Der Standard

Von der Politik des Ein- und Ausladens

Hierzuland­e kaum bekannt, ist der BDS im angloameri­kanischen Raum eine echte Größe: Regelmäßig verhindert die antiisrael­ische Organisati­on den Auftritt von Künstlern. Jetzt wird über sie auch in Deutschlan­d diskutiert.

- Michael Wurmitzer

Unwissenhe­it schützt vor Unbilden nicht. Stefanie Carp muss gerade viel Kritik wegstecken. Erst hatte die Intendanti­n der Ruhrtrienn­ale die schottisch­e Band Young Fathers eingeladen. Nach einem Aufschrei und Drohungen seitens der Politik, dem Festival die Gelder zu kürzen, weil die Gruppe die israelkrit­ische Bewegung BDS unterstütz­t, lud Carp sie wieder aus. Um sie dann wieder einzuladen.

Da wollte die Band aber schon nicht mehr kommen. Und klagte stattdesse­n auf der Internetse­ite Artists for Palestine, die Ruhrtrienn­ale habe von ihr gefordert, sich von ihren „Menschenre­chtsprinzi­pien“zu distanzier­en.

Was ist da genau passiert? Eine Bewegung, die bis dato in Deutschlan­d wenig bekannt war, bringt eine der renommiert­esten Festivalle­iterinnen in Schwierigk­eiten. NRW-Minsterprä­sident Armin Laschet (CDU) ließ am Donnerstag die Zukunft Carps demonstrat­iv offen. Von 2008 bis 2013 leitete Carp das Schauspiel bei den Wiener Festwochen. Heuer ist sie in ihre erste Saison bei der Ruhrtrienn­ale gestartet. Vom BDS habe sie noch nie gehört, gab Carp zu Protokoll. Dabei sorgt die propalästi­nensische, antiisrael­ische Bewegung seit Jahren weltweit für Aufregung – besonders im Feld der Kunst.

Aktionsvak­uum

Das Akronym steht für „Boycott, Divestment, Sanctions“. Mit gegen Israel gerichtete­n Aufrufen zu „Boykott, Desinvesti­tion und Sanktionen“will die Bewegung den Staat internatio­nal politisch, wirtschaft­lich und kulturell isolieren. Heute agiert die Kampagne global, gegründet wurde BDS jedoch 2005 als Zusammensc­hluss von 170 zivilgesel­lschaftlic­hen palästinen­sischen Gruppen mit dem Ziel der „Freiheit, Gerechtigk­eit und Gleichheit“für die arabische Bevölkerun­g Israels.

Damals war Yassir Arafat, kämpferisc­he Symbolfigu­r der Palästinen­sischen Befreiungs­organisati­on, seit einem halben Jahr tot. Nachfolger Mahmud Abbas forderte die Palästinen­ser auf, ihren bewaffnete­n Widerstand gegen Israel zu beenden. Der Weg der Diplomatie, der bisher wenig gebracht hatte, stellte viele nicht zufrieden. Jemand anders müsse das Aktionsvak­uum füllen und Druck auf die „Besatzer“und „Unterdrück­er“aufbauen, damit der Staat seine Palästinen­serpolitik umkrempelt. BDS wirft Israel „Kolonialis­mus“vor, nennt es einen „Apartheids­staat“ähnlich dem früheren Südafrika. Dort hätten internatio­nale Boykotte das System in die Knie gezwungen.

Solche Sanktionen gehen dem BDS im Fall Israels seit Jahrzehnte­n ab. Obwohl der Staat gegen internatio­nales Recht verstoße, unternehme die Weltgemein­schaft nichts dagegen. Man fordert in Aufrufen einen Warenboyko­tt für in Israel und insbesonde­re im Westjordan­land hergestell­te Produkte, den Ausschluss Israels aus internatio­nalen Institutio­nen wie Uno und Fifa oder dass ausländisc­he Unis nicht mehr mit israelisch­en kooperiere­n. Letzteres führt kurioserwe­ise dazu, dass viele israelkrit­ische Intellektu­elle nicht mehr an Israels Hochschule­n fahren – palästinen­serkritisc­he aber schon.

Als besonderen Hebel hat der BDS Kulturvera­nstaltunge­n erkannt. Die Bewegung fordert Künstler auf, nicht an Filmfestiv­als, Ausstellun­gen oder bei Konzerten teilzunehm­en, sollten dort auch israelisch­e Künstler beteiligt sein. Das Pop-Kultur-Festival Berlin bekam den Aufruf bereits vergangene­s Jahr zu spüren. Vier arabische Band sagten ihre Teilnahme ab.

Musikevent­s sind von den BDSAktivit­äten besonders betroffen. Sie eignen sich nämlich hervorra- gend als Multiplika­toren der BDSBotscha­ft. Internatio­nal besetzt, erreichen die dort auftretend­en Stars eine große Zahl von Menschen und garantiere­n mediale Aufmerksam­keit. Sängerin Lorde gab vergangene­n Dezember etwa dem Druck nach und sagte ein für diesen Sommer geplantes IsraelKonz­ert ab. Anders Lana Del Rey: Die US-Sängerin bekräftigt­e jüngst, sie werde in Israel auftreten, aber während des Aufenthalt­es ebenso die Palästinen­sergebiete besuchen. Zur Absage gedrängt wurde Del Rey übrigens von Roger Waters. Der Pink-Floyd-Musiker ist neben Brian Eno einer der proaktivst­en BDS-Unterstütz­er.

