Multiple Sklerose in Schach halten
„Frühe Diagnose und schneller Therapiebeginn sind essenziell in der Behandlung der Multiplen Sklerose“, betont der Neurologe Univ.-Prof. Dr. Eduard Auff.
Multiple Sklerose verläuft bei jedem Patienten individuell. Inwieweit ist die Krankheitsentwicklung vorhersehbar?
Auff: Das Erscheinungsbild der Multiplen Sklerose ist vielfältig, und gerade zu Beginn einer Erkrankung lässt sich der weitere Verlauf nur schwer vorhersehen. Diagnosekriterien, die sich neben klinischen Kriterien unter anderem auch auf Veränderungen in der Magnetresonanztomografie (MR) in Gehirn oder Rückenmark stützen, ermöglichen eine frühzeitige Diagnose und Therapie. Wichtig ist, den weiteren Verlauf der Erkrankung genau zu beobachten, um auch in der Behandlung richtig reagieren zu können.
MS ist nicht heilbar – worauf muss bei der Therapie geachtet werden?
Auff: Je früher die Multiple Sklerose diagnostiziert wird, desto eher kann mit der Therapie begonnen und der Krankheitsverlauf beeinflusst werden. Mit den derzeit vorhandenen Therapieoptionen wird in den Entzündungsprozess eingegriffen, der vor allem in der ersten Phase der Krankheit eine große Rolle spielt. Wir gehen davon aus, dass dadurch auch die Neurodegeneration, die Schädigung der Nervenzellen, beeinflusst wird, die im weiteren Verlauf der Krankheit immer mehr hinzukommt. Es gilt also frühzeitig in den Entzündungsprozess einzugreifen, um eine weitere Schädigung der Nervenzellen zu verhindern. Neben der medikamentösen Therapie sollte auch die Neurorehabilitation, insbesondere die Unterstützung durch Physiotherapeuten, aber auch andere therapeutische Fachkräfte nicht vergessen werden. Gerade in der fortgeschrittenen bzw. Spätphase der Erkrankung, wenn eine medikamentöse Therapie nicht zur gewünschten Verbesserung führt, sind diese Maßnahmen und symptomatische Behandlungsansätze entscheidend.
Wo liegen heute die Grenzen in der Behandlung von Patienten mit MS?
Auff: Die Therapie einerseits abhängig vom Krankheitsstadium der Patienten und andererseits vom Verlaufstyp der Erkrankung. Es gibt unterschiedliche Verlaufsformen der MS: Am häufigsten – bei rund drei Viertel der MS-Patienten – handelt es sich um eine schubförmig verlaufende Form der Krankheit, bei der sich die neurologischen Symptome – oft vollständig – wieder zurückbilden können. Es gibt aber auch eine von Beginn an fortschreitende Form, die primär progrediente MS, bei der es zu einer schleichenden, ständigen Verschlechterung der Symptome kommt. Hier spielen entzündliche Veränderungen nur eine untergeordnete Rolle, und daher sind die Behandlungsmöglichkeiten mit den heute zur Verfügung stehenden Medikamenten entsprechend weniger effizient. Eine gezielte Therapie der Neurodegeneration ist – wie bei anderen Erkrankungen – heute noch nicht möglich, es gibt aber eine Reihe von Forschungsansätzen. Hier besteht sicherlich noch ein Defizit.
Intensive Forschung hat dazu beigetragen, dass das Verständnis für neurologische Krankheiten wie MS immer besser wird. Wie wirkt sich das auf Diagnose und Therapie aus?
Auff: Aus dem Erkrankungsverlauf wissen wir, dass der Multiplen Sklerose ein neuroimmunologischer Prozess zugrunde liegt, der sich in Inflammation und Neurodegeneration auswirkt. Diese beiden Aspekte sind je nach Krankheitsphase und Verlaufstyp unterschiedlich stark ausgeprägt. Natürlich wäre es einfach, wenn man die Erkrankung auf eine bestimmte Ursache reduzieren könnte, aber bei der MS kommen viele verschiedene Elemente, wie Umwelt- oder genetische Faktoren, zum Tragen. Diese sind bei jedem Patienten in individueller Form zutreffend, das heißt, eine bestimmte Ursache für die MS bei einem einzelnen Patienten oder gar allen Betroffenen herauszufinden, ist nicht möglich. Was wir aber durch die Forschungsergebnisse belegen können: Eine korrekte Diagnose und frühzeitige adäquate Therapie wirken sich positiv auf den Verlauf der Multiplen Sklerose aus. Besteht der Verdacht auf MS, müssen die Patienten engmaschig, auch mittels MR-Untersuchungen, kontrolliert werden, um die für den jeweiligen Patienten optimale Therapieempfehlung abgeben zu können. Die Forschung im Bereich der MS wird intensiv vorangetrieben. Das Wissen über die Erkrankung ist besser und umfassender geworden, und daraus resultieren auch neue medikamentöse Therapien.