auch die Linke in ihrer Haltung gegenüber dem BDS ist. Macht man sich zum Antisemiten, wenn man den BDS unterstützt? Oder gebietet gerade dies die Solidarität mit den Palästinensern?
Auch die Politik scheint in ihren Haltungen hin- und hergerissen. Lange wurde der BDS von Israel nicht beachtet. Inzwischen geht die Regierung gegen Personen vor, die der Bewegung nahestehen. Auch im Ausland würden Israel, seine Lobbygruppen und rechten Unterstützer versuchen, die Bewegung zu kriminalisieren, schreibt der BDS auf seiner Webseite. In Wien mussten etwa mehrfach Vorträge abgesagt werden, weil Hotels gebuchte Räume wieder zurückzogen. Auch gegen ein Konto von BDS Austria bei einer heimischen Bank wurde 2016 interveniert: mit Erfolg.
„Schamgeschichte“
In Deutschland ist die Haltung gegenüber dem BDS besonders kritisch. Die Bewegung wird als antisemitisch eingeschätzt, bisher hat kein deutscher Prominenter für sie Partei ergriffen, der Aufruf zum Boykott israelischer Waren erinnert viele an die Nazi-Parole „Kauft nicht bei Juden“. Die Erklärung von Carp, warum die Ruhrtriennale-Affäre so hohe Wellen geschlagen hat, zielt in eine ähnliche Richtung: Gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung, sagte sie, dass die Ablehnung des BDS mit der „deutschen Schuld- und Schamgeschichte zu tun“habe. Erst vor wenigen Tagen hat Israel ein Nationalitätsgesetz erlassen, das den Status seiner arabischen Bürger weiter verschlechtert. Dirigent Daniel Barenboim verkündete daraufhin, er schäme sich, Israeli zu sein. Dass ihm weniger öffentlicher Protest des Westens entgegenschlägt, liegt an seiner gemäßigteren Forderung einer Zweistaatenlösung. Kritiker halten dem BDS vor, mit seiner radikalen Position – sie läuft auf die Nichtanerkennung eines Existenzrechts Israels hinaus – einen Frieden in der Region eher zu verunmöglichen als ihn zu fördern. Dieser Vorwurf wiegt vielleicht am schwersten. Auch wenn der BDS gewaltlos agiert: Solche Kollateralschäden nimmt er hin. Aktuell protestiert der BDS übrigens gegen Israel als Austragungsort des Song Contest 2019. Das Event würde benutzt, um das Land als einen liberalen und multikulturellen Staat zu präsentieren, der er nicht ist, und sich so von Kritik „weißzuwaschen“.