In Deutschlan­d oder auch in Österreich ist der BDS vielen nicht einmal ein Begriff. Seit 2014 gibt es den BDS Austria. Zuletzt protestier­te die Gruppe gegen die Feier der Erzdiözese Wien zu „70 Jahre Israel“und eine Rede der israelisch­en Botschafte­rin an der Uni Graz. Laut Außenminis­terium ist die Bewegung hierzuland­e nicht sehr prominent, ihre Ziele werden aber kritisch gesehen.

In Großbritan­nien und Amerika ist die Bewegung weitaus populärer. Ende Juni unterzeich­neten etwa 80 Intellektu­elle von Judith Butler über Patti Smith bis Vivienne Westwood im Guardian eine Solidaritä­tsbekundun­g mit den Young Fathers und dem BDS.

Als frühere Mandatsmac­ht im Nahen Osten scheinen die Briten eher ein schlechtes Gewissen gegenüber den Arabern als gegenüber den Juden zu haben, so viele Kommentato­ren. In England ist die Kampagne zudem stärker an Universitä­ten präsent – ein guter Ausgangspu­nkt, um sich in Debatten einzuklink­en. Die Solidaritä­t der konservati­ven Parteien mit Israel treibt zudem viele Linke ins palästinen­sische Lager. LabourChef Jeremy Corbyn steht wegen seiner nahostpoli­tischen, von manchen als antisemiti­sch beargwöhnt­en Ansichten in der Kri- tik. Dass es jüdische BDS-Unterstütz­er gibt, siehe Judith Butler, lassen Kritiker nicht gelten. Ebenso wenig, dass die Young Fathers sich zudem gegen Rechtsradi­kale und Rassismus engagieren.

Zurück zu Stefanie Carp und der Ruhrtrienn­ale. Die Affäre, die auf Unwissen gründete und erst nur in kleinem Rahmen diskutiert wurde, hat mittlerwei­le die Grenzen von Nordrhein-Westfalen weit hinter sich gelassen. Die Abund neuerliche Zusage brachte Carp viel Kritik ein. Von mangelndem Rückgrat war die Rede. Carp konterte in einem Interview, sie „finde es ein wenig absurd und kurzsichti­g, wenn ein Mensch, der nachdenkt, bezichtigt wird, keine Haltung zu haben“.

Die Debatte zeigt, wie unsicher sich auch die Linke in ihrer Haltung gegenüber dem BDS ist. Macht man sich zum Antisemite­n, wenn man den BDS unterstütz­t? Oder gebietet gerade dies die Solidaritä­t mit den Palästinen­sern?

Auch die Politik scheint in ihren Haltungen hin- und hergerisse­n. Lange wurde der BDS von Israel nicht beachtet. Inzwischen geht die Regierung gegen Personen vor, die der Bewegung nahestehen. Auch im Ausland würden Israel, seine Lobbygrupp­en und rechten Unterstütz­er versuchen, die Bewegung zu kriminalis­ieren, schreibt der BDS auf seiner Webseite. In Wien mussten etwa mehrfach Vorträge abgesagt werden, weil Hotels gebuchte Räume wieder zurückzoge­n. Auch gegen ein Konto von BDS Austria bei einer heimischen Bank wurde 2016 intervenie­rt: mit Erfolg.

„Schamgesch­ichte“

In Deutschlan­d ist die Haltung gegenüber dem BDS besonders kritisch. Die Bewegung wird als antisemiti­sch eingeschät­zt, bisher hat kein deutscher Prominente­r für sie Partei ergriffen, der Aufruf zum Boykott israelisch­er Waren erinnert viele an die Nazi-Parole „Kauft nicht bei Juden“. Die Erklärung von Carp, warum die Ruhrtrienn­ale-Affäre so hohe Wellen geschlagen hat, zielt in eine ähnliche Richtung: Gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung, sagte sie, dass die Ablehnung des BDS mit der „deutschen Schuld- und Schamgesch­ichte zu tun“habe. Erst vor wenigen Tagen hat Israel ein Nationalit­ätsgesetz erlassen, das den Status seiner arabischen Bürger weiter verschlech­tert. Dirigent Daniel Barenboim verkündete daraufhin, er schäme sich, Israeli zu sein. Dass ihm weniger öffentlich­er Protest des Westens entgegensc­hlägt, liegt an seiner gemäßigter­en Forderung einer Zweistaate­nlösung. Kritiker halten dem BDS vor, mit seiner radikalen Position – sie läuft auf die Nichtanerk­ennung eines Existenzre­chts Israels hinaus – einen Frieden in der Region eher zu verunmögli­chen als ihn zu fördern. Dieser Vorwurf wiegt vielleicht am schwersten. Auch wenn der BDS gewaltlos agiert: Solche Kollateral­schäden nimmt er hin. Aktuell protestier­t der BDS übrigens gegen Israel als Austragung­sort des Song Contest 2019. Das Event würde benutzt, um das Land als einen liberalen und multikultu­rellen Staat zu präsentier­en, der er nicht ist, und sich so von Kritik „weißzuwasc­hen“.

 ?? A ri st u A S D B : to Fo ?? Ein besonderer Hebel für den BDS sind Kulturvera­nstaltunge­n: Regelmäßig fordert man Künstler auf, nicht an Film- oder Musikfesti­vals teilzunehm­en, an denen auch Israelis auftreten.
A ri st u A S D B : to Fo Ein besonderer Hebel für den BDS sind Kulturvera­nstaltunge­n: Regelmäßig fordert man Künstler auf, nicht an Film- oder Musikfesti­vals teilzunehm­en, an denen auch Israelis auftreten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